Essen. Mit Blick auf die Grünstahl-Päne von Minister Habeck und Thyssenkrupp befürchtet das Essener Institut RWI eine „Subventionsorgie“.

Manuel Frondel vom RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen sieht die von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) forcierten Pläne zum Aufbau einer Grünstahl-Produktion von Thyssenkrupp in Duisburg kritisch. Habecks Vorgehen gleiche einer „riskanten Wette mit hohem Einsatz“, sagt Frondel im Interview mit unserer Redaktion. „Ich befürchte eine Subventionsorgie für wasserstofffähige Stahlwerke“, erklärt der RWI-Experte. „Stahlerzeugung mit grünem Wasserstoff ist wie Baden in Champagner. Dabei gibt es weitaus kostengünstigere Alternativen, die ebenfalls den CO2-Ausstoß in der Stahlindustrie deutlich senken.“ Manuel Frondel, ein erfahrener Wissenschaftler, ist Leiter des Kompetenzbereiches Umwelt und Ressourcen am Essener Leibniz-Institut RWI und außerplanmäßiger Professor für Energieökonomik und angewandte Ökonometrie der Ruhr-Universität Bochum.

Herr Frondel, hat die Stahlindustrie in Deutschland eine Zukunft?

Frondel: Das ist keineswegs sicher. Es ist jedenfalls sehr fraglich, ob eine Stahlerzeugung auf dem bestehenden Niveau weiterhin möglich sein wird. Hohe Energiepreise in Deutschland sind eine große Belastung für die Stahlhersteller. Hinzu kommt ein fundamentaler Strukturwandel in der Automobilindustrie. Denken Sie an das geplante Verbrenner-Verbot. EU-Plänen zufolge sollen Fahrzeuge, die Diesel oder Benzin tanken, ab 2035 nicht mehr zugelassen werden. Das ist für die deutschen Autohersteller fatal und hat auch Folgen für die heimische Stahlerzeugung. Ich hoffe, das Verbrenner-Verbot kommt wieder vom Tisch.

Stahlkonzerne wie Thyssenkrupp bereiten sich auf eine klimaneutrale Produktion vor. Gut so?

Frondel: Das Ziel, den Ausstoß von Kohlendioxid in der Industrie zu verringern, ist grundsätzlich richtig. Aber ich sehe den Weg, den Bundeswirtschaftsminister Habeck vorgibt, kritisch. Er plant eine riskante Wette mit hohem Einsatz. Mit etwa sieben Milliarden Euro fördert der Staat einen Umbau der Produktion in Deutschland – in der Hoffnung, im Jahr 2045 Stahl möglichst emissionsfrei herstellen zu können. Allein Thyssenkrupp, ein ohnehin angeschlagener Konzern, soll zwei Milliarden Euro von der Bundesregierung und dem Land NRW erhalten, um in Duisburg die klassische Stahlerzeugung in Hochöfen auf Basis von Kokskohle durch eine Produktion im Direktreduktions-Verfahren mit Wasserstoff zu ersetzen.

Manuel Frondel, der Leiter des Kompetenzbereichs Umwelt und Ressourcen“ am Essener Wirtschaftsforschungsinstitut RWI: „Grüner Wasserstoff ist kaum verfügbar und sehr teuer. Es ist bislang völlig unklar, dass es in naher Zukunft genügend grünen Wasserstoff zu bezahlbaren Preisen in Deutschland geben wird.“
Manuel Frondel, der Leiter des Kompetenzbereichs Umwelt und Ressourcen“ am Essener Wirtschaftsforschungsinstitut RWI: „Grüner Wasserstoff ist kaum verfügbar und sehr teuer. Es ist bislang völlig unklar, dass es in naher Zukunft genügend grünen Wasserstoff zu bezahlbaren Preisen in Deutschland geben wird.“ © Sven Lorenz _ Essen www.svenlorenz.com

Thyssenkrupp argumentiert: Aus eigener Kraft könnte das Unternehmen den klimafreundlichen Umbau nicht finanzieren.

Frondel: Das Problem ist: Grüner Wasserstoff ist kaum verfügbar und sehr teuer. Es ist bislang völlig unklar, dass es in naher Zukunft genügend grünen Wasserstoff zu bezahlbaren Preisen in Deutschland geben wird.

Das Thyssenkrupp-Projekt in Duisburg soll nach Darstellung von Wirtschaftsminister Habeck doch gerade dazu beitragen, die Wasserstoff-Wirtschaft in Gang zu bringen.

Frondel: Das stimmt, aber zu welchem Preis? Ich befürchte eine Subventionsorgie für wasserstofffähige Stahlwerke. Stahlerzeugung mit grünem Wasserstoff ist wie Baden in Champagner. Dabei gibt es weitaus kostengünstigere Alternativen, die ebenfalls den CO2-Ausstoß in der Stahlindustrie deutlich senken. Ein Beispiel sind Elektrolichtbogenöfen, wenn sie mit erneuerbarer Energie betrieben werden.

Thyssenkrupp stellt die Pläne für DRI-Anlagen als Hochofen-Nachfolgetechnologie nun auf den Prüfstand. Das Management strebe „Technologieoffenheit“ an, heißt es.

Frondel: Als Ökonom finde ich es gut, wenn ein Unternehmen sagt: Wir gehen technologieoffen vor. Ökonomen sind immer bestrebt, die beste Lösung zu finden. Technologieoffenheit ist dafür ein Schlüssel. In der Politik ist es leider weit verbreitet, sich konzeptionell einzuengen. Die DRI-Anlagen, die von Wirtschaftsminister Habeck zur künftigen Grünstahl-Herstellung favorisiert werden, sind dafür ein Paradebeispiel.

Was haben Sie gegen die DRI-Technologie?

Frondel: Das Problem liegt nicht in der Technologie, sondern im geplanten Einsatz von grünem Wasserstoff. Es ist illusionär zu glauben, dass in zehn oder fünfzehn Jahren grüner Wasserstoff in ausreichender Menge zu bezahlbaren Preisen in Deutschland zur Verfügung steht, um im großen Stil klimaneutralen Stahl zu erzeugen.

Wirtschaftsminister Robert Habeck, hier zu Besuch bei Thyssenkrupp im Februar 2022, setzt auf Direktreduktionsanlagen für die Grünstahl-Herstellung.
Wirtschaftsminister Robert Habeck, hier zu Besuch bei Thyssenkrupp im Februar 2022, setzt auf Direktreduktionsanlagen für die Grünstahl-Herstellung. © Fabian Strauch / FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Tatsächlich sollen die ersten DRI-Anlagen von Thyssenkrupp mit Erdgas laufen und erst später auf Wasserstoff umgestellt werden. Gehen Sie davon aus, dass Erdgas auf Dauer eingesetzt wird, weil sich die Stahlherstellung ansonsten nicht rechnet?

Frondel: Das ist aus meiner Sicht wahrscheinlich – und auch sinnvoll. Die Stahlerzeugung mit Erdgas ist bereits deutlich emissionsärmer als das bisherige Hochofen-Verfahren. Eine weitere Alternative ist die herkömmliche Stahlerzeugung mit Abscheidung von Kohlendioxid und dessen unterirdischer Speicherung.

Aber auch eine Stahlerzeugung mit CO2-Speicherung wäre aufwändiger und damit teurer als die bisherige Produktion.

Frondel: Das stimmt – und dennoch: Würden in einigen Jahren Pipelines zur Verfügung stehen, mit denen das abgeschiedene Kohlendioxid in Länder wie Dänemark oder Norwegen transportiert werden könnte, in denen CO2-Speicherung heute schon ein Geschäftsmodell ist, wäre die herkömmliche Stahlerzeugung mit CO2-Abscheidung eine weitaus kostengünstigere Alternative als die Stahlproduktion mit grünem Wasserstoff. Es wird Zeit, dass in Deutschland solche Projekte erlaubt und damit ermöglicht werden.

Bis es CO2-Pipelines für Stahlwerke gibt, dürften Jahre vergehen. Kurzfristig ist das keine Lösung.

Frondel: Ja. Damit die Politik ihre riskante Wette auf grüne Stahlwerke nicht von vornherein verliert, muss sie nun schleunigst für niedrigere Strompreise sorgen. Ein Anfang dazu sollte mit der Reaktivierung der im Jahr 2023 abgeschalteten Atomkraftwerke gemacht werden.

Eine politische Mehrheit für einen Ausstieg vom Atomausstieg ist aber nicht in Sicht.

Frondel: Es wäre aber fatal, einfach so weiterzumachen wie bisher. Deutschland befindet sich mitten in einer De-Industrialisierung. Die Gefahr eines dauerhaften Verlusts von Wettbewerbsfähigkeit ist real. Ein Treiber ist die europäische Klimapolitik, die massive Folge für die heimischen Stahlhersteller haben wird. Die kostenlose Zuteilung von CO2-Zertifikaten im EU-Emissionshandel wird bis zum Jahr 2034 schrittweise beendet. Der Druck, Hochöfen abzuschalten, steigt.

Duisburg ist mit Thyssenkrupp Deutschlands größter Stahlstandort: Die Produktion in herkömmlichen Hochöfen ist überaus CO2-intensiv.
Duisburg ist mit Thyssenkrupp Deutschlands größter Stahlstandort: Die Produktion in herkömmlichen Hochöfen ist überaus CO2-intensiv. © dpa | Marcel Kusch

Hochöfen sind besonders CO2-intensiv. Wenn Deutschlands Wirtschaft, wie es die Bundesregierung anstrebt, im Jahr 2045 klimaneutral sein soll, müssen sie stillgelegt werden.

Frage: Es wäre völlig falsch, auch noch die letzte Tonne CO2 in Deutschland vermeiden zu wollen. Das gilt übrigens nicht nur für die Stahlerzeugung, sondern auch für den Energiesektor beim Bau von wasserstofffähigen Gaskraftwerken. So vorzugehen, ist extrem teuer. Es wäre sinnvoller, möglichst pragmatisch und kostengünstig CO2-Einsparungen in der Industrie zu erreichen. Das Ziel der Klimaneutralität bedeutet nicht, sämtliche CO2-Emissionen zu vermeiden. Sehr teuer zu vermeidende Emissionen sollten durch negative Emissionen – zum Beispiel durch Aufforstung – ausgeglichen werden. Übertriebener Klimaschutz bringt unseren Wohlstand in Gefahr.

Mit Blick auf die Stahlindustrie heißt das: Sie befürchten, dass Stahl aus Deutschland auf dem Weltmarkt nicht mehr mit Stahl aus Asien mithalten kann?

Frondel: Korrekt. Durch die zum Teil kostenlose Zuteilung von CO2-Zertifikaten wird aktuell das Risiko der Verlagerung von Treibhausgas-Emissionen in Länder außerhalb der Europäischen Union verringert. Ab dem Jahr 2026 soll ein CO2-Grenzausgleichssystem in Kraft treten. Das Modell nennt sich CBAM – eine Abkürzung für „Carbon Border Adjustment Mechanism“. So soll sichergestellt werden, dass auf emissionsintensive Güter wie Zement oder Stahl bei ihrer Einfuhr dieselben CO2-Emissionskosten aufgeschlagen werden, als seien sie im Geltungsbereich des EU-Emissionshandels hergestellt worden. Ich bezweifle aber, dass damit die europäische Industrie gut genug geschützt wird.

Warum?

Frondel: Es gibt viele praktische Probleme, die mit CBAM verbunden sind. Ein Beispiel ist die komplexe Erfassung der bei der Produktion im Ausland entstandenen CO2-Emissionen. Die deutsche Politik hat sich wohl gezwungen gesehen, den Bau neuer Stahlwerke mit vielen Milliarden zu fördern, um die Geister, die sie selbst rief, indem sie die sehr ambitionierte Klimaschutzpolitik der EU-Kommission und die Einführung des CBAM maßgeblich unterstützt hat, wieder zu vertreiben. Besser wäre es gewesen, die Politik hätte sich erst gar nicht in diese Zwangslage gebracht.

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