Berlin. Eine Rezession in diesem, Mini-Wachstum im nächsten Jahr: Der Sachverständigenrat gibt der Wirtschaft wenig Grund zum Optimismus.
Deutschland tritt wirtschaftlich auf der Stelle – und das wird sich absehbar auch kaum ändern. Zumindest nicht, wenn die Vorhersage des Sachverständigenrates, den sogenannten Wirtschaftsweisen, eintritt. Am Mittwoch legte das fünfköpfige Gremium sein Jahresgutachten vor. Der Prognose der Top-Ökonomen zufolge wird Deutschland in diesem Jahr zum zweiten Mal in Folge in eine Rezession rutschen. Das Bruttoinlandsprodukt dürfte demnach preisbereinigt um 0,1 Prozent schrumpfen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte unlängst in seiner Wachstumsprognose eine Schrumpfung von 0,2 Prozent prognostiziert.
Erleichterung dürfte die leicht bessere Erwartung des Sachverständigenrates aber auch im Wirtschaftsministerium nicht auslösen. Zum einen wird Deutschland unter den großen Industrienationen mit ziemlicher Sicherheit wieder Schlusslicht bei der wirtschaftlichen Entwicklung werden, wie auch der Internationale Währungsfonds (IWF) prognostiziert. Zum anderen streichen die Wirtschaftsweisen in ihrem Gutachten Habecks positive Annahme für das kommende Jahr zusammen. Während der Wirtschaftsminister noch ein Plus von 1,1 Prozent im Jahr 2025 ankündigte, gehen die fünf Top-Ökonomen nur von einem Miniwachstum von 0,4 Prozent aus.
Von Arbeitgeberseite wurde ein hartes Urteil ausgestellt: „Die schlechte Wirtschaftspolitik der Merkel- und Ampel-Regierungen hat die deutsche Wirtschaft in eine dramatische Lage gebracht“, sagte Oliver Zander, Hauptgeschäftsführer von Gesamtmetall, dem Arbeitgeberverband der Metall- und Elektroindustrie, unserer Redaktion. „Die Politik muss jetzt wirklich umsteuern. Dazu braucht es nicht mehr Schulden, sondern die Priorisierung bei den Staatsausgaben“, mahnte Zander.
Immerhin für Verbraucherinnen und Verbraucher hat der Sachverständigenrat eine gute Nachricht im Gepäck: Die Inflation dürfte sich der Prognose zufolge im Zielwert der Europäischen Zentralbank (EZB) von rund zwei Prozent einpendeln: Im kommenden Jahr gehen die Wirtschaftsweisen von einer Teuerungsrate von 2,2 Prozent aus, 2026 dann von 2,1 Prozent.
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Wirtschaftsweise wollen Reformen auf dem Wohnungsmarkt durchsetzen
Schon mit dem Titel ihres 424-seitigen Gutachtens rechnen die Wirtschaftswissenschaftler mit der Politik der vergangenen Jahre ab. „Versäumnisse angehen, entschlossen modernisieren“, haben die Ökonomen ihr Werk getauft. Neben den allgegenwärtigen Problemen in der Industrie haben die Wirtschaftsweisen vier Bereiche identifiziert, in denen es Deutschland ihrer Einschätzung nach verpasst hat, einen „entschlossenen Modernisierungspfad einzuschlagen.“ Da sind zum einen die öffentlichen Investitionen. „Die Ausgaben für Infrastruktur, Bildung und Verteidigung sind im internationalen Vergleich gering“, heißt es in dem Papier. Das mache sich in der Verkehrsinfrastruktur, der Verteidigung und Bildung bemerkbar. Für die Schuldenbremse schlagen die Ökonomen daher eine „moderate, stabilitätsorientierte“ Reform vor.
Aber auch die Modernisierung der Verkehrsinfrastruktur und die Umstellung des Güterverkehrs habe Deutschland bisher verpasst. Bei der Digitalisierung des Finanzsystems hinke die Bundesrepublik hinterher und verschenke Potenziale für Innovationen und Effizienzsteigerungen. Als weiteres Problemfeld, bei dem es große Versäumnisse gebe, haben die Wirtschaftsweisen den Wohnungsmarkt identifiziert. Dort führt eine ganze Reihe von Problemen aktuell zu einem toxischen Mix: Seit 2010 hätten sich Neumieten um 60 Prozent verteuert, Bestandsmieten um 20 Prozent. Die Preise für Wohnimmobilien hätten sich mehr als verdoppelt. Gerade in den Ballungsräumen fehle es an bezahlbarem Wohnraum. Mit vielen Folgen.
Es gibt immer weniger Sozialwohnungen in Deutschland
Zum einen den sozialen. Denn einkommensschwache Haushalte sind von den drastischen Preisanstiegen besonders betroffen. Zumal die Bundesregierung von ihrem Ziel, 400.000 neue Wohnungen pro Jahr, darunter 100.000 Sozialwohnungen, zu bauen, weit entfernt ist. Die Zahl der neuen Wohnungen wird in diesem Jahr wohl deutlich unterhalb der 300.000 liegen. Und im vergangenen Jahr wurden keine 50.000 Sozialwohnungen, also nicht einmal die Hälfte des Sollwertes, gebaut.
Weil gleichzeitig immer mehr Sozialwohnungen aus ihrer Sozialbindung fallen, stand unter dem Strich sogar ein Minus von rund 15.000 Sozialwohnungen. Laut einer Untersuchung des Pestel-Instituts muss der Staat die Wohnkosten mittlerweile mit rund 20 Milliarden Euro pro Jahr bezuschussen: 15 Milliarden Euro für Wohnkosten von Bürgergeld-Empfängern, die von den Jobcentern bezahlt werden. Und weitere 5 Milliarden Euro für das Wohngeld, das Menschen mit kleineren Einkommen unterstützen soll.
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Ökonomen wollen Mietpreisbremse auslaufen lassen
Die Krise auf dem Wohnungsmarkt ist aber „nicht nur ein soziales, sondern ein gesamtwirtschaftliches Problem“, sagte die Vorsitzende des Sachverständigenrates, Monika Schnitzer, bei der Übergabe des Jahresgutachtens an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Sie verschärfe auch den Fachkräftemangel, monieren die Wirtschaftsweisen. Der Zuzug von Arbeitskräften werde gehemmt. Die Wirtschaftsforscher schlagen verschiedene Maßnahmen vor, um der Krise auf dem Bau entgegenzuwirken. „Der Wohnungsneubau kann durch die Mobilisierung von Baulandpotenzialen, stärkere Bauanreize und eine Senkung der Baukosten durch harmonisierte Bauvorschriften erhöht werden“, sagte die Ökonomin Veronika Grimm.
Das Gutachten bietet auch viel Diskussionsstoff. So schlagen die Wirtschaftsweisen vor, Bauanreize durch eine Anpassung der Grundsteuer zu erreichen. Die Grundstücksfläche solle stärker gewichtet werden, um dichtere Bebauungen zu ermöglichen, heißt es. Kontrovers diskutiert werden dürfte auch die Forderung, auf die geplante Absenkung der Kappungsgrenzen von 20 auf 15 Prozent zu verzichten. In Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten dürften die Mieten bei einem solchen Modell, auf das sich die zerbrochene Ampel-Koalition in ihrem Koalitionsvertrag verständigt hatte, innerhalb von drei Jahren nur noch um 15 Prozent steigen. Die Mietpreisbremse sollte nach Ansicht der Ökonomen spätestens Ende 2028 auslaufen. Das bleibt nicht ohne Kritik.
„Dem Vorschlag der Wirtschaftsweisen widerspreche ich vehement“, sagte Lukas Siebenkotten, Präsident des Deutschen Mieterbundes, unserer Redaktion. In der derzeitigen Lage müsse alles dafür getan werden, um die Mieten bezahlbar zu halten. „Da hilft es nicht, bestehende Deckelungen aufzuweichen. Dies würde vielmehr die Preistreiberei auf dem Mietwohnungsmarkt weiter befeuern“, warnte Siebenkotten. Keinesfalls dürften ungebremste Neuvertragsmieten die Mietpreise bestimmen in einer Zeit, in der bereits jeder dritte Miterhaushalt mit seinen Wohnkosten überlastet sei.
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