Essen. Bei Galeria eskaliert der Streit über die Bezahlung. Was hinter dem „betrieblichen Bündnis“ steckt und warum Gewerkschafter davor warnen.
Mitten im so wichtigen Weihnachtsgeschäft herrscht bei Galeria einmal mehr große Unruhe. Im abgelaufenen Geschäftsjahr 2023/24 soll der Essener Warenhauskonzern rote Zahlen geschrieben haben. Und mit den meisten Beschäftigten hat die Geschäftsführung vorbei an der Gewerkschaft Verdi ein „betriebliches Bündnis“ geschlossen, das Gehaltseinbußen im Vergleich zum Flächentarif zementiert.
Seit Jahren verzichten die Galeria-Beschäftigten auf bis zu 30 Prozent ihrer Gehälter, um die kriselnde Warenhauskette zu stabilisieren. Nach dem Abschluss der dritten Insolvenz in nur vier Jahren wollte Verdi seit dem Sommer mit dem Unternehmen über die Rückkehr in den Flächentarifvertrag mit deutlichen Verbesserungen verhandeln. Doch Galeria ließ die Gespräche Mitte Oktober platzen und forderte stattdessen alle 12.500 Mitarbeitenden per Post auf, individuelle Gehaltsvereinbarungen zu unterschreiben.
Große Zustimmung für „betriebliches Bündnis“ bei Galeria
Verdi-Verhandlungsführer Marcel Schäuble war aufgebracht und monierte: „Den Kolleginnen und Kolleginnen wird die Pistole auf die Brust gesetzt.“ Doch die Galeria-Chefs hatten Erfolg mit ihrer Strategie. In 78 der 83 Warenhäuser sowie in der Essener Hauptverwaltung wurde die geforderte Zustimmungsquote von 90 Prozent erreicht oder gar übersprungen.
Alle, die nun per Unterschrift dem „betrieblichen Bündnis“ beitreten, sollen mehr Geld erhalten - einen Inflationsausgleich, 3,0 Prozent rückwirkend zum 1. Oktober, 3,3 Prozent zum 1. Januar 2025 sowie jeweils 2,5 Prozent zum 1. Oktober 2025 und 2026. Bereits im vergangenen Monat hatte Verdi darauf hingewiesen, dass die von Galeria garantierten Erhöhungsschritte kritisch zu beurteilen seien. Die 3,3 Prozent zum 1. Januar müsse Galeria laut Vereinbarung ohnehin bezahlen, der Betrag sei bislang über Freizeit abgegolten worden.
Verdi: Galeria übt „enormen Druck“ auf Beschäftigte aus
Doch das ist nicht der einzige Punkt, der den Gewerkschaftern sauer aufstößt. Auch mit den im Bündnis zugesicherten Gehaltssprüngen verdienten Galeria-Beschäftigte am Ende immer noch durchschnittlich 23 Prozent weniger als ihnen nach dem Flächentarifvertrag zustünden. Dass eine überwältigende Mehrheit dennoch dem Deal zugestimmt habe, führt Verhandlungsführer Schäuble auf „enormen Druck“ und eine „kurze Entscheidungsfrist“ zurück, den die Geschäftsführung etwa mit täglich verteilten Info-Blättern auf die Beschäftigten ausgeübt habe.
Nach Informationen unserer Redaktion soll bei Galeria schon wieder das Gespenst möglicher weiterer Filialschließungen umgehen. Die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet überdies, dass in der Essener Hauptverwaltung, die im kommenden Jahr nach Düsseldorf verlegt werden soll, Personal fehle. „Auch dort sind mehr abgesprungen als geplant“, so das Blatt.
„Diese fragwürdigen Methoden hat es im deutschen Einzelhandel noch nicht gegeben“
Geht es nach dem Management, ist Verdi bei den Gehaltsverhandlungen im Warenhauskonzern nun komplett raus. Das will Verhandlungsführer Marcel Schäuble nicht auf sich sitzen lassen. „Mit dem ,betrieblichen Bündnis‘ betritt Galeria absolutes Neuland. Diese fragwürdigen Methoden hat es im deutschen Einzelhandel noch nicht gegeben“, sagte er unserer Redaktion.
Der Tarifexperte spricht von einer „von langer Hand geplanten Strategie: einerseits Mitbestimmung zurückzudrängen – beispielsweise durch Abschaffung des Aufsichtsrates – und andererseits Gehälter dauerhaft deutlich gegenüber den Flächentarifverträgen abzusenken“. Dabei sei Galeria aus Sicht der Gewerkschaft zu Tarifverhandlungen mit Verdi verpflichtet.
Verdi: Kein Anspruch auf Weihnachts- und Urlaubsgeld
Obwohl sich die große Mehrheit der Mitarbeitenden im Endeffekt gegen die Linie von Verdi entschieden hat, bemüht sich die Gewerkschaft um Schadensbegrenzung: „Wir können vor dem Hintergrund, dass die Menschen bei Galeria jeden Euro mehr dringend benötigen, verstehen, dass sich viele gezwungen sahen, schnell zu handeln und das Angebot anzunehmen, um das niedrige Einkommen, wenn auch nur geringfügig, anzuheben“, meint Schäuble.
Vor den Konsequenzen warnt er gleichwohl: „Mit ihrer Unterschrift haben die Beschäftigten auch automatisch die Rechtsauffassung des Arbeitgebers bestätigt, dass Gehälter gegenüber dem Flächentarifvertrag auch in Zukunft abgesenkt bleiben und sie keinen Anspruch auf Weihnachts- und Urlaubsgeld haben“, sagt der Tarifexperte. „Damit wird ausgeschlossen, Forderungen auf Vergütung nach Flächentarifvertrag rechtlich geltend zu machen.“
Dem „betrieblichen Bündnis“ muss freilich auch der Gesamtbetriebsrat zustimmen. Sein Verhältnis zu Verdi gilt seit langem als angespannt.
Bericht über rote Zahlen bei Galeria
Höhere Gehälter kann oder will sich Galeria offenbar nicht leisten. Das Geschäftsjahr 2023/24, das im September endete, soll das Unternehmen mit einem operativen Verlust von etwas mehr als 100 Millionen Euro abgeschlossen haben, berichtet das Branchenblatt „Lebensmittelzeitung“. Im laufenden Geschäftsjahr plane das Unternehmen mit Olivier Van den Bossche aber mit einem Gewinn von 50 Millionen Euro.
Mehrere Anfragen unserer Redaktion zu Bilanzzahlen und dem betrieblichen Bündnis bleiben von Galeria seit Wochen unbeantwortet.
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