Duisburg/Essen. Der scheidende Vize-Aufsichtsratschef von Thyssenkrupp Steel, Detlef Wetzel, zeichnet ein düsteres Bild von der Lage im Konzern.

Es ist ein Bild, das in Erinnerung bleiben wird: Als Detlef Wetzel am 29. August die Duisburger Firmenzentrale von Thyssenkrupp Steel verlässt, reckt er eine geballte Faust in die Höhe. Da ist bereits klar: Nach 24 Jahren im Aufsichtsrat von Deutschlands größtem Stahlkonzern hört der 71-jährige frühere Chef der IG Metall bei Thyssenkrupp Steel auf. In unserem Interview spricht Wetzel über seine Beweggründe und rechnet mit Konzernchef Miguel López ab. Am 12. September tagt erneut der Konzern-Aufsichtsrat von Thyssenkrupp in Essen – mitten in der Krise.

Herr Wetzel, am 16. September legen Sie Ihr Mandat als Aufsichtsratsmitglied von Deutschlands größtem Stahlkonzern Thyssenkrupp Steel nieder. Ist das der schwerste Abschied Ihres Berufslebens?

Wetzel: Ja, auf alle Fälle. Es ist nicht schön, wenn man gehen muss und etwas ist unvollendet. Die schönsten Abschiede sind es doch, wenn zuvor etwas erreicht worden ist. Bei Thyssenkrupp Steel ist es das genaue Gegenteil: Jetzt ist Schluss, und nichts ist erreicht.

29. August 2024 in Duisburg: Detlef Wetzel, Vize-Aufsichtsratschef von Thyssenkrupp Steel, spricht nach der Aufsichtsratssitzung vor der Konzernzentrale zu Stahl-Beschäftigten.
29. August 2024 in Duisburg: Detlef Wetzel, Vize-Aufsichtsratschef von Thyssenkrupp Steel, spricht nach der Aufsichtsratssitzung vor der Konzernzentrale zu Stahl-Beschäftigten. © dpa | Fabian Strauch

Schwingt womöglich doch ein wenig Erleichterung mit, dass Sie nun nicht mehr ein zentraler Akteur in einem hart geführten Konflikt innerhalb eines schwer angeschlagenen Großkonzerns sind?

Wetzel: Man ist ein bisschen aus der Hölle raus, das stimmt schon. Zuletzt war es nur noch furchtbar.

Was meinen Sie damit?

Wetzel: Im Laufe meiner Arbeit für die IG Metall habe ich viel gesehen. 50 Jahre sind es ja mittlerweile. Aber sowas wie bei Thyssenkrupp in den vergangenen Monaten habe ich noch nie erlebt. Natürlich vertrete ich die Interessen der Arbeitnehmer, aber dabei bin ich immer an einem fachlichen Austausch interessiert. Es ist doch klar: Ohne Kompromisse geht es nicht. Jetzt habe ich erstmals ein Management in einem traditionsreichen deutschen Unternehmen erlebt, das komplett kompromissunwillig ist.

Miguel López, der Vorstandsvorsitzende von Thyssenkrupp, hier im Mai bei einer Kundgebung vor der Konzernzentrale in Essen.
Miguel López, der Vorstandsvorsitzende von Thyssenkrupp, hier im Mai bei einer Kundgebung vor der Konzernzentrale in Essen. © dpa | Rolf Vennenbernd

Sie meinen den Thyssenkrupp-Vorstand um Konzernchef Miguel López?

Wetzel: Ja. Ich muss das leider so hart sagen: Wie Herr López agiert, das ist wirklich unterste Schublade. Wir haben im Aufsichtsrat – und da beziehe ich auch den scheidenden Aufsichtsratschef Sigmar Gabriel mit ein – in einer schwierigen Situation für das Unternehmen sehr engagiert versucht, einen Ausgleich der Interessen zwischen der Eigentümer- und der Arbeitnehmerseite herzustellen. Doch jede Annäherung ist von Herrn López direkt zunichte gemacht worden. Das Schlimme ist: Ich bin mir sicher, dass er dafür die Rückendeckung von Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm und insbesondere Krupp-Stiftungschefin Ursula Gather hat.

Na ja, die Krupp-Stiftung hat auch einige dividendenlose Jahre bei Thyssenkrupp hinnehmen müssen. Bei der Nachricht zum Einstieg des tschechischen Investors Daniel Kretinsky in der Stahlsparte hat die Stiftung betont, als größte Anteilseignerin habe sie gerade auch in schwierigen Zeiten im Interesse der Belegschaft ihre eigenen Interessen zurückgestellt.

Wetzel: Als Mitglied des Aufsichtsrats ist Frau Gather dem Unternehmenswohl verpflichtet, nicht dem Stiftungswohl. Das Beste für die Firma muss nicht immer das Beste für die Stiftung sein. Es ist nicht gut für das Unternehmen, was sich jetzt abspielt. Der Aktienkurs ist im Keller. Thyssenkrupp hat einen historisch niedrigen Wert. Eine Strategie, was aus dem Konzern werden soll, kann ich beim besten Willen nicht erkennen.

Aktionärsvertreter fordern doch schon seit Jahren, dass sich bei der Stahlsparte etwas tun muss. López will die Belastungen des Stahls aus der Konzernbilanz haben. Aber die IG Metall sträubt sich dagegen.

Wetzel: Einspruch. Wir haben immer gesagt: Eine Verselbstständigung des Stahls ist ein guter Plan, wenn die Finanzausstattung für Thyssenkrupp Steel stimmt. Wir wehren uns dagegen, dass López den Stahl billig loswerden will.

Aber wo soll das Geld denn herkommen, das Sie in Thyssenkrupp Steel stecken möchten?

Wetzel: Zunächst einmal ist doch klar: Es wäre unsinnig, Thyssenkrupp Steel unterfinanziert zu lassen. Dann wäre es doch nur eine Frage der Zeit, bis das Management Insolvenz anmelden muss. Eine solche Scheinlösung machen wir als Arbeitnehmervertreter nicht mit. Wenn es keine andere Möglichkeit gibt, das erforderliche Kapital für Thyssenkrupp Steel aufzubringen, müsste sich der Mutterkonzern wohl von werthaltigen Aktivitäten trennen.

Als Detlef Wetzel am 29. August die Duisburger Firmenzentrale von Thyssenkrupp Steel verlässt, reckt er eine geballte Faust in die Höhe. 
Als Detlef Wetzel am 29. August die Duisburger Firmenzentrale von Thyssenkrupp Steel verlässt, reckt er eine geballte Faust in die Höhe.  © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Dann bliebe aber noch weniger vom Thyssenkrupp-Konzern.

Wetzel: Stahl wird gebraucht. Das ist sicher. Ich glaube, dass es die Stahl AG auch dann noch geben wird, wenn schon keiner mehr weiß, was die Thyssenkrupp AG war.

Hat das womöglich der tschechische Investor Daniel Kretinsky erkannt, der schon 20 Prozent der Anteil von Thyssenkrupp Steel übernommen hat – und noch stärker einsteigen könnte?

Wetzel: Ich weiß nicht, was Kretinskys Ambitionen sind. Für mich ist noch völlig undurchsichtig, was er für einen Plan hat. Herr Kretinsky hätte die Möglichkeit gehabt, den unwürdigen Prozess, der bei Thyssenkrupp Steel in den vergangenen Tagen zum Führungschaos geführt hat, zu stoppen. Das hat er nicht getan. So entsteht für mich ein zweifelhafter Eindruck.

Eindrücke vom Protest der Beschäftigten am 12. September in Essen – zum Text geht es hier.

Protest in Bildern: Beschäftigte von Thyssenkrupp sind sauer

Gewerkschafter demonstrieren am Donnerstag vor der Thyssenkrupp-Zentrale in Essen – das Ziel der Wut ist vor allem Vorstandschef Miguel López.
Gewerkschafter demonstrieren am Donnerstag vor der Thyssenkrupp-Zentrale in Essen – das Ziel der Wut ist vor allem Vorstandschef Miguel López. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann
Gewerkschafter demonstrieren am Donnerstag vor der Thyssenkrupp-Zentrale in Essen – das Ziel der Wut ist vor allem Vorstandschef Miguel López.
Gewerkschafter demonstrieren am Donnerstag vor der Thyssenkrupp-Zentrale in Essen – das Ziel der Wut ist vor allem Vorstandschef Miguel López. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann
Gewerkschafter demonstrieren am Donnerstag vor der Thyssenkrupp-Zentrale in Essen – das Ziel der Wut ist vor allem Vorstandschef Miguel López.
Gewerkschafter demonstrieren am Donnerstag vor der Thyssenkrupp-Zentrale in Essen – das Ziel der Wut ist vor allem Vorstandschef Miguel López. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann
Gewerkschafter demonstrieren am Donnerstag vor der Thyssenkrupp-Zentrale in Essen – das Ziel der Wut ist vor allem Vorstandschef Miguel López.
Gewerkschafter demonstrieren am Donnerstag vor der Thyssenkrupp-Zentrale in Essen – das Ziel der Wut ist vor allem Vorstandschef Miguel López. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann
Gewerkschafter demonstrieren am Donnerstag vor der Thyssenkrupp-Zentrale in Essen – das Ziel der Wut ist vor allem Vorstandschef Miguel López.
Gewerkschafter demonstrieren am Donnerstag vor der Thyssenkrupp-Zentrale in Essen – das Ziel der Wut ist vor allem Vorstandschef Miguel López. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann
Gewerkschafter demonstrieren am Donnerstag vor der Thyssenkrupp-Zentrale in Essen – das Ziel der Wut ist vor allem Vorstandschef Miguel López.
Gewerkschafter demonstrieren am Donnerstag vor der Thyssenkrupp-Zentrale in Essen – das Ziel der Wut ist vor allem Vorstandschef Miguel López. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann
Gewerkschafter demonstrieren am Donnerstag vor der Thyssenkrupp-Zentrale in Essen – das Ziel der Wut ist vor allem Vorstandschef Miguel López.
Gewerkschafter demonstrieren am Donnerstag vor der Thyssenkrupp-Zentrale in Essen – das Ziel der Wut ist vor allem Vorstandschef Miguel López. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann
Gewerkschafter demonstrieren am Donnerstag vor der Thyssenkrupp-Zentrale in Essen – das Ziel der Wut ist vor allem Vorstandschef Miguel López.
Gewerkschafter demonstrieren am Donnerstag vor der Thyssenkrupp-Zentrale in Essen – das Ziel der Wut ist vor allem Vorstandschef Miguel López. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann
Gewerkschafter demonstrieren am Donnerstag vor der Thyssenkrupp-Zentrale in Essen – das Ziel der Wut ist vor allem Vorstandschef Miguel López.
Gewerkschafter demonstrieren am Donnerstag vor der Thyssenkrupp-Zentrale in Essen – das Ziel der Wut ist vor allem Vorstandschef Miguel López. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann
Gewerkschafter demonstrieren am Donnerstag vor der Thyssenkrupp-Zentrale in Essen – das Ziel der Wut ist vor allem Vorstandschef Miguel López.
Gewerkschafter demonstrieren am Donnerstag vor der Thyssenkrupp-Zentrale in Essen – das Ziel der Wut ist vor allem Vorstandschef Miguel López. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann
Gewerkschafter demonstrieren am Donnerstag vor der Thyssenkrupp-Zentrale in Essen – das Ziel der Wut ist vor allem Vorstandschef Miguel López.
Gewerkschafter demonstrieren am Donnerstag vor der Thyssenkrupp-Zentrale in Essen – das Ziel der Wut ist vor allem Vorstandschef Miguel López. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann
Gewerkschafter demonstrieren am Donnerstag vor der Thyssenkrupp-Zentrale in Essen – das Ziel der Wut ist vor allem Vorstandschef Miguel López.
Gewerkschafter demonstrieren am Donnerstag vor der Thyssenkrupp-Zentrale in Essen – das Ziel der Wut ist vor allem Vorstandschef Miguel López. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann
Gewerkschafter demonstrieren am Donnerstag vor der Thyssenkrupp-Zentrale in Essen – das Ziel der Wut ist vor allem Vorstandschef Miguel López.
Gewerkschafter demonstrieren am Donnerstag vor der Thyssenkrupp-Zentrale in Essen – das Ziel der Wut ist vor allem Vorstandschef Miguel López. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann
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