Essen. Der Essener Chemiekonzern Evonik sieht Geschäftspotenzial bei Autoreifen. Veränderungen im Bereich Forschung und Entwicklung geplant.
Der Essener Chemiekonzern Evonik will erreichen, dass sich Altgummi einfacher für die Herstellung neuer Pkw-Reifen wiederverwerten lässt. Bisher verwende die Industrie nur geringe Mengen von Gummi-Material aus Altreifen bei der Herstellung neuer Produkte für die Autobranche, berichtete Evonik-Manager Christian Mani bei einer digitalen Pressekonferenz des Konzerns zu den Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten des Essener Unternehmens. Das könnte sich nach Darstellung von Evonik in Zukunft ändern.
Fachverbände der Reifenrecycling-Branche nennen nach Angaben von Evonik eine Beimischung von etwa fünf Prozent gemahlenen Altmaterials bis heute als Obergrenze. Ein Großteil des Altgummis aus Reifen werde daher zum Beispiel bei der Herstellung von Schutzelementen auf Spielplätzen oder für Laufbahnen eingesetzt. Viele Altreifen würden zudem lediglich als Brennstoff zur Energiegewinnung eingesetzt. Nach Einschätzung von Evonik-Manager Mani ist Gummi aber „ein zu wertvoller Rohstoff, um ihn nur einmal im Reifen zu nutzen“. Ein Forscher-Team von Evonik habe nun ein Verfahren „entscheidend weiterentwickelt“, um bis zu viermal so viel Altmaterial als bisher üblich in neuen Reifen einsetzen zu können.
Neues Reifengummi entsteht nach Darstellung von Evonik üblicherweise durch Vulkanisation aus Kautschuk, Schwefel und anderen Komponenten. Mithilfe von Hitze und Druck bildet Schwefel dabei Bindungen mit langen Kohlenstoffketten des Kautschuks. Gummi-Material aus Altreifen eigne sich bislang nur sehr begrenzt für die Herstellung neuer Produkte, weil hier die chemische Struktur das Zusammenspiel mit neuem Reifenmaterial erschwere.
Dem Evonik-Team sei es gelungen, die Vulkanisation in Altgummi zu großen Teilen rückgängig zu machen. Das erleichtere ein Recycling. Bei Versuchen ließ sich Unternehmensangaben zufolge der Anteil des Recyclingmaterials in der Gummi-Mischung somit auf bis zu 20 Prozent erhöhen.
Evonik sieht großes Marktpotenzial im Automobilsektor
Die Herausforderung für die Evonik-Forscher ist jetzt, das Verfahren nicht nur im Labor, sondern auch in der industriellen Produktion einsetzen zu können. „Am Ende muss unser Ansatz auch in großem, kommerziellem Maßstab überzeugen“, räumt Mani ein.
Grundsätzlich sieht Evonik ein beträchtliches Potenzial im Geschäft mit Technologien für die Reifenbranche. Der Essener Chemiekonzern verweist darauf, dass es weltweit mehr als 1,3 Milliarden Personenwagen gebe. Minute für Minute entstünden mehr als 2000 neue Pkw-Reifen. Ein Ende des Bedarfs sei nicht absehbar, denn auch Autos mit Elektro- oder Wasserstoffantrieb rollen auf Gummireifen. Der Jahresumsatz mit Pkw-Reifen betrage weltweit mehr als 100 Milliarden Euro. Evonik will aber lediglich als Zulieferer für die Reifenbranche agieren. Ein eigenes Recycling-Geschäft betreibt der Chemiekonzern nicht.
Das Autoreifen-Beispiel passt in die Gesamtstrategie des stellvertretenden Evonik-Vorstandschefs Harald Schwager. Schließlich sollen „nachhaltige Produkte“ an Bedeutung im Konzern gewinnen und „das Wachstum von Evonik künftig noch stärker unterstützen“.
Programm „Evonik Tailor Made“ wirkt sich auch auf F&E-Bereich aus
Von den mehr als 33.000 Evonik-Beschäftigten arbeiten Unternehmensangaben zufolge etwa 2800 im Bereich Forschung und Entwicklung (F&E). Die F&E-Aufwendungen habe Evonik im vergangenen Jahr mit 443 Millionen Euro auch in einem „wirtschaftlich herausfordernden Umfeld“ auf dem Niveau des Vorjahres gehalten. Bezogen auf den Umsatz liege die F&E-Quote von Evonik im Jahr 2023 bei 2,9 Prozent. Ein ähnlicher Wert sei für das laufende Geschäftsjahr geplant. „Forschung und Entwicklung tragen bereits heute überproportional zu unserem Wachstum bei“, sagt der zuständige Evonik-Manager Ralph Marquardt.
Konzernweit plant Evonik im Zuge des Programms „Tailor Made“ Arbeitsplatzabbau und eine Neuaufstellung der Verwaltung. Anfang März hatte der jahrelang erfolgsverwöhnte Konzern mitgeteilt, bis zu 2000 Arbeitsplätze abbauen zu wollen, davon rund 1500 Stellen in Deutschland. Das Projekt „Tailor Made“ betreffe auch den F&E-Bereich, erklärt Evonik-Vorstand Schwager auf Nachfrage. Wie in allen anderen Konzernbereichen auch werde überprüft, wie viele Hierarchie-Ebenen künftig noch erforderlich seien. Das Ziel sei außerdem eine stärkere Internationalisierung der Aktivitäten. Der F&E-Bereich werde bei der Neuaufstellung der Verwaltung „nicht ausgenommen“, so Schwager.
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