Essen/Duisburg. Thyssenkrupp-Aufsichtsratschef Russwurm sieht den Konzern in ernster Lage und warnt vor einem schleichenden Tod von Thyssenkrupp Steel.
Thyssenkrupp-Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm warnt vor einem schleichenden Tod von Deutschlands größtem Stahlkonzern und sieht in diesem Zusammenhang auch die IG Metall in der Verantwortung. Er appelliert in einem vorab online veröffentlichten Interview der „Welt am Sonntag“, alle Beteiligten sollten daran mitwirken, „Zukunftskonzepte zu erarbeiten“. Es gehe darum, „ein Stahlunternehmen zu schaffen, das sich selbst tragen und dauerhaft Geld verdienen kann“, mahnt Russwurm. „Denn sonst ist es nur eine Frage der Zeit, wann es dieses Unternehmen nicht mehr gibt.“
Trotz einer ablehnenden Haltung der Arbeitnehmervertreter hat der Thyssenkrupp-Aufsichtsrat vor wenigen Tagen einem Einstieg des tschechischen Geschäftsmanns Daniel Kretinsky bei der Stahlsparte des Ruhrgebietskonzerns zugestimmt. Russwurm übertrumpfte die Arbeitnehmervertreter mit seiner sogenannten Doppelstimme als Gremienchef. Dies hatte er wenige Wochen zuvor auch bereits bei einer umstrittenen Erweiterung des Thyssenkrupp-Vorstands getan.
Russwurm, der auch Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) ist, verteidigt sein Vorgehen. „Wir haben bis zuletzt versucht, eine Einigung mit der Arbeitnehmerseite zu finden. Aber das ist nicht gelungen. Auch nach wirklich sehr langen Beratungen war absehbar, dass es keinen Kompromiss geben wird – weil ein grundlegender Dissens besteht. Also musste ich eine Entscheidung treffen“, sagt Russwurm in dem WamS-Interview. „Und für Patt-Situationen, wie wir sie hatten, sieht der Gesetzgeber die Doppelstimme des Aufsichtsratsvorsitzenden vor. Das war weder leichtfertig noch geplant, sondern eine sachlich festgefahrene Lage.“
Stahl dürfe nicht „alle anderen Bereiche des Konzerns mit nach unten“ ziehen
Bei Thyssenkrupp sind nach Darstellung von Russwurm angesichts der schwierigen Lage in der Stahlsparte schnelle Entscheidungen erforderlich. „Wir sind in schwerem Fahrwasser mit dem Stahlbereich. Da spielt der Faktor Zeit eine große Rolle“, so Russwurm. „Zumal bei Thyssenkrupp schon zu lange gewartet wurde. Das Stahlgeschäft darf nicht mehr das Risiko sein, das alle anderen Bereiche des Konzerns mit nach unten zieht. Wir brauchen eine Lösung, nicht nur vielleicht oder irgendwann, sondern jetzt.“
Bei Thyssenkrupp sind insgesamt rund 100.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt. Neben der Stahlsparte mit etwa 27.000 Jobs gehören auch große Anlagenbaufirmen, Autozulieferbetriebe, ein Werkstoffhandel und Werften zum Essener Traditionskonzern. „Wir reden hier über einen Konzern mit vielen verschiedenen Geschäftsfeldern und 100.000 Menschen – davon 73.000 außerhalb des Stahlbereichs. Das Stahlgeschäft muss sich aus eigener Kraft tragen“, sagt Russwurm. „Es darf nicht andere Geschäfte belasten.“
Thyssenkrupp-Aufsichtsratschef Russwurm: „Ich war noch nie ein ,Basta‘-Chef“
Russwurm hält es eigener Darstellung zufolge für möglich, dass er bei Thyssenkrupp erneut seine Doppelstimme einsetzen könnte. „Ich war noch nie ein ,Basta‘-Chef. Und das werde ich auch als Aufsichtsratschef weiterhin nie sein. Würde ich deswegen ausschließen, das Doppelstimmrecht auch in Zukunft nochmal anzuwenden? Nein“, erklärt er. „Ein Aufsichtsratschef hat die Verpflichtung, verantwortlich im Sinne des Unternehmens zu handeln und entsprechende Entscheidungen sicherzustellen.“
Bei Thyssenkrupp hat der Aufsichtsrat bislang lediglich eine Beteiligung von Kretinsky mit 20 Prozent am Stahlgeschäft beschlossen. Das Ziel des Vorstands um Miguel López ist allerdings ein Gemeinschaftsunternehmen, an dem beide Seiten 50 Prozent halten.
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