Essen. Die Ergebnisziele für Thyssenkrupp hat Konzernchef López bereits nach unten korrigiert. Im Fokus steht nun auch die Dividende.
Als Miguel López am 22. November vergangenen Jahres erstmals als Thyssenkrupp-Chef eine Jahresbilanz präsentierte, war er erst knapp sechs Monate im Amt. Wenn López nun den Geschäftsbericht 2023/24 vorlegt, ist die Ausgangslage eine andere: Es handelt sich um das erste Thyssenkrupp-Jahreszahlenwerk, bei dessen Entstehung López vom Anfang bis zum Ende in Verantwortung gestanden hat. Dass mit Blick auf die Geschäftsentwicklung kaum Jubel ausbrechen dürfte, legen die Vorhersagen des Managements aus den vergangenen Monaten nahe.
Ende Juli korrigierte der Vorstand um López die Erwartungen nach unten: Seitdem geht die Konzernführung von einem Umsatz-Rückgang zwischen sechs bis acht Prozent im Vergleich zum Vorjahr aus. Besonders bitter: Bei der wichtigen Kennziffer „Free Cashflow“ – ohne Berücksichtigung von Firmen-Deals – rechnet der Vorstand mit einem Minus von 100 Millionen Euro. Vor der Prognose-Anpassung wollte López noch einen positiven Wert im niedrigen dreistelligen Millionen-Euro-Bereich erreichen. Kurzum: Es fließt weiterhin Kapital aus dem Unternehmen ab. Mehr Geld geht aus der Kasse raus, als reinkommt. Unter dem Strich rechnet der Thyssenkrupp-Vorstand mit einem Verlust „im mittleren bis hohen dreistelligen Millionen-Euro-Bereich“.
Dass der Thyssenkrupp-Konzern mit seinen rund 100.000 Beschäftigten rote Zahlen schreibt, erhöht den Handlungsdruck für Vorstandschef López, der im Juni 2023 mit dem Versprechen angetreten ist, das Unternehmen wieder auf Kurs zu bringen. „Viel zu lange ist viel zu wenig passiert bei Thyssenkrupp“, sagte López ziemlich genau ein Jahr nach seinem Start bei einem Auftritt vor der Wirtschaftspublizistischen Vereinigung im Düsseldorfer Industrie-Club. „In den vergangenen Monaten haben wir gezeigt, dass es auch anders geht. Es bleibt nicht mehr beim Ankündigen, es wird gehandelt“, hob López hervor. Ein „Weiter wie bisher“ dürfe und werde es bei Thyssenkrupp nicht mehr geben.
López: „Heute haben wir ein jüngeres Team, supermotiviert“
Das Management hat López massiv umgebaut. „Von den 150 Top-Managern haben rund 40 Prozent gewechselt“, berichtete der Thyssenkrupp-Chef vor wenigen Tagen in einem „Focus“-Interview und schickte ein „insbesondere aus Altersgründen“ hinterher. „Heute haben wir ein jüngeres Team, supermotiviert.“
Sämtliche wichtigen Spartenchefs sind – abgesehen vom Marine-Geschäft mit Oliver Burkhard – während der Amtszeit von López ausgetauscht worden. Seit Anfang Oktober führt Konzernvorstand Volkmar Dinstuhl auch das wichtige Segment Automotive Technology bei Thyssenkrupp mit mehr als 30.000 Beschäftigten.
Einige Wochen zuvor hatte es bei einem Stühlerücken an der Spitze der Thyssenkrupp-Werkstoffhandelssparte gekracht. Um die neue Segment-Chefin Ilse Henne durchzusetzen, die wie Dinstuhl auch Vorstandsmitglied der Thyssenkrupp AG ist, musste der zuständige Aufsichtsratschef Jens Schulte nach Angaben der IG Metall seine Doppelstimme einsetzen, um damit die Vertreter der Belegschaft zu überstimmen. Arbeitnehmervertreter sprachen danach von einem „rücksichtslosen Durchdrücken von Personalentscheidungen“.
Besonders groß war der Knall in der Thyssenkrupp-Stahlsparte. Ende August mussten drei Stahl-Vorstände gehen, darunter Sparten-Chef Bernhard Osburg. Auch vier Aufsichtsräte schmissen hin, allen voran der frühere Vizekanzler Sigmar Gabriel als Steel-Aufsichtsratschef und sein Stellvertreter Detlef Wetzel von der IG Metall. Es dominierten nun die „Ja-Sager“, sagen Kritiker von López, dessen Drei-Jahres-Vertrag bis Ende Mai 2026 läuft.
Branchenüblich ist, dass etwa ein Jahr vor Vertragsende konzernintern verhandelt wird, wie es für ein Vorstandsmitglied weitergeht. Bezogen auf López, der seine Vorgängerin Martina Merz im Juni 2023 abgelöst hatte, wäre dies also schon im kommenden Frühjahr der Fall.
López: Interessen der Anteilseigner waren zu kurz gekommen
Thyssenkrupp-Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm gilt als Unterstützer des López-Kurses, ebenso wie Ursula Gather, die Chefin der Großaktionärin Krupp-Stiftung.
Die Interessen der Anteilseigner-Seite bei Thyssenkrupp seien zuletzt zu kurz gekommen, sagte López zu Jahresbeginn im Gespräch mit unserer Redaktion. „Aktionäre empfinden da nicht anders als Sparer. Sie vertrauen uns ihr Kapital an und erwarten dafür eine angemessene Verzinsung. Sonst fühlen sie sich zu Recht nicht gut behandelt“, betonte der Manager.
Doch der Aktienkurs ist unter seiner Führung gefallen. Nur noch knapp mehr als zwei Milliarden Euro ist der Traditionskonzern an der Börse wert. Mit López an der Unternehmensspitze habe die Thyssenkrupp-Aktie erheblich an Wert verloren, kritisierte Jürgen Kerner, der Zweite Vorsitzende der IG Metall und Vize-Aufsichtsratschef des Konzerns, im vergangenen Juli. „Das ist dramatisch“, sagte Kerner.
Krupp-Stiftung hofft auf Dividende des Konzerns
Bei seiner ersten Bilanz als Thyssenkrupp-Chef präsentierte López einen Fehlbetrag in Höhe von rund zwei Milliarden Euro. Gleichwohl floss eine Dividende: Wie im Vorjahr erhielten die Aktionärinnen und Aktionäre rund 93 Millionen Euro. Etwa 19,6 Millionen Euro davon kamen der Essener Krupp-Stiftung zu, die rund 21 Prozent der Anteile hält. Viel spricht dafür, dass López erneut „Dividenden-Kontinuität“ verkündet.
Die Stiftung, die ihren Sitz auf dem Gelände der Villa Hügel hat, ist auf eine Dividende angewiesen, um ihre gemeinwohlorientierten Projekte realisieren zu können. Seit dem Jahr 1968 fördert die Krupp-Stiftung Vorhaben in Kunst, Kultur, Bildung, Wissenschaft, Gesundheit sowie Sport und hat dafür bisher nach eigenen Angaben mehr als 680 Millionen Euro in die Hand genommen.
Der Verkauf der Aufzugssparte vor wenigen Jahren habe rund 17 Milliarden Euro in die Kasse von Thyssenkrupp gespült, betonte López kürzlich im „Focus“-Interview, „deshalb stehen wir momentan quasi ohne Schulden“ da. „Das bewahrt uns freilich nicht davor, dass wir im laufenden Betrieb Geld verdienen müssen.“
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