Eurajoki . Finnland testet das erste Atommüllendlager der Welt. Kann es ein Vorbild für Deutschland sein? Ein Besuch 450 Meter tief im Gestein.
Es ist trocken hier unten, bei dauerhaft elf Grad. Obwohl die Lüftung brummt, riecht es leicht nach Abgasen der schweren Maschinen. Während die Wände der Haupttunnel mit Stahlnetz und grauem Beton verkleidet sind, tritt hier im Seitentunnel das rohe Gestein hervor, 1,9 Millionen Jahre alt. Am Boden sind im Licht der Leuchtstoffröhren etwa alle acht Meter grüne Kreuze zu sehen. Jedes markiert die Stelle für ein Loch, in dem vermutlich 2025 ein Behälter mit Atommüll versenkt wird. Denn was wie ein Bergwerk aussieht, ist das bisher einzige Atommüllendlager der Welt: Onkalo.
Knapp 450 Meter höher strahlt die Mai-Sonne auf das Gelände des finnischen Betreiberunternehmens Posiva. Rundherum drei Meter hohe Sicherheitszäune in zwei Reihen. Dahinter jenseits der Straße zum Atomkraftwerk Olkiluoto Birken, Fichten, Kiefern. Das Besondere hier ist neben dem Tunnelsystem das graue Gebäude, auf das Pasi Tuohimaa zeigt. „Weltweit einmalig“, sagt er. Eine Fabrik, in der Atommüll endgültig eingedost wird.
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Tuohimaa ist Kommunikationschef von Posiva. „Uran stammt aus Stein – wir geben es dem Stein zurück“, zitiert er einen Werbespruch des Unternehmens. Und: „Wir haben eine Lösung für das Atommüllproblem.“ Was stimmt. Kein anderes Land der Welt ist in dieser Frage so weit wie Finnland. In Deutschland etwa dauert es bis mindestens 2046, bis ein geeigneter Standort gefunden ist – eher länger.
Enlager in Finnland: So wird dort radioaktiver Müll gesichert
Derzeit lagert Finnlands hochradioaktiver Atommüll neben den Kraftwerken: nahe Lovissa, gut 80 Kilometer östlich von Helsinki, und eben in Olkiluoto, gut 230 Kilometer nordwestlich der finnischen Hauptstadt. Hier gibt es unterirdische Becken, in denen die gebrauchten Brennstäbe in Behältern auf das Endlager warten. Wohl 2025 sollen die ersten in das graue Gebäude wechseln.
Dort werden sie geöffnet, die Stäbe herausgenommen, getrocknet, in einen neuen Stahlbehälter gesteckt, der in eine etwa 5,5 Meter lange Kapsel aus mehreren Zentimeter dickem Kupfer geschoben wird. Sie wird mit einem Deckel verschlossen und zugeschweißt. Der Vorgang dauert je Kapsel etwa eine Woche. Alles läuft vollautomatisch, die inneren Räume sind geschützt wie die Reaktorkammer eines Atomkraftwerks. Von dort aus geht es dann mit einem Aufzug ins Endlager. Der Testlauf noch ohne radioaktives Material ist für August geplant.
Kosten für das Atommüllendlager gehen in die Milliarden
Seit Anfang der Achtziger Jahre hat Finnland einen Standort gesucht. 150 Plätze schienen geeignet. Letztlich entschied sich der Staat für Olkiluoto. 2003 begann der Bau. Die Lagerlizenz erwartet Posiva noch in diesem Jahr. Bisher kostete das Endlager rund eine Milliarde Euro. Die jährlichen Betriebskosten schätzt das Unternehmen auf 40 Millionen Euro. Das alles zahlt ein staatlich verwalteter Fonds, in den die Atomenergieunternehmen seit dem Start der Stromproduktion eingezahlt haben.
Ingenieurin Marianna Hanni steigt in den Personenaufzug, drückt einen Knopf. Es geht abwärts – von plus 13 auf minus 433 Meter in knapp einer Minute. Hanni ist eine der rund 90 Mitarbeiter von Posiva. Sie öffnet eine Tür in eine große Halle, die in den Fels getrieben ist. Von hier aus geht es mit dem Auto nach links in einen Tunnel. Sie fühle sich jedes Mal an eine Tiefgarage erinnert, sagt Hanni.
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Der Wagen stoppt. Hier auf der untersten Ebene bei etwa 450 Metern unter Null liegen jene fünf Tunnel, in denen die ersten Kapseln mit Atommüll eingelagert werden sollen. Die Gänge sind jeweils 350 Meter lang, 4,5 Meter breit, 5,5 Meter hoch. In Tunnel zwei steht auf halber Strecke ein blauer VW-Bus. Dahinter dröhnt es. Mehrere Arbeiter in leuchtenden Westen und Schutzhelmen bohren Löcher in den Stein. Fertig werden sie acht Meter tief sein und einen Durchmesser von etwa zwei Metern haben, sodass die Kapseln gut hineinpassen.
Letzte Kapsel dürfte Mitte der 2120er-Jahre eingelagert werden
Wenn es so weit ist, wird eine Spezialmaschine etwas Bentonit einfüllen, vulkanischen Lehm, der die wenige Feuchtigkeit, die aus dem Gestein kommt, langsam aufsagen soll. Darauf wird ein anderes Fahrzeug eine Kapsel rutschen lassen. Dann werden die Hohlräume mit dem Lehm aufgefüllt. Sind alle Löcher bestückt, verfüllt eine weitere Maschine den Tunnel mit Bentonit. Am Ende wird er mit einem Betonpropfen geschlossen.
Die fünf Tunnel reichen Kommunikationschef Tuohimaa zufolge bis 2035, neue würden vermutlich von 2035 an gebohrt. Insgesamt können bis zu 6500 Tonnen Atommüll eingelagert werden. Viel mehr finnischen Atommüll wird es wohl nicht geben, weitere Atomkraftwerke sind nicht geplant. Und der Import radioaktiven Abfalls aus dem Ausland ist verboten. Für Deutschland schätzt das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) die hochradioaktive Abfallmenge auf 27.000 Tonnen.
Jetzt zischt der Aufzug wieder nach oben gen Tageslicht. Derzeit liefern Finnlands Atomreaktoren etwa 40 bis 45 Prozent des benötigten Stroms, allein ein Drittel kommt aus den drei Blöcken von Olkiluoto, die zwei Kilometer entfernt stehen. Die Reaktorblöcke 1 und 2 sollen 2039 und 2042 heruntergefahren werden. Block 3 ging erst 2023 ans Netz, 14 Jahre verspätet. Die Laufzeit ist auf 60 Jahre ausgelegt. Dazu kommen dann noch etwa 40 Jahre Abkühlzeit im Spezialbecken nahe dem Reaktor, bevor die letzten Brennstäbe eingelagert werden können.
Die letzte Kapsel dürfte Mitte der 2120er-Jahre unter der Erde verschwinden. Danach werden die Tunnel komplett gefüllt, die Anlage oben abgebaut. Die unterirdische Anlage wird dann versiegelt und mindestens 100.000 Jahre lang von allen äußeren Einflüssen abgeschirmt. Über Onkalo wachsen dann wahrscheinlich wieder Birken, Fichten und Kiefern.
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