Essen. Weiter Unruhe bei Thyssenkrupp: „Lopez raus“-Rufe vor der Aufsichtsratssitzung des Konzerns in Essen. IG Metall macht Stahl „zur Chefsache“.
Keine Thyssenkrupp-Aufsichtsratssitzung mehr ohne freundliches „Guten Morgen“ von Abordnungen der Stahl-Standorte. In Erwartung der Zusammenkunft der Konzernkontrolleure haben Beschäftigte des Unternehmens vor der Essener Konzernzentrale ab 8 Uhr kurzzeitig die Zufahrtswege zum Firmensitz blockiert – mit Beeinträchtigungen auch für den Berufsverkehr rund um das Unternehmensareal in Essen. Der Konzernchef wurde mit Schmähschriften und einem Transparent empfangen, auf dem neben „López muss weg“ ein Mittelfinger drapiert ist. Wer in die Tiefgarage fahren will und seine Fensterscheibe herablässt, um einen Handzettel entgegenzunehmen, atmet rotes Leuchtfeuer ein.
Zu den Aufsichtsratsmitgliedern gehören unter anderem Krupp-Stiftungschefin Ursula Gather und der BDI-Präsident Siegfried Russwurm, der die Sitzung der Thyssenkrupp-Konzernkontrolleure leitet. Auch ihnen im Trio mit López haben die Stahlkocher Transparente mit wenig freundlichen Botschaften gewidmet, „Gier“ werfen sie insbesondere Gather und der Krupp-Stiftung vor, die in der Essener Villa Hügel residiert. Sie bangen um ihre Werke und ihre Arbeitsplätze, weil Konzernchef López härtere Einschnitte im Stahl durchsetzen will, als bisher geplant war. Ihr wird vorgeworfen, auf eine Dividende zu pochen, obwohl es Thyssenkrupp schlecht geht.
Vor Beginn der Aufsichtsratssitzung danken Jürgen Kerner, Vizechef sowohl der IG Metall als auch des Thyssenkrupp-Aufsichtsrats, und Konzernbetriebsratsvorsitzender Tekin Nasikkol den aus Duisburg, Dortmund, Bochum, Gelsenkirchen und Siegen angereisten Kolleginnen und Kollegen für ihre Unterstützung. „In Wolfsburg und Duisburg wird aktuell die Sozialpartnerschaft und die Mitbestimmung verteidigt“, ruft Nasikkol, und erklärt: „Mit der Vorsitzenden Christiane Benner in Wolfsburg und Jürgen Kerner hier bei uns hat die IG Metall das zur Chefsache gemacht.“
Attacken auf Konzernchef López auch unter der Gürtellinie
Der Ton im schicken Innenhof der Konzernquartiere war noch schärfer als bei der Großdemo Ende Mai: Helmut Renk, Betriebsratschef des Siegener Thyssenkrupp-Werks, ergriff das Mikro und brüllte hinein: „Ein Verrückter macht den Konzern kaputt, den Stahl kaputt und mit ihm 27.000 Beschäftigte und deren Familien. Wie menschenverachtend kann ein Mensch sein? López, komm runter.“ Er kam nicht runter, was mit Kommentaren unter der Gürtellinie quittiert wurde.
Es wird erwartet, dass sich die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat insbesondere mit der Rolle von Vorstandschef Miguel López befassen werden. Darauf deutet auch ein Flugblatt hin, das die Beschäftigten vor der Thyssenkrupp-Zentrale verteilten. „Würden Sie diesem Mann ihr Geld anvertrauen?“, steht auf dem Flugblatt. Die Bilanz von López sei unter anderem: „Unternehmenswert halbiert“, „keine Strategie“ und „immenser Imageverlust fürs Unternehmen“. In seine Bilanz schreiben sie auch: „Drei Vorstände geschasst“ und „vier Aufsichtsräte vergrault“.
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Nach einer Aufsichtsratssitzung der Thyssenkrupp-Stahlsparte vor zwei Wochen in Duisburg waren vier Aufsichtsräte zurückgetreten, darunter der Vorsitzende Sigmar Gabriel und sein Stellvertreter Detlef Wetzel. In einer Pressekonferenz rechneten beide mit Konzernchef López und Russwurm ab, Gabriel warf López eine Kampagne gegen den mittlerweile zurückgetretenen Stahlchef Bernhard Osburg vor. Nun kommt der Aufsichtsrat des Essener Mutterkonzerns zusammen, um sich mit der Lage des Industriekonzerns, zu dem insgesamt rund 100.000 Beschäftigte gehören, zu befassen.
IG Metall: Sorge um 10.000 Arbeitsplätze bei Thyssenkrupp
„Ich bin hier, um für unsere Arbeitsplätze zu kämpfen“, sagte ein Beschäftigter aus Dortmund, der am Donnerstagmorgen nach Essen gereist ist. „Wenn López sich durchsetzt, ist kein Standort mehr sicher und die Hälfte der Arbeitsplätze ist weg.“ Die IG Metall und der Stahl-Betriebsrat von Thyssenkrupp hatten erklärt, 10.000 Arbeitsplätze in Gefahr zu sehen, sollte sich Konzernchef López mit seinen Plänen durchsetzen. Die Seite der Anteilseigner im Konzernaufsichtsrat hatte daraufhin der IG Metall unverantwortliche Panikmache vorgeworfen. Sie verunsichere die Beschäftigten auf „unangemessene“ Weise, „indem der Eindruck massenhaft drohender individueller Arbeitsplatzverluste vermittelt wird“, hieß es.
Protest in Bildern: Beschäftigte von Thyssenkrupp sind sauer
Jürgen Kerner forderte vor Beginn der Sitzung die Anteilseignerseite auf, zur Thyssenkrupp-Kultur des gegenseitigen Respekts zurückzukehren. das sei verloren gegangen, menschlich sei bei Thyssenkrupp „der Tiefpunkt erreicht“, sagte der Gewerkschafter. Das Motto von Managern, „Wer nicht für mich ist, der fliegt“, habe „schon andere Konzerne in den Abgrund gerissen“. Dabei habe niemand den Wert des Unternehmens „so runtergeprügelt wie López“, betont Kerner. In der Tat ist der Börsenwert von Thyssenkrupp inzwischen auf unter zwei Milliarden Euro geschrumpft, beim Antritt des Deutschspaniers war es noch mehr als doppelt so viel.
Nasikkol, ebenfalls Aufsichtsratsmitglied der AG, rief den Stahlarbeitern zu, das Unternehmen leide nicht unter ihnen, „sondern unter den Entscheidungen von Managern, die gescheitert sind“. Der Betriebsratschef betonte, damit „nicht nur López“ zu meinen, sondern auch andere, insbesondere Chefkontrolleur Russwurm, der mehrfach die geschlossene Arbeitnehmerseite mit seiner Doppelstimme überstimmt und damit „eine neue Kultur“ vorgegeben habe.
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