Berlin. Krisenzeiten sind Gründerzeiten, sagt Start-up-Verbandschefin Verena Pausder. In welchen Branchen ein neuer globaler Champion entstehen könnte.
- Mit ihren Geschäftsmodellen erzielen die US-Konzerne Apple, Amazon und auch Google weltweit Milliardenumsätze.
- In Deutschland ist es bislang nicht gelungen, so einen globalen Champion in ähnlicher Weise aufzubauen.
- Die Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands Deutsche Start-ups, Verena Pausder, erklärt im Interview, in welchen Branchen Deutschland neue Weltspitze werden könnte.
Deutschlands Wirtschaft steckt in der Krise. Vor allem im Umfeld der Automobilindustrie wird laut über Stellenstreichungen nachgedacht. Die Vorstandschefin des Bundesverbandes Deutsche Start-ups, Verena Pausder, spricht im Interview über Fehler der „alten“ Industrie und sagt auch, in welchen Branchen es gelingen könnte, dass junge, deutsche Firmengründungen weltumspannende Geschäftsmodelle aufbauen.
Deutschland steckt in der Krise. Welche Fehler haben die alten Unternehmen, zum Beispiel die deutschen Autobauer, aus Ihrer Sicht gemacht?
Verena Pausder: Als die Zinsen niedrig waren, Energie billig und es keine Inflation gab, haben wir uns zu sehr auf den Erfolgen der Vergangenheit ausgeruht. Stattdessen hätte man die Weichen für die Zukunft stellen müssen – Innovation blieb so auf der Strecke. Und jetzt, da sich die Rahmenbedingungen verändert haben, wird deutlich: Wir haben an Wettbewerbsfähigkeit verloren. Deutschland hat massiv verpasst, seine Hausaufgaben zu machen. Entscheidend ist jetzt, den Blick nach vorne zu richten. Schuldzuweisungen bringen uns nicht weiter.
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Können die jungen Firmen, die Start-ups, eine Hilfe sein für die Autoindustrie?
Pausder: Ja natürlich. Ein Beispiel ist das Münchner Start-up DeepDrive, das den E-Antrieb effizienter macht und dabei mit BMW zusammenarbeitet. Start-ups sind agiler als Großkonzerne, weil sie mehr ausprobieren und sich schneller anpassen. Deshalb können sie auch eine Menge für Volkswagen, Mercedes und Co. tun.
Volkswagen war zeitweise der größte Automobilkonzern der Welt, ein deutsches Amazon oder Apple gibt es nicht. Sind die Amerikaner einfach schlauer als wir?
Pausder: Nein, bestimmt nicht. Aber richtig, Big Tech haben wir in Deutschland nicht. Die Amerikaner hatten immer die Zukunft im Blick und in der Phase des Internetbooms die richtigen Zutaten.
Was genau?
Pausder: Viel Kapital und Know-how bei Softwareentwicklung. Aber: Jetzt sehen wir andere Trends. Es wird mehr auf Basis von Patenten und aus Hochschulen heraus gegründet. Start-ups sind näher dran an der industriellen Basis, die wir in diesem Land haben. Wenn wir diese Deep-Tech-Phase richtig angehen, können wir der Welt wieder zeigen, was Weltklasse „made in Germany“ sein kann.
Der Traum von einem großen deutschen Champion lebt?
Pausder: Absolut. Es gibt viele Start-ups bei uns, die mich sehr hoffnungsfroh machen. Die forschen zum Beispiel an der klimaneutralen und sicheren Energiequelle der Zukunft. Hier ist Kernfusion ein Beispiel. Aber auch im Bereich Quantencomputing oder Space-Tech spielen wir vorne mit. Eine von einem deutsch-französischen Start-up gebaute Frachtkapsel könnte ab 2028 die Internationale Raumstation (ISS) versorgen – das ist klasse!
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Derzeit hört man aber viele Klagen über den deutschen Wirtschaftsstandort. Geht das an den Start-ups spurlos vorbei?
Pausder: Nicht ganz. Hohe Zinsen, Konsumflaute und die Zurückhaltung gehen an Start-ups nicht spurlos vorbei. Aber viele Start-ups bewerten das Geschäftsklima deutlich positiver als die etablierte Wirtschaft – das sehen wir im Deutschen Startup Monitor. Insgesamt ist der Blick in die Zukunft optimistisch.
Warum ist das so?
Pausder: Gründer hat schon immer ausgezeichnet, in Krisen gute Ideen in die Tat umzusetzen. In Krisen entstehen Champions. Würth zum Beispiel wurde nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet, SAP mitten in der Ölkrise, Zalando auf dem Höhepunkt der Finanzkrise. Wenn es richtig schwierig war, wurde also gegründet.
„In Krisen entstehen Champions.“
Das heißt, Krisenzeiten sind auch Gründerzeiten?
Pausder: Ja – man denkt einfach schärfer nach. Wenn Geld leicht verfügbar und die Stimmung gut ist, gibt es mehr Schnellschüsse. Unternehmen, die in Krisenzeiten gegründet werden, sind oft resilienter und deutlich durchdachter. Deswegen haben sie auch bessere Chancen, wirklich groß zu werden.
Was bedeuten die starken Wahlergebnisse für die AfD für die Gründerstandorte in den betroffenen Bundesländern?
Pausder: Das Weltbild, das die AfD hat, ist das Gegenteil von Innovationskraft und Zukunftsfähigkeit. Deswegen verheißt eine starke AfD in Deutschland nichts Gutes, auch weil die Partei das Klima für ausländische Fachkräfte vergiftet. Dabei bremst der Fachkräftemangel das Wachstum unserer Wirtschaft.
Wie erklären Sie einem Ausländer die AfD?
Pausder: Da würde ich nichts beschönigen, sondern ganz klar sagen: Das ist eine rechtsradikale Partei und eine echte Bedrohung für Deutschland.
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Die Ampel ist vor drei Jahren angetreten, um neues Zutrauen in Gründergeist, Innovation und Unternehmertum zu schaffen. Ist das gelungen?
Pausder: Da ist viel passiert. Verbesserungen bei Mitarbeiterbeteiligungen, ein neues Fachkräfteeinwanderungsgesetz, der Wachstumsfonds und zuletzt die WIN-Initiative sind wichtige Meilensteine, um Innovation und Start-ups zu stärken. Gleichzeitig kommen wir jetzt nicht aus einer Position der Stärke. Das Ausland – egal ob USA oder Frankreich – hat wahnsinnig viel richtig gemacht. Es ist also nicht so, dass die anderen schlafen, sondern die anderen laufen richtig schnell und wir sind jetzt endlich auch mal losgelaufen.
Sie haben mit der Innovationsagenda 2030 einen Plan vorgelegt, der Deutschland als Start-up-Land an die Spitze bringen soll. Glauben Sie, dass die Ampel davon noch etwas umsetzt?
Pausder: Die Ampel sollte die nächsten zwölf Monate jetzt nicht nur Wahlkampf machen. Deswegen haben wir auch noch ein paar Vorschläge für diese Legislatur gemacht, die direkt umsetzbar sind: Digitale Visaverfahren sind ein Punkt oder die höhere Absetzbarkeit von Betreuungskosten, damit die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtert wird. Gleichzeitig ist unsere Innovationsagenda aber ein unideologisches und überparteiliches Papier, sodass es für die nächste Bundesregierung gilt.
Die FDP galt stets als die Partei für Unternehmer und Gründer. Besteht die Liebe noch?
Pausder: Wir erleben bei vielen FDP-Politikern großes Interesse für Start-ups. In der Sonntagsfrage unseres Deutschen Startup Monitors kommt die FDP auf deutlich mehr als 20 Prozent. Zur Vollständigkeit gehört aber auch, dass die Grünen die FDP bei der Sonntagsfrage überholt haben – das aber schon 2019, also deutlich vor dem Beginn der Ampel-Koalition.
Glauben Sie, dass ein Kanzler Friedrich Merz besser für die deutsche Gründerszene wäre?
Pausder: Darüber spekuliere ich heute nicht.
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Eine Umfrage von EY offenbarte zuletzt, dass junge Deutsche mit Blick auf den Job vor allem Sicherheit wünschen: Fast jeder Vierte bezeichnet sogar den öffentlichen Dienst bei einer Festanstellung als besonders attraktiv. Wie erklären Sie sich das?
Pausder: In unsicheren Zeiten ist es ein natürlicher Reflex, sich nach etwas Sicherem zu sehnen. Mein Credo ist daher auch, nicht ständig von Risiken zu sprechen, sondern von Chancen. Aber vermutlich ist das auch Teil unserer DNA in Deutschland. Wir mögen es halt sicher. Dabei ist das verrückt: Nichts ist riskanter, als keine Risiken einzugehen.
„Wir mögen es halt sicher. Dabei ist das verrückt: Nichts ist riskanter, als keine Risiken einzugehen. “
Tesla-Gründer und X-Eigentümer Elon Musk fiel zuletzt durch krawallige Äußerungen auf seiner Plattform X und die Verbreitung von Verschwörungstheorien auf. Taugt er noch als gutes Vorbild für einen erfolgreichen Unternehmer?
Pausder: Elon Musk hat seinen Status als unternehmerisches Vorbild leider verspielt. Ich habe überhaupt kein Problem damit, wenn man als Wirtschaftsboss meinungsstark ist. Bei Elon geht es aber um mehr – nämlich seine Haltung. Die teile ich nicht. Wir können stolz auf unsere vielfältige, liberale Demokratie sein. Als Unternehmerin sehe ich es als meine Verantwortung, sie zu schützen. Denn sie ist die Grundlage für Wohlstand und Miteinander.
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Taugen die 226 Milliardäre in Deutschland denn als Vorbild für junge Gründer?
Pausder: Die taugen zum Teil sicher auch als Vorbild. Denn viele von ihnen haben selbst Unternehmen aufgebaut, Arbeitsplätze geschaffen und zu unserem Wohlstand beigetragen. Das verdient Respekt.
Sollte man Milliardärsfamilien höher besteuern und davon erste oder auch spätere Schritte von Gründern finanzieren?
Pausder: Das ist, um ehrlich zu sein, gar nicht mein Thema. Für das Start-up-Ökosystem wäre aber zum Beispiel eine Vermögensteuer fatal: Denn Steuern würden dann nur auf Grundlage von Unternehmensbewertungen anfallen. Viele Gründer wären gar nicht in der Lage, die Steuerlast zu tragen. Denn sie selbst verfügen – anders als etablierte Unternehmer – meist erst nach dem Verkauf oder Börsengang des Unternehmens über Liquidität. Mit einer Vermögensbesteuerung würde also im Zweifel vieles von dem eingerissen, was hier in den letzten 10 bis 15 Jahren im Start-up-Ökosystem entstanden ist.
Große Unternehmen wie die Allianz, die Commerzbank, die Deutsche Bank und der US-Vermögensverwalter Blackrock sowie die Deutsche Börse, die Telekom und Henkel wollen bis 2030 rund zwölf Milliarden Euro in Wagniskapital investieren. Reicht das aus?
Pausder: Neben der Zusage von zwölf Milliarden Euro ist das auch ein starkes Bekenntnis der beteiligten Investoren und Unternehmen zum Start-up-Standort Deutschland. Wer hätte sich noch vor einigen Jahren vorstellen können, dass Allianz-Chef Oliver Bäte bei einem gemeinsamen Panel mit Christian Lindner und Robert Habeck öffentlich stolz verkündet, im Rahmen der WIN-Initiative eine Milliarde Euro an zusätzlichem Kapital in deutsches Venture-Capital zu investieren. Diese Signalwirkung müssen wir jetzt nutzen.
Was ist in den USA mit Blick auf den Zugang zu Kapital besser als in Deutschland – und warum kopieren wir das nicht einfach?
Pausder: Das sagt sich so leicht. Die USA investieren pro Kopf sechsmal so viel Risikokapital, wie wir es tun, der Zugang zu Kapital ist leichter, Ausgründungen aus den Hochschulen sind es auch. Da können wir uns eine Scheibe abschneiden.
Börsengänge deutscher Start-ups sind nicht immer gut gegangen. Einige Anleger haben viel Geld verloren. Schreckt das ab?
Pausder: Es geht nicht nur um Investitionen in einzelne Unternehmen – sondern um ein diversifiziertes Aktienportfolio. In den USA sehen wir, dass die Renditen überdurchschnittlich sind. Wenn wir uns zu sehr auf die Risiken und Gefahren konzentrieren, werden wir blind für die Chancen, die sich aus Börsengängen ergeben können.
Wenn Sie heute selbst gründen würden, was würden Sie machen?
Pausder: Mich reizt der Climate Tech oder Energiebereich. Vieles ist hier noch ungelöst.
Zur Person
Verena Pausder ist seit Dezember des vergangenen Jahres Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes Deutsche Startups. Die 45-Jährige ist in Bielefeld aufgewachsen und entstammt der Unternehmerfamilie der Textilfirma Delius. Nach dem Abitur fing sie zunächst beim Rückversicherer Munich Re an, wechselte danach in die Tech- und Start-up-Szene. Ihre erste eigene Gründung war eine Salatbarkette. Erfolgreicher war sie dann mit der Kinder-Apps-Entwicklungsfirma Fox & Sheep, die sie 2012 in Berlin gründete. Pausder hat drei Kinder und lebt in Berlin. Sie ist mit Philipp Pausder, dem Gründer von Deutschlands größtem Heizungsinstallationsunternehmen Thermondo, verheiratet. ba
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