Essen. Verdi-Bundesvorständin Silke Zimmer fordert im Podcast Bezahlung nach Tarif. Verkäuferinnen drohe branchenweit Altersarmut, warnt sie.

Bei der insolventen Warenhauskette Galeria steht der nächste Konflikt ins Haus: Die Gewerkschaft Verdi pocht darauf, dass die Beschäftigten nicht länger auf Gehalt verzichten müssen. „Nach unserer Auffassung gilt der Flächentarifvertrag wieder“, sagt Silke Zimmer, Mitglied im Verdi-Bundesvorstand, im WAZ-Podcast „Die Wirtschaftsreporter“.

Seit Jahren hält sich Galeria mit einem sogenannten Sanierungstarifvertrag über Wasser. Die Beschäftigten verzichten auf Geld, um der Warenhauskette wirtschaftlich zu helfen. Am Monatsende haben die Verkäuferinnen und Verkäufer deshalb rund 176 Euro weniger auf dem Konto, hat Verdi-Spitzenfrau Silke Zimmer ausgerechnet. „Wenn man wettbewerbsfähig sein will, die besten Köpfe und die qualifiziertesten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben will, dann wird Galeria hier etwas tun müssen für die Beschäftigten“, fordert die Gewerkschafterin.

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Qualifiziertes Personal? „Nicht zum Nulltarif!“

Die Wirtschaftsreporter

Für die rund eine Million Beschäftigten im nordrhein-westfälischen Einzelhandel hat Verdi nach mehr als einjährigen Verhandlungen mit den Arbeitgebern vorgelegt. „Eine Kollegin hat am Ende bis zu 400 Euro mehr Geld jeden Monat zur Verfügung. Das ist richtig super“, meint Zimmer. Da das Gehaltsniveau im Einzelhandel aber traditionell niedrig ist, fällt der Blick in die Lohntabelle ernüchternd aus. „Eine Verkäuferin verdient in der Endstufe 2832 Euro. Da bleiben aktuell rund 1900 Euro übrig“, sagt die Verdi-Bundesvorständin.

Vor der Podcast-Aufzeichnung diskutierte Verdi-Bundesvorständin Silke Zimmer mit Mitgliedern unserer Redaktion: v.l Ute Schwarzwald, Lena Schlösser, Anne Krum und Stefan Schulte.
Vor der Podcast-Aufzeichnung diskutierte Verdi-Bundesvorständin Silke Zimmer mit Mitgliedern unserer Redaktion: v.l Ute Schwarzwald, Lena Schlösser, Anne Krum und Stefan Schulte. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Die gut klingenden Zahlen treffen allerdings nur auf Vollzeit-Beschäftigte zu. Und die sind klar in der Minderheit. Im Einzelhandel arbeiten vorwiegend Frauen in Teilzeit. „Mit 30 Stunden pro Woche verdienen Sie 1600 Euro. Und da bleibt weniger Geld übrig am Ende des Monats“, erklärt Zimmer.

Die Gründe liegen aus ihrer Sicht auf der Hand: Frauen bringen viel Zeit auf, um sich um die Erziehung ihrer Kinder und die Pflege von Angehörigen zu kümmern. Zimmer hat auch eine Zahl parat. „Wir wissen, dass eine Frau im Schnitt 79 Minuten länger am Tag Care-Arbeit leistet im Vergleich zu den Männern. Da müssen wir in Zukunft weiter gemeinsam voran kommen“, fordert die Gewerkschafterin. Sie sieht auch die Unternehmen in der Pflicht, überhaupt mehr Vollzeit-Stellen anzubieten. Aktuell gebe es davon zu wenige.

90 Prozent der Verkäuferinnen mit Rente unter 1200 Euro

Die hohe Teilzeit-Quote macht sich bei Frauen nicht nur auf dem Gehaltszettel negativ bemerkbar, sondern auch bei der Rente. Zimmer warnt vor Altersarmut. „90 Prozent aller Beschäftigten im Einzelhandel werden keine Altersrente von 1200 Euro erreichen. Das heißt, sie werden im Alter auf soziale Leistungen angewiesen sein“, sagt sie. Wenn die Arbeitgeber nicht durch höhere Gehälter und mehr sozialversicherungspflichtige Stellen gegensteuerten, müssten dafür die Steuerzahler aufkommen.

Umso mehr zeigt sich Zimmer erleichtert, dass der aktuelle Tarifabschluss nicht nur höhere Gehälter vorsehe. Erreicht worden sei auch eine Altersvorsorge, die um 40 Prozent auf monatlich 420 Euro angehoben worden ist. „Hier sind wir einen Riesenschritt vorangekommen“, meint die Verdi-Vorständin. Jetzt sei es wichtig, dass die Beschäftigten das Angebot auch annehmen und einen entsprechenden Antrag auf tarifliche Altersvorsorge bei ihren Arbeitgebern stellen.

Für viele Beschäftigte der SB-Warenhauskette Real kommt der Tarifabschluss indes zu spät. Im März wurden die letzten Filialen geschlossen. Die Marke ist aus dem deutschen Einzelhandel verschwunden. Während ihrer Zeit als Landesfachbereitsleiterin bei Verdi in NRW hatte Silke Zimmer den jahrelangen Kampf der einst 30.000 Beschäftigten organisiert. Am Ende trennte sich der Handelskonzern Metro von Real. Die Kette wurde zerschlagen.

Silke Zimmer: Verbraucher haben kaum Wahlmöglichkeit beim Einkauf

Trotz einiger Schließungen und Kündigungen für Mitarbeitende verweist die Gewerkschafterin auf Erfolge. „Es ist uns gelungen, möglichst viele Standorte zu erhalten. Sie sind an andere Erwerber wie Edeka, Rewe, Kaufland oder Globus gegangen“, sagt sie. Der überwiegende Teil der Märkte und deren Arbeitsplätze existierten fort. Mit Sorge beobachtet Zimmer nun, dass mit dem Verschwinden von Real die Marktmacht der großen vier Lebenmittelhändler Edeka, Rewe, Aldi und Lidl/Kaufland weiter wachse. „Als Konsument hat man vielfach keine Wahlmöglichkeit mehr“, meint die Verdi-Frau. Die großen Ketten entschieden nun, „was angeboten wird und zu welchem Preis“.

Ein ähnlicher Konzentrationsprozess zeichnet sich gerade im Textilhandel ab. Große Unternehmen wie Gerry Weber, Hallhuber oder zuletzt Esprit mussten Insolvenz anmelden. Billigketten wie Zara, Kik oder C&A expandieren. Silke Zimmer beschreibt den Wandel so: „Es gibt einen Trend zu Unternehmen, die in Anführungszeichen Billigsortimente anbieten und andere, die höherpreisige Sortimente haben. Das zeigt, dass der Textileinzelhandel besonders unter Druck steht.“ Letztlich zeige es auch, so die Spitzengewerkschafterin, dass es in Deutschland zu viel Einzelhandelsfläche gebe. „Wir sehen jetzt, dass diese Überkapazitäten abgebaut werden.“

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