Essen/Duisburg. Thyssenkrupp rutscht tiefer in die Krise. Vize-Aufsichtsratschef nennt die Entwicklung dramatisch. Druck auf Konzernchef López steigt.

Die Führung der IG Metall zeigt sich tief besorgt um Thyssenkrupp. Nachdem Vorstandschef Miguel López erneut seine Geschäftsprognose nach unten korrigiert hat, äußert sich Jürgen Kerner, der Zweite Vorsitzende der IG Metall und Vize-Aufsichtsratschef des Konzerns, mit drastischen Worten. Unter López habe die Thyssenkrupp-Aktie rund 50 Prozent an Wert verloren. „Das ist dramatisch“, sagte Kerner unserer Redaktion. „Große Ankündigungen in Richtung Kapitalmarkt haben bei Thyssenkrupp Tradition, doch die Realität holt uns immer wieder ein. Das ist erschreckend.“ Kerner fügte hinzu: „Ich habe von der Senkung der Prognose aus den Medien erfahren.“

Wenige Stunden zuvor hatte sich der Thyssenkrupp-Vorstand noch pessimistischer als bislang schon mit Blick auf das laufende Geschäftsjahr geäußert. Bei der Umsatzentwicklung geht der Vorstand im Gesamtjahr nun von einem Rückgang zwischen sechs bis acht Prozent im Vergleich zum Vorjahr aus. Zuvor war lediglich von einem Umsatz unter dem Vorjahresniveau die Rede. Als Ergebnis vor Zinsen und Steuern (bereinigtes Ebit) strebt der Vorstand jetzt einen Wert oberhalb von 500 Millionen Euro an. Bislang war immerhin von einem „hohen dreistelligen“ Millionen-Euro-Betrag die Rede.

Bei Thyssenkrupp fließt Geld aus dem Unternehmen ab

Besonders bitter: Bei der wichtigen Kennziffer „Free Cashflow“ – ohne Berücksichtigung von Firmen-Deals – sei ein Minus von 100 Millionen Euro zu erwarten, so der Thyssenkrupp-Vorstand. Vor der Prognose-Anpassung nach unten wollte das Management noch einen positiven Wert im niedrigen dreistelligen Millionen-Euro-Bereich erreichen. Kurzum: Es fließt weiterhin Kapital aus dem Unternehmen ab. Mehr Geld geht aus der Kasse raus, als reinkommt.

Jürgen Kerner, Zweiter Vorsitzender der IG Metall, zeigt sich tief besorgt um Thyssenkrupp.
Jürgen Kerner, Zweiter Vorsitzender der IG Metall, zeigt sich tief besorgt um Thyssenkrupp. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Der Thyssenkrupp-Vorstand verweist zur Begründung auf ein „anhaltend herausforderndes Marktumfeld“ und zeigt sich wenig optimistisch: „Eine kurzfristige Marktstabilisierung im laufenden Geschäftsjahr sei derzeit nicht absehbar.“ Thyssenkrupp-Chef López hatte bereits Mitte Mai bei der Vorlage der Quartalszahlen seine Erwartungen gesenkt. 

Aktie von Thyssenkrupp stürzt an der Börse ab

An der Börse verzeichnete Thyssenkrupp am Freitag (26. Juli) nach Bekanntgabe der neuen Ziele massive Einbußen. Die Aktie verlor zwischenzeitlich mehr als sieben Prozent an Wert. Bei einem Kurs von knapp 3,60 Euro kam der gesamte Thyssenkrupp-Konzern noch auf einen Marktwert von rund 2,25 Milliarden Euro.  Damit ist das Unternehmen schon nahe am historischen Tiefstand vom 18. März 2020, als ein Wertpapier des Traditionskonzerns nach Angaben der Deutschen Börse nur 3,28 Euro gekostet hat. Zum Vergleich: In guten Zeiten des Unternehmens mussten Anleger ein Vielfaches auf den Tisch legen – beim Rekord am 30. Oktober 2007 sogar 46,92 Euro.

Thyssenkrupp-Vorstandschef Miguel López steht unter Druck.
Thyssenkrupp-Vorstandschef Miguel López steht unter Druck. © FUNKE Foto Services | Bernd Thissen

„Die Negativserie will einfach nicht abreißen“, kommentiert Marc Tüngler, der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), die Zahlen. „Besonders misslich ist die Prognose des Free Cashflows, die Kennzahl also, die zeigt, ob auch tatsächlich Geld mit dem Geschäft generiert wird. Die hat sich vom Positiven ins Negative gedreht, was bei den Anlegern die Alarmglocken läuten lässt.“ Tüngler sieht entsprechend großen Handlungsbedarf bei Vorstandschef López: „Die Zahlen offenbaren erneut, dass für die Stahlsparte zügig eine große, befreiende Lösung gefunden werden muss“, sagte Tüngler unserer Redaktion.

López strebt für die traditionsreiche Stahlsparte mit rund 27.000 Beschäftigten und großen Standorten in Duisburg, Bochum, Dortmund sowie Südwestfalen ein Bündnis mit dem tschechischen Geschäftsmann Daniel Kretinsky an. Mit seinem Unternehmen EPCG hat Kretinsky bereits 20 Prozent der Anteile an Deutschlands größtem Stahlkonzern übernommen. Später könnte er auf 50 Prozent aufstocken. Von den Arbeitnehmervertretern wird der Deal kritisch beäugt.

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