Essen. Mit dem Programm „Tailor Made“ hinterfragt Evonik-Chef Kullmann die gesamte Verwaltung des Essener Chemiekonzerns. Die Kosten sollen sinken.

Evonik-Chef Christian Kullmann stellt die gesamte Verwaltung des Essener Chemiekonzerns auf den Prüfstand. Dazu hat der Vorstand des Unternehmens Anfang des Monats ein Programm gestartet, das den Namen „Tailor Made“ trägt. „Passgenau“ oder „maßgeschneidert“ ist damit gemeint. Der Revierkonzern solle einen „neuen Zuschnitt“ bekommen, wie es im Mitarbeiter-Magazin von Evonik heißt.

Vorstandschef Kullmann räumt ein, es gebe derzeit „langwierige Abstimmungswege“ im Unternehmen, zu dem weltweit rund 34.000 Beschäftigte gehören, viele davon in NRW. „Wir alle leiden unter überflüssiger Bürokratie“, sagt Kullmann. „Mit Tailor Made wollen wir unsere Strukturen und Prozesse grundsätzlich hinterfragen.“

Rund 8600 Organisationseinheiten leistet sich der Konzern derzeit eigenen Angaben zufolge. Die Hälfte aller Führungskräfte leite weniger als vier Mitarbeiter. Das Ziel sei, in der Verwaltung des Konzerns „schneller, effizienter und günstiger“ zu werden. Unter der Leitung des Evonik-Managers Randolf Bursian soll nun ein 13-köpfiges Team die Situation analysieren. Bursian wiederum werde direkt an Vorstandschef Kullmann berichten.

„Evonik hat sich in den vergangenen Jahren wesentlich verändert“, sagt Evonik-Manager Bursian in einem Interview des Mitarbeiter-Magazins. „Wir sind kleiner geworden, haben Teile des Unternehmens verkauft, die Verwaltung aber nicht parallel angepasst.“

Eine Führungskraft bei Evonik für drei Beschäftigte zuständig

Am häufigsten gebe es bei Evonik in der Verwaltung momentan „eine Führungsspanne eins zu drei“, so Bursian. Das bedeute: Eine Führungskraft sei für drei Beschäftigte zuständig. „Eine gesunde Führungsspanne liegt mindestens bei eins zu sieben“, fügt der Manager hinzu. „Mikromanagement“ müsse vermieden werden. Denn eine kleine Führungsspanne habe zur Folge, dass „jede Einheit sich ihre eigene Bürokratie schafft“.

Hinzu kämen bei Evonik Gremien, in denen die Verantwortlichkeiten verwischt würden. „Wenn Sie drei potenzielle Vorgesetzte haben, haben Sie faktisch keinen Chef“, sagt Bursian. „Dann werden auch Entscheidungen nicht konsequent umgesetzt.“

Evonik-Vorstandschef Christian Kullmann: „Mit Tailor Made wollen wir unsere Strukturen und Prozesse grundsätzlich hinterfragen.“
Evonik-Vorstandschef Christian Kullmann: „Mit Tailor Made wollen wir unsere Strukturen und Prozesse grundsätzlich hinterfragen.“ © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Veränderungen wünscht sich der Manager auch in der Unternehmenskultur von Evonik. „Zur unserer DNA gehört ein maximales Sicherheitsniveau, wir wollen jegliches Risiko ausschließen“, sagt Bursian. „Das ist auch sehr berechtigt, wenn es um Chemieanlagen geht. Aber müssen wir das auch auf andere Prozesse und Gegebenheiten übertragen? Wir haben auch in Verwaltungsprozessen extreme Sicherheits- und Kontrollschleifen eingebaut.“

Für die Bestandsaufnahme habe das Projekt-Team von Evonik bereits Interviews mit Verantwortlichen von 60 großen Einheiten geführt. „Im Mittelpunkt steht die Frage, was in den einzelnen Bereichen genau gemacht wird und warum.“ Dabei werde hinterfragt, „ob dieser Aufwand angemessen ist“, so Bursian.

Mit Neuzuschnitt der Verwaltung sollen die Kosten bei Evonik sinken

Mit dem Neuzuschnitt der Verwaltung will der Vorstand auch die Kosten verringern. Bislang bleibe Evonik hinter den selbst gesteckten Finanzzielen zurück, gibt Konzernchef Kullmann zu bedenken. „Wir müssen jetzt die Weichen für profitables Wachstum und für die Zukunftsfähigkeit von Evonik stellen“, wird er im Mitarbeiter-Magazin zitiert. Dazu solle das Vorhaben „Tailor Made“ beitragen.

Deutschlands Chemieindustrie befindet sich derzeit stark unter Druck. Im Juli musste Kullmann erstmals in seiner mehr als sechsjährigen Amtszeit als Chef von Evonik seine Gewinnziele nach unten korrigieren – zu groß ist die Krise in der Branche, zu schwach die Nachfrage zahlreicher Kunden.

Wie viele Stellen wegfallen sollen, lässt das Management offen. Der Schutz vor betriebsbedingten Beendigungskündigungen bei Evonik in Deutschland bis Ende 2032 bleibe bestehen, betont das Unternehmen.

Bei der Verkleinerung der Verwaltungsstrukturen setzt Evonik augenscheinlich auch auf die Fluktuation im Betrieb. „Viele Babyboomer scheiden in den nächsten Jahren aus“, sagt Bursian. „Dieses Potenzial können wir in dem Projekt nutzen.“ Der Umbau der Evonik-Verwaltung soll Unternehmensangaben zufolge im nächsten Jahr starten und 2026 abgeschlossen sein.

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