Berlin. Nicht nur am lahmen E-Auto-Geschäft leidet die Branche. Experten legen Fehler offen und sagen, ob Kunden nun Schnäppchen machen können.

Noch vor ein paar Jahren brauchte es nicht viel, um deutsche Ingenieurkunst zu verkaufen. Selbst im Ausland warben Volkswagen, BMW & Co. schlicht mit Slogans wie „Das Auto“ oder „Vorsprung durch Technik“. Mittlerweile ist Ernüchterung eingekehrt: Gewinne schrumpfen, Konkurrenten sind bei der Elektromobilität enteilt, hinzu kommt das Hickhack um den Verbrenner. Experten sagen, wie schlimm die Lage wirklich ist und was passieren muss, damit die deutsche Autoindustrie wieder Fahrt aufnimmt.

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Eher nicht. Verloren gegangene Marktanteile – gerade im Bereich Elektromobilität – werden aber wohl nur schrittweise aufzuholen sein. „Die deutsche Automobilindustrie hat die Dynamik der Transformation völlig unterschätzt“, sagte Stefan Bratzel, Direktor des Centers of Automotive Management (CAM), unserer Redaktion. Vor allem in dem wichtigen chinesischen Markt sehen die deutschen Autobauer im E-Auto-Segment nur noch die Rücklichter der Konkurrenten. Chinesische Anbieter wie BYD oder Geely und auch Tesla aus den USA dominieren. Bratzel sieht sogar einen „Kompetenz- und Kostenvorsprung der Wettbewerber aus China entlang der elektromobilen Wertschöpfungskette“. Das heißt: Die E-Autos, die derzeit von den deutschen Herstellern angeboten werden, sind nicht gut genug – und zu teuer.

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Probleme gibt es aber auch im Inland. Die Lust der Deutschen, neue Autos zu kaufen, ist wegen der zurückliegenden schweren Jahre mit gestiegenen Energiepreisen, hoher Inflation und gebremster Konsumlaune zurückgegangen. Das Institut für Automobilwirtschaft (IfA) rechnet für dieses Jahr mit 2,8 Millionen Neuzulassungen in Deutschland. Das wäre zwar in etwa so viel wie im vergangenen Jahr, aber rund ein Fünftel weniger als vor der Corona-Pandemie, als gut 3,6 Millionen Neuzulassungen gezählt wurden. „Die Absatzrückgänge sowie der mittlerweile intensive Preiswettbewerb drücken auf die Margen der Automobilhersteller“, erklärte IfA-Direktor Stefan Reindl. Erschwerend hinzugekommen sei der abrupte Stopp der E-Auto-Prämie Ende des vergangenen Jahres. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) spricht auf Nachfrage von einer „schwachen Pkw-Nachfrage“. Ein deutlicher Aufschwung zeichne sich bislang nicht ab.

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    Deutschlands größter Autobauer Volkswagen schraubte deshalb bereits Gewinnerwartungen für das laufende Jahr herunter, auch Mercedes rechnet damit, doch nicht so üppig zu verdienen wie zuvor angenommen. Zur Erinnerung: Im vergangenen Geschäftsjahr hatten die drei großen Konzerne Volkswagen, Mercedes und BMW noch jeweils Gewinne im unteren zweistelligen Milliardenbereich gemacht.

    Welche Fehler haben Branche und Politik gemacht?

    Bei den Herstellern sieht Frank Schwope, Lehrbeauftragter für Automobilwirtschaft bei der FHM Köln, „klare Versäumnisse“ bei der Elektromobilität. „Man hat lieber den Verbrenner jahrelang gemolken, anstatt sich darauf zu konzentrieren, E-Autos nach vorne zu bringen.“ Gleichzeitig stellt Schwope hinsichtlich der Stromer eine Verunsicherung fest – nicht nur bei Verbrauchern, sondern auch in den Managementetagen der Konzerne.

    „Was die Autobauer stört, sind Unklarheiten beziehungsweise das Hü und Hott der Politik und dass deshalb Strukturen für Verbrenner und E-Autos doppelt vorgehalten werden müssen. Das verursacht höhere Kosten“, erklärte der Fachmann. Aus Brüssel und Berlin kämen hinsichtlich eines Verbrenner-Aus keine „eindeutigen Signale“. Auch deshalb hat Mercedes schon eine Kehrtwende vollzogen. Vorstandschef Ola Källenius hatte eigentlich für 2030 das vollständige Ende für in Europa gebaute Diesel und Benziner geplant. Doch daraus wird nichts.

    Was bedeutet die Lage für Arbeitsplätze und Standorte in Deutschland?

    Einschnitte sind wahrscheinlich. Stefan Reindl zufolge haben die Hersteller nicht nur die Markt- und Absatzsituation falsch eingeschätzt, sondern auch zu spät begonnen, zu sparen und effizienter zu werden. Die Folgen der Entwicklung spürten zuletzt auch Zulieferer wie ZF und Bosch, die einen umfangreichen Personalabbau angekündigt haben. Volkswagen, BMW & Co. haben das noch vor sich. „Die Entwicklungs- und Fertigungsproduktivität liegt schon seit Jahren auf zu niedrigem Niveau. Das heißt, zu viele Beschäftigte entwickeln und bauen in Deutschland zu wenige Autos“, sagte Reindl. Der Experte rechnet damit, dass die Autobauer daher „kurz- und mittelfristig“ bis zu ein Fünftel des inländischen Personals abbauen könnten. Derzeit ist die Automobilindustrie in Deutschland Arbeitgeber für etwa 780.000 Menschen.

    Volkswagen
    Autoproduktion in Deutschland: Experten sehen Überkapazitäten. Ein Abbau von Arbeitsplätzen ist deshalb wahrscheinlich. © picture alliance/dpa | Moritz Frankenberg

    Was fordern Arbeitnehmervertreter?

    Der Appell ist klar: Die Unternehmen sollten jetzt auf gar keinen Fall Arbeitsplätze abbauen. Beschäftigte seien bereits jetzt massiv verunsichert, sagte die Chefin der Metallergewerkschaft IG Metall, Christiane Benner, dieser Redaktion. „Statt kurzfristiger Margenoptimierung und Standortverlagerung müssen die Unternehmen jetzt mit langem Atem weiter in die Zukunft investieren“, forderte sie. Gleichzeitig ermahnte die Gewerkschafterin die Politik, nun die Standortbedingungen bei Energiepreisen, Verfahrensbeschleunigung und Bürokratie zu verbessern – und klare Impulse für den Hochlauf der Elektromobilität zu setzen.

    Wie sieht die Branche die Lage?

    VDA-Präsidentin Hildegard Müller sagte dieser Redaktion, die Automobilwirtschaft stehe vor einer „gewaltigen Transformation, der sie mit beeindruckender Innovationskraft und Entschlossenheit“ begegne. Müller verwies darauf, dass deutsche Hersteller und Zulieferer in den nächsten vier Jahren rund 280 Milliarden in Forschung und Entwicklung investieren würden. Hinzu kämen weitere 130 Milliarden in den Neu- und Umbau von Werken. In puncto Rahmenbedingungen im Inland sei man in den vergangenen Jahren jedoch nicht entscheidend weitergekommen. „Die Bundesregierung muss aufpassen, dass das industrielle Netzwerk, das den Wirtschaftsstandort Deutschland ausmacht, keinen Schaden nimmt“, mahnte sie.

    VDA-Präsidentin Hildegard Müller
    VDA-Präsidentin Hildegard Müller mahnt gute Rahmenbedingungen am Standort Deutschland an. © picture alliance/dpa | Carsten Koall

    Was sagt die Politik?

    Zur Wahrheit gehöre, dass die Autoindustrie immer von der Politik unterstützt worden sei und jahrelang hohe Gewinne eingefahren habe, heißt es von der SPD. „Wir werden auch weiterhin unterstützen, aber wenn es zwischendurch mal nicht so gut läuft wie sonst, ist das eben auch Teil der Marktwirtschaft“, sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Verena Hubertz.

    CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann positionierte sich gegenüber dieser Redaktion erneut gegen ein Verbrenner-Aus. Er sei für Technologieoffenheit. „Meine größte Sorge ist, dass auf unseren Straßen eines Tages nur noch chinesische E-Autos fahren und Verbrennungsmotoren in Deutschland nicht mehr hergestellt werden – obwohl uns klimaneutrale Treibstoffe zur Verfügung stehen“, so Linnemann.

    Können Verbraucher jetzt Schnäppchen machen?

    Unwahrscheinlich. Die aktuelle Nachfrageschwäche führt nicht zu sonderlich hohen Nachlässen. Im Juli wurden etwa 16 Prozent Durchschnittsrabatt gewährt. „Wir gehen davon aus, dass in den nächsten Monaten die Rabatte für Verbrenner wieder leicht steigen werden, aber die Bilderbuch-Nachlässe aus der Dieselkrise werden nicht zurückkommen“, sagte der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer. Damals waren zum Teil Rabatte von mehr als 20 Prozent gewährt worden. Wer ein chinesisches Elektroauto kaufe, könne zudem Probleme bekommen, sollte mal etwas kaputtgehen. Die Ersatzteilversorgung sei da „schwieriger“, so Dudenhöffer.

    Was soll sich ändern?

    Für mehr Effizienz in den eigenen Werken kommen die großen Autokonzerne an Restrukturierungen nicht vorbei. Mit Blick auf die Elektromobilität empfiehlt Frank Schwope gezieltere Vorgaben durch die Politik. „Es wäre sinnvoll, klare Quoten einzuführen. Die Bundesregierung könnte den Herstellern zum Beispiel vorgeben, dass in diesem Jahr 20 Prozent der im Inland verkauften Fahrzeug batterie-elektrisch fahren müssen, im kommenden Jahr könnten es dann 25 Prozent sein. Da müssten sich die Vorstände von Volkswagen & Co. dann überlegen, wie man das mithilfe der Preisgestaltung umsetzt“, sagte der Experte.

    CAM-Direktor Stefan Bratzel sieht für den Standort Deutschland nur eine praktikable Strategie. „Wir müssen mindestens so viel innovativer sein, wie wir teurer sind“, sagte er. Die Politik müsse somit Rahmenbedingungen schaffen, die Innovation anregen. Mittel- und langfristig könnte es den deutschen Autobauern dann wohl gelingen, an alte Erfolge anzuknüpfen.