Berlin. Was kostet ein Atomkraftwerk und wie lange dauert der Bau? Ist Atomstrom wirklich günstig? Und wo kommt der Müll hin? Der Faktencheck.

Weltweit steigt der Energiehunger. Je wohlhabender die Menschen werden, desto mehr Strom benötigen sie. Die Zahl der E-Autos steigt rasant. Größter Verbraucher dürften Rechenzentren für Künstliche Intelligenz sein. Microsoft will deshalb ein abgeschaltetes US-Atomkraftwerk wieder hochfahren. Und für Deutschland denken Union und FDP im Bundestagswahlkampf über neue Anlagen nach. Antworten auf die wichtigsten Fragen:

Welche Vorteile hat Atomkraft?

Atomkraft liefert Strom unabhängig vom Wetter. Sie ist etwas unabhängiger von den Weltmarktpreisen als Kohle und Gas, die für entsprechende Kraftwerke eingeführt werden müssen. Atomkraftwerke stoßen im Betrieb kein CO2 aus und belasten das Klima deshalb nicht. Sie erzeugen ununterbrochen und gleichmäßig Strom.

Welche Nachteile hat Atomkraft?

AKW sind unflexibel, können nicht nach Belieben an- und ausgeschaltet werden. Der Strom ist im Vergleich zu dem aus erneuerbaren Energien teurer. Eine Havarie kann lebensbedrohlich sein. Die verbrauchten Brennstäbe, der Atommüll, müssen aufwendig gelagert werden und sind lebensgefährlich.

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Was ist dran an der Renaissance der Atomkraft?

Die Internationale Energieagentur erkannte in einem Bericht Mitte Januar eine Wiedergeburt der Atomenergie. Es werde viel Geld investiert, zudem böten neuartige kleine und in Masse hergestellte Reaktoren, die „small modular reactors“ (SMR), neue Chancen. Der World Nuclear Industry Status Report 2024 berichtet, dass 2023 gut 9,1 Prozent des Stroms weltweit aus Atomenergie stammten, 1996 waren es noch 17,5 Prozent. Von 2004 bis 2023 wurden 102 neue Reaktoren gebaut, davon 49 in China, und 104 stillgelegt. 2024 nahm die weltweit installierte Leistung aus Atomkraftwerken um 4,3 Gigawatt zu. Allein China erweiterte in den ersten neun Monaten seinen Solarpark um eine Leistung von rund 161 Gigawatt.

Wie viele AKW sind weltweit in Betrieb?

Anfang des Jahres lieferten dem Nuklearbericht zufolge weltweit 411 Atomreaktoren Strom, zwei weniger als ein Jahr zuvor. Installiert sind rund 372 Gigawatt Leistung. Die meisten Anlagen laufen in den USA (94), dort liefern sie 18 bis 19 Prozent allen Stroms. Frankreich mit 57 Reaktoren bezieht 65 Prozent des Stroms aus Atomenergie, China (59) rund fünf Prozent. Neu gebaut wird vor allem in Asien.

Kann Deutschland wieder in die Atomkraft einsteigen?

2011 beschloss die Bundesregierung, damals getragen von Union und FDP, die letzten deutschen Atomkraftwerke bis Ende 2022 vom Netz zu nehmen. Die letzten drei Anlagen, Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim, liefen noch bis April 2023. So wie der Ausstieg ließe sich auch der Einstieg politisch beschließen, die Gesetze könnten geändert werden. Ob ein Bau in Deutschland angesichts der aufwendigen Verfahren genehmigt würde, ist unklar.

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Lassen sich die abgeschalteten deutschen AKW wieder hochfahren?

Im Prinzip ja, zumindest die sechs, die zuletzt abgeschaltet wurden. Allerdings haben die ehemaligen Betreiber bereits mit dem Abriss begonnen, etwa von Turbinen, Dampfgeneratoren, Leitungen. „Technisch kann man viel machen, alles eine Frage von Zeit und Geld und ob es sich überhaupt rechnet“, sagt ein Experte, der nicht genannt werden will.

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Bei den AKW Brokdorf an der Elbe und Emsland in Niedersachsen wäre der Aufwand am geringsten. Sie haben die Rückbaugenehmigung erst vor wenigen Monaten erhalten. Unklar ist, ob ein solches Kraftwerk eine neue Betriebsgenehmigung mit strengen Prüfungen benötigt. Der Experte erwartet Kosten von mindestens 0,5 bis eine Milliarde Euro, um ein Kraftwerk wieder fit zu machen. Bis es wieder am Netz sei, vergingen bis zu fünf Jahre, weil Personal ausgebildet werden müsse.

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Welche Firmen bauen AKW?

Weltweit liefern im Wesentlichen vier große Firmen Atomreaktoren: der chinesische Staatskonzern CNNC, der französische Staatskonzern EdF, ein Tochterunternehmen der russischen Atombehörde Rosatom und das US-Unternehmen Westinghouse, das dem Finanzinvestor Brookfield und dem Brennelementehersteller Cameco (beide Kanada) gehört.

Wie lange dauert der Bau eines neuen AKW?

Im vergangenen Jahrzehnt dauerte der Bau eines Atomkraftwerks im Schnitt knapp zehn Jahre, Planung und Genehmigung nicht eingeschlossen. Allerdings hängt es sehr stark vom Einzelfall ab. Beim dritten Reaktor im finnischen Olkiluoto waren 16,6 Jahre vom ersten Spatenstich bis zur Stromlieferung nötig, geplant waren 4,2 Jahre. Der Doppelreaktor im britischen Hinkley Point sollte 2023 nach zehn Jahren Bauzeit ans Netz, derzeit wird mit 2031 gerechnet. Dem Nuklearreport zufolge verzögert sich fast die Hälfte aller AKW-Projekte weltweit. China schafft es, neue Reaktoren in knapp über sieben Jahren zu bauen.

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Im südchinesischen Changjiang wird das Atomkraftwerk erweitert. 2026 soll es in Betrieb gehen. © picture alliance / Xinhua News Agency | Liu Kun

Was kostet ein neues Atomkraftwerk?

Je nach Größe und Technologie unterscheiden sich auch die Kosten. Die beiden Reaktoren in Hinkley Point haben eine Leistung von zusammen 3,2 Gigawatt, die Technologie stammt vom französischen Staatskonzern EdF. Die Kosten werden derzeit mit 57 Milliarden Euro beziffert, geplant waren 19 Milliarden Euro. Olkiluoto 3 (1,6 Gigawatt Leistung, seit 2022 am Netz) kostete rund elf Milliarden Euro, geschätzt waren 4,5 Milliarden Euro. Gebaut haben die EdF-Tochter Framatome und Siemens. Flamanville 3 (ebenfalls EdF) in der Normandie kostet geschätzt 23,7 Milliarden Euro statt der geplanten 3,3 Milliarden Euro. 

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Wie teuer ist Atomstrom?

Die US-Investmentbank Lazard schätzt jedes Jahr für die USA, was es kostet, eine Kilowattstunde Strom zu erzeugen. Für Atomenergie waren danach 2024 im Schnitt 18,2 US-Cent nötig. Gas kam auf 16,9 US-Cent. Solarstrom kostete 6,1 US-Cent, Windstrom 5,0 US-Cent. Dass es billiger wird, ist unwahrscheinlich. Christian von Hirschhausen, Wirtschaftsprofessor an der Technischen Universität Berlin, schreibt in seinem Buch zur Atomenergie: „Fehlende Wirtschaftlichkeit und steigende Kosten dominieren die kommerzielle Kernkraftwirtschaft bis heute.“ Deshalb steht hinter praktisch allen Neubauten weltweit der Staat.

Was sagen die ehemaligen Betreiber der deutschen Atomkraftwerke?

Die vier ehemaligen AKW-Betreiber EnBW, Eon, RWE und Vattenfall haben mit Kernenergie in Deutschland abgeschlossen. EnBW und RWE investieren kräftig in erneuerbare Energien. Eon hat sich zum Netzbetreiber und Stromvertrieb gewandelt. Vattenfall konzentriert sich auf Strom aus erneuerbaren Quellen und das Endkundengeschäft. „Atomkraftwerke rechnen sich nicht und sind deshalb uninteressant“, sagt ein hochrangiger Manager aus der Branche, der nicht genannt werden möchte.

Was versprechen neuartige kleine AKW, die SMR?

SMR sind kleine Reaktoren mit einer Leistung bis zu 300 Megawatt. Die Idee: Werden wesentliche Teile standardisiert und in Masse gefertigt, lassen sie sich billiger herstellen. Statt einer großen Anlage könnten dann dezentral viele kleine aufgestellt werden. Weltweit werden verschiedene Konzepte verfolgt, meist handelt es sich um kleine Versionen von AKW mit bewährter Technik. Prominentester Entwickler ist sicherlich der britische Triebwerksbauer Rolls-Royce. Innovativere Ansätze arbeiten zum Beispiel mit flüssigem Uran und flüssigem Blei als Kühlmittel wie die deutsche Firme Dual Fluid. Manche wollen Atommüll als Brennstoff benutzen.

Wann können solche SMR einsatzbereit sein und was kosten sie?

Viele dieser Konzepte sind nur Theorie. In großem Maßstab gebaut wurden bisher keine dieser neuartigen Reaktoren. „Die Lücke zwischen der Begeisterung für SMR und der industriellen Realität wächst weiter“, befinden die Experten des Nuklearreports.

Wie viel Atommüll gibt es in Deutschland und was soll damit geschehen?

Während des Betriebs der deutschen AKW sind rund 27.000 Kubikmeter hoch radioaktiven Atommülls angefallen. Er soll tief unter der Erde verstaut werden. Einen geeigneten Standort sucht die Bundesgesellschaft für Endlagerung. Er wird frühestens in 20 Jahren feststehen. Derzeit lagert der Atommüll an den ehemaligen Kraftwerken und in den Zwischenlagern Ahaus (Nordrhein-Westfalen) und Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern).

Wer hat das Endlagerproblem bereits gelöst?

Finnland ist das einzige Land der Welt, das bereits über ein Endlager verfügt. Seit August 2024 läuft der Probebetrieb in der Anlage. Betreiber Posiva spricht davon, Mitte des Jahrzehnts erste Brennstäbe einzulagern. Schweden baut ein Endlager nahe dem Atomkraftwerk Forsmark. Die Schweiz erkundet das Gestein in Nördlich Lägern nahe der deutschen Grenze. Frankreich setzt auf ein Endlager in Bure im Osten des Landes, derzeit wird untersucht.

February 27, 2020, Eurajoki, Finland: Tunnels over 400 meters underground in Posiva s spent nuclear fuel repository ONKA
In Finnland gibt es bereits ein Endlager. © imago images/ZUMA Press | IMAGO stock