Leverkusen. NRW-Chemiekonzern Covestro im Umbruch: Investoren aus Abu Dhabi planen eine Übernahme – und der Vorstand will die Kosten drücken.
Die Übernahme eines der größten Chemiekonzerne Nordrhein-Westfalens durch ein staatliches arabisches Ölunternehmen rückt näher. Seit Monaten schon gab es „ergebnisoffene Gespräche“ des Covestro-Managements mit Verantwortlichen der Abu Dhabi National Oil Company – kurz Adnoc. Jetzt wird es ernst: Der Covestro-Vorstand hat eigenen Angaben zufolge nach Beratung mit dem Aufsichtsrat beschlossen, mit Adnoc „konkrete Verhandlungen über eine mögliche Transaktion und den möglichen Abschluss einer Investitionsvereinbarung“ zu beginnen.
Covestro ist auf die Herstellung von Kunststoffen spezialisiert und vor einigen Jahren aus dem Traditionskonzern Bayer hervorgegangen. Geführt wird Covestro vom deutschen Branchenpräsidenten Markus Steilemann. Als Mann an der Spitze des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) repräsentiert Steilemann einen Wirtschaftszweig mit bundesweit mehr als 500.000 Beschäftigten. Zu Covestro gehören rund 18.000 Mitarbeitende an 50 Standorten weltweit.
Covestro: „Gemeinsames Grundverständnis mit Adnoc“ möglich
Die bisherigen Gespräche beider Unternehmen haben aus Sicht des Covestro-Vorstands gezeigt, „dass ein gemeinsames Grundverständnis mit Adnoc über wesentliche Kernthemen einer möglichen Transaktion einschließlich der Unterstützung der weiteren Wachstumsstrategie von Covestro grundsätzlich erzielt werden kann“. Ausgangspunkt der Verhandlungen sei ein von Adnoc gegenüber Covestro in Aussicht gestellter möglicher Angebotspreis von 62 Euro je Covestro-Aktie. Damit bewertet Adnoc Covestro mit knapp zwölf Milliarden Euro. Zum Vergleich: Der Essener Chemiekonzern Evonik kam zu Wochenbeginn auf eine Marktkapitalisierung von knapp neun Milliarden Euro. Der einstige Covestro-Mutterkonzern Bayer erreichte etwa 26 Milliarden Euro.
Am vergangenen Freitag (21. Juni) stand die Covestro-Aktie bei rund 50 Euro und schnellte dann nach Bekanntwerden der aktuellen Entwicklung am Montag in die Höhe.
„Wir haben in unseren Gesprächen mit Adnoc gute Fortschritte erzielt“, erklärte Covestro-Vorstandschef Markus Steilemann am 24. Juni. „Daher haben wir beschlossen, in konkrete Transaktionsverhandlungen mit Adnoc einzutreten.“
Zugang zu deutschen Zukunftstechnologien in der Chemie
Die Scheichs könnten sich mit einer Übernahme des nordrhein-westfälischen Großunternehmens Zugang zu deutschen Zukunftstechnologien in der Chemie sichern. Covestro richtet sich auf die Kreislaufwirtschaft aus und strebt an, bis zum Jahr 2035 klimaneutral zu werden. Zu den strategischen Zielen von Adnoc gehört auch, die Geschäfte jenseits des klassischen Öl- und Gasgeschäfts auszubauen. Adnoc wäre auch ein potenzieller Rohstofflieferant für den deutschen Chemiekonzern. Als Kunststoff-Hersteller benötigt Covestro viel Energie. Geführt wird der Staatskonzern Adnoc von Sultan Ahmed Al Jaber, der auch Industrieminister der Vereinigten Arabischen Emirate ist.
Covestro gehört zu den bundesweit 40 wichtigsten Konzernen, die im Deutschen Aktienindex (Dax) notiert sind, und beliefert eigenen Angaben zufolge rund um den Globus Kunden in Schlüsselindustrien wie Mobilität, Bauen und Wohnen sowie Elektro und Elektronik. Außerdem werden Kunststoffe von Covestro in der Sport- und Freizeitbranche, von Kosmetikherstellern und in der Gesundheitsindustrie eingesetzt. „Das Interesse von Adnoc sehen wir als Bestätigung unserer Strategie, die stark auf das Thema Nachhaltigkeit setzt“, hatte Covestro-Vorstandsmitglied Thorsten Dreier Ende vergangenen Jahres im Gespräch mit unserer Redaktion betont.
Covestro: Kosten sollen um 400 Millionen Euro sinken
Einen Tag nach der Adnoc-Nachricht verkündete Covestro, der Vorstand und die Arbeitnehmervertretungen des Konzerns hätten „ein umfassendes Aktionspaket vereinbart, das die Beschäftigung an den deutschen Standorten langfristig sichern“ soll. Ein Teil der Vereinbarung sei, dass Covestro bis Ende 2032 auf betriebsbedingte Beendigungskündigungen verzichte. Bisher gab es Regelungen bis 2028.
Gleichzeitig will der Vorstand die Kosten des Unternehmens mit dem Programm namens „Strong“ spürbar drücken. Bis Ende 2028 sollen global jährliche Einsparungen in Höhe von 400 Millionen Euro erreicht werden, davon 190 Millionen Euro in Deutschland. Damit verbundener Personalabbau in Deutschland werde sozialverträglich umgesetzt – zum Beispiel in Form von freiwilligen Aufhebungsverträgen oder Arbeitszeitreduzierungen. Wie viele Stellen gestrichen werden sollen, teilte Covestro nicht mit.
„Wir stehen als Unternehmen weiterhin vor großen Herausforderungen in einem sich immer schneller wandelnden Geschäftsumfeld“, erklärte Covestro-Vorstand Thorsten Dreier. Covestro gebe allerdings „ein klares Bekenntnis zum Standort Deutschland ab – inklusive Zusagen in Investitionen in die Standorte sowie dem Verbleib der Konzernzentrale in Leverkusen“.
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