Berlin. In den Kommunen hat sich ein riesiger Schuldenberg aufgehäuft. Der Präsident des Landkreistages schlägt nun drastische Maßnahmen vor.
Manche Städte und Gemeinden wären regelrecht dankbar darum, wenn ihnen das Wasser noch bis zum Hals stünde. Doch nicht einmal dafür ist noch Geld da. Gerade erst hatte das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) in einer Studie ermittelt, dass in den nächsten drei Jahren jedes siebte kommunale Hallenbad und jedes sechste Freibad schließen müsse, wenn sich nichts am Investitionsrückstand der bröckelnden Sportanlagen ändere.
Ob bei der maroden Infrastruktur, der Unterbringung von Geflüchteten oder der kommunalen Jugendarbeit – vielen Städten und Gemeinden geht zunehmend die Luft aus. Allein in den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres haben Deutschlands Städte, Gemeinden und Landkreise einen Schuldenberg von rund 25 Milliarden Euro angehäuft. Zwar dürfte sich das Defizit im vierten Quartal erfahrungsgemäß etwas verringern. Das erwartete Minus von 13,2 Milliarden Euro für das gesamte Jahr dürfte dennoch nicht zu halten sein. Insgesamt belaufen sich die Schulden der Gemeinden auf rund 163 Milliarden Euro.
Achim Brötel, Präsident des Deutschen Landkreistages, sieht das Land daher vor einer Richtungsentscheidung. „Bei dieser Bundestagswahl steht wirklich viel auf dem Spiel“, sagt der CDU-Politiker im Gespräch mit dieser Redaktion. Es gehe darum, ob die Politik noch die Kraft habe, notwendige Reformen anzustoßen. „Gelingt das nicht, dann sehe ich den demokratischen Rechtsstaat in Deutschland mittel- und langfristig in echter Gefahr“, warnte Brötel, der als amtierender Landrat des Neckar-Odenwald-Kreises tätig ist. In Österreich und in den USA habe man gesehen, wie schnell Staaten Populisten in die Hände fallen könnten, so Brötel mit Blick auf die Wahlsiege von Herbert Kickl (FPÖ) und dem US-Republikaner Donald Trump.
In einem 20-seitigen Forderungskatalog, der dieser Redaktion exklusiv vorliegt, hat der Landkreistag festgehalten, wo die größten Probleme der Kommunen liegen – und wie sie gelöst werden könnten. Ein Überblick.
Fehlendes Geld
25 Forderungen hat der Landkreistag erarbeitet, am Ende kreisen fast alle aber um ein Problem: Die Städte und Gemeinden sind klamm bei Kasse. 240 der 294 Landkreise hätten Probleme mit dem Haushaltsausgleich. Immer mehr Aufgaben würden ihnen zugewiesen werden, ohne dass die Kosten dafür gedeckt oder ausreichend qualifiziertes Personal vorhanden seien.
Landkreistags-Präsident Brötel sieht einen Schuldigen in der Bundespolitik, die offenbar den Umgang mit Geld verlernt habe: „Während der Pandemie haben wir erlebt, dass für alles und jedes auf einmal Geld da war und selbst 1 Milliarde Euro scheinbar nur noch eine kleine Münze war. Aus dieser Denkweise ist die Politik anschließend dann aber nicht mehr herausgekommen.“
Um zumindest die größten Löcher stopfen zu können, wollen die Landkreise dreimal so viel Geld aus der Umsatzsteuer erhalten wie bisher. Bisher gehen von der Umsatzsteuer rund zwei Prozent an die Gemeinden. Im ersten Halbjahr des vergangenen Jahres waren das 2,4 Milliarden Euro. Würde man den kommunalen Anteil der Umsatzsteuereinnahmen verdreifachen, würden rund 11,5 Milliarden Euro brutto mehr in die Gemeindekassen fließen, kalkuliert der Landkreistag. Auf Entlastung dringen die Landkreise auch bei den Ausgaben der Sozialhilfe, etwa der Kinder- und Jugendhilfe.
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Bürgergeld
Brötel fordert eine Reform des Bürgergeldes – „bis hin zum vollständigen Leistungsentzug für Totalverweigerer“. Wer sich Einladungen des Jobcenters grundlos entziehe, signalisiere, dass er nicht auf Hilfe angewiesen ist, so der Landrat. Zudem spricht sich der Landkreistagspräsident dafür aus, die Karenzzeit zu streichen: „Wir akzeptieren im ersten Jahr jeden Mietpreis. Das führt dazu, dass Vermieter bei Bürgergeld-Empfängern gerne auch einmal ein paar Euro pro Quadratmeter aufschlagen, weil sie wissen, dass es ohnehin übernommen wird.“
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Werde nach einem Jahr kein Wohnraum zu angemessenen Preisen gefunden, würden überteuerte Mieten noch weiter übernommen. „Das kann so doch nicht mehr weitergehen, weil es am Ende nur zur gesellschaftlichen Spaltung führt“, findet Brötel.
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Das Pestel-Institut hatte im vergangenen Jahr berechnet, dass rund 15 Milliarden Euro für die Kosten der Unterkunft gezahlt wurden, überwiegend von den Job-Centern. Besonders drastisch sei es in München gewesen. In der bayerischen Landeshauptstadt hätte die von den Jobcentern gezahlte Miete bei 19,40 Euro pro Quadratmeter und damit mehr als 50 Prozent über der Münchener Durchschnittsmiete gelegen.
Pflege und Gesundheit
Bei der Pflegeversicherung fordert der Landkreistag einen Umbau vom jetzigen Teilkaskomodell hin zu einer Vollkaskoversicherung. Mit Blick auf Pflegeheime berichtet Brötel: „Wir haben Fälle, bei denen die Entgelte zuletzt um über 1000 Euro pro Monat gestiegen sind. Und: Eigenanteile von mehr als 3000 Euro pro Monat sind keine Seltenheit mehr. Wer bekommt denn so viel Rente?“ Wer nicht mehr zahlen könne, wandere in die Hilfe zur Pflege, die von den Kommunen gestemmt werde. „Wir können die ständig und stark steigenden Kosten auf Dauer aber auch nicht mehr zahlen.“
Nur: Würde die Pflegeversicherung zur Vollkaskoversicherung, wären steigende Beiträge unausweichlich. Schon jetzt liegen die Sozialabgaben beim Lohn über der lange Zeit eingezogenen Haltelinie von 40 Prozent. „Arbeit wird damit noch teurer“, muss auch Brötel eingestehen. „Das ist keine gute Nachricht, aber uns fehlt schlicht die Alternative.“
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Mit Blick auf die medizinische Versorgung dringen die Landkreise auf eine dauerhafte Finanzierung der Inflationskosten sowie auf eine Reform der Notfallversorgung. Der ambulante Notdienst müsse gestärkt werden, um Notdienste und Notaufnehmen in den Krankenhäusern zu entlasten.
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Migration
In der Migrationspolitik setzt der Landkreistag auf eine Wende: EU-Außengrenzen sollten konsequenter geschützt, Asylverfahren in Transitzentren an den Grenzen durchgeführt werden. Brötel bekräftigte zudem seine Forderung, den subsidiären Schutzstatus abzuschaffen. Auch den Familiennachzug will der Landkreistag so weit wie möglich aussetzen. Leistungen an Asylbewerber müssten europaweit auf eine Grundversorgung begrenzt werden. Neu einreisende Ukrainer sollten zudem kein Bürgergeld mehr erhalten, so der Landkreistagspräsident.
Straffällig gewordene Migranten sollten konsequent abgeschoben werden, forderte Brötel – auch nach Syrien: „Da die Bundesregierung aber bereits Geld für freiwillige Rückkehrer zahlt, wäre es jetzt auch nur konsequent, vollziehbar ausreisepflichtige Syrer wieder konsequent abzuschieben. Dabei sollte mit straffällig gewordenen Personen begonnen werden.“
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Glasfaser und Deutschlandticket
Beim Glasfaserausbau bemängelt der Landkreistag eine nachlassende Dynamik und fordert daher neue Fördermittel, sodass bis 2030 Glasfaser überall verfügbar sei. Kostenpunkt: mindestens 3 Milliarden Euro pro Jahr.
Beim Deutschlandticket bremsen die Landkreise: Das Angebot könne nur fortgesetzt werden, wenn es dauerhaft vollständig von Bund und Ländern finanziert sei.
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