Essen. Galeria stellt Verdi kalt und setzt sich über die Tarifautonomie hinweg. Die Warenhauskette sendet damit ein fatales Signal. Ein Kommentar.
Mit der Tarifautonomie ist Deutschland immer ganz gut gefahren. Gewerkschaften und Arbeitgeber handeln Gehälter und Arbeitszeiten aus, ohne dass sich der Staat einmischt. So will es auch das Grundgesetz mit seinem Artikel zur Koalitionsfreiheit.
Galeria hat diesen Konsens nun aufgekündigt. Statt mit Verdi einen Tarifvertrag auszuhandeln, schließt die Geschäftsführung nun mit jeder und jedem einzelnen Beschäftigten eine Vereinbarung über künftige Gehaltssprünge ab. Und damit genug Druck auf dem Kessel ist, müssen mindestens 90 Prozent einer Filiale oder der Zentrale in Essen zustimmen. Sonst geht man leer aus.
Galeria hat Beschäftigte überrumpelt
Die Überrumpelungsstrategie hat funktioniert. Die große Mehrheit der Mitarbeitenden hat für das „betriebliche Bündnis“ gestimmt, obwohl sie damit weiterhin deutlich schlechter fahren als mit der von Verdi geforderten Rückkehr in den Flächentarifvertrag.
Das klare Votum kam sicherlich auch zustande, weil die Beschäftigten wenigstens ein kleines Plus retten wollten. Sie haben schon lange genug verzichtet. Mit ihrer Zustimmung haben sie aber zugleich ihrer Gewerkschaft eine herbe Niederlage beschert. Das Verhältnis zwischen Verdi und dem Gesamtbetriebsrat von Galeria gilt schon lange als zerrüttet. Mit dem „betrieblichen Bündnis“ ist der Bruch nun besiegelt.
Tarifautonomie in akuter Gefahr
In der Gewerkschaft herrscht zurecht Alarmstimmung. Im Einzelhandel wird längst weniger als ein Viertel der Beschäftigten nach Tarif bezahlt. Wenn jetzt auch noch Arbeitgeber nach Gutsherrenart sogar einen Haustarifvertrag ablehnen und individuelle Vereinbarungen mit den Beschäftigten abschließen, ist die deutsche Tarifautonomie in akuter Gefahr.
Nach drei Insolvenzen in nur vier Jahren, in denen Galeria Tausende Stellen abbaute und die Beschäftigten zum Verzicht drängte, ist es ein fatales Zeichen, dass ausgerechnet der Essener Warenhauskonzern nun den Vorreiter gegen die Tarifautonomie spielt und schlechtere Bedingungen für seine Mitarbeitenden zementiert.
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