Duisburg/Essen. Die Unruhe bei Thyssenkrupp ist groß. Bei einer Betriebsversammlung wird die Angst laut: Der Stahlsparte könnte bald das Geld fehlen.
Arbeitnehmervertreter von Thyssenkrupp Steel zeigen sich besorgt um die finanzielle Ausstattung der Stahlsparte mit ihrem großen Standort Duisburg. „Jetzt ist eine Kettenreaktion in Gang gekommen, die im schlimmsten Fall unser Sargnagel sein kann“, sagte Olaf Vopel, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender am Standort Duisburg Hamborn/Beeckerwerth, unserer Redaktion. Der Arbeitnehmervertreter verweist auf das Aus für den Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag (BGAV) zwischen dem Essener Mutterkonzern und Thyssenkrupp Steel. Dies habe weitreichende Folgen für die Stahlsparte.
Der sogenannte BGAV laufe mit dem Einstieg des tschechischen Geschäftsmanns Daniel Kretinsky bei Thyssenkrupp Steel automatisch am 30. September 2024 aus. „Das kommt einer faktischen Verselbstständigung des Stahlbereiches gleich“, erklärt Vopel. „Wie die finanzielle Ausstattung in Zukunft geregelt ist, ist weiterhin unklar. Pensionen und Basisinvestitionen verschlingen pro Jahr bereits eine Milliarde Euro“, so der Arbeitnehmervertreter. „Und schlimmer noch: Mögliche Verluste des Stahlbereiches müssen vom Konzern zukünftig nicht mehr ausgeglichen werden, Gewinne können jedoch an die Aktionäre verteilt werden. Diese Situation alarmiert uns hier am Standort Duisburg Hamborn/Beeckerwerth in hohem Maße.“
Die Lage sei den Beschäftigten am 13. Juni bei zwei Betriebsversammlungen von Thyssenkrupp Steel am Standort Duisburg Hamborn/Beeckerwerth geschildert worden. Mehr als 2000 Beschäftigte sind nach Angaben des Betriebsrats zu den Treffen im Duisburger Landschaftspark gekommen. Im Mittelpunkt der Diskussionen mit dem Vorstand von Thyssenkrupp Steel habe das Thema Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag (BGAV) gestanden.
Ringen um künftige Finanzierung von Thyssenkrupp Steel
Auf Anfrage unserer Redaktion hatte das Thyssenkrupp-Management vor wenigen Tagen bestätigt, dass der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag zwischen der Thyssenkrupp AG und der Stahlsparte automatisch ende, wenn ein neuer Miteigner wie die Kretinsky-Firma EPCG einsteige. Dies geschehe mit dem Abschluss der Transaktion („Closing“). Auch nach einer vollzogenen Beteiligung werde das Stahlgeschäft allerdings „vorerst weiter seitens Thyssenkrupp finanziert“.
Für den Fall eines 50-50-Gemeinschaftsunternehmens, wie es Konzernchef Miguel López anstrebt, werde „eine eigenständige Finanzierung mit unterstützenden Beiträgen beider Partner angestrebt“, teilte die Thyssenkrupp-Führung zudem mit. „Eine solche eigenständige Finanzierung würde auf Basis des neuen Businessplans von den Gesellschaftern festgelegt.“ Die Details dazu seien mit der Kretinsky-Firma EPCG in den Gesprächen über den Erwerb weiterer 30 Prozent am Stahlgeschäft zu klären.
Zur Thyssenkrupp-Stahlsparte mit großen Standorten unter anderem in Bochum, Dortmund und Duisburg gehört etwa ein Viertel der insgesamt knapp 100.000 Beschäftigten des Essener Industriekonzerns. Allein am Duisburger Standort Hamborn/Beeckerwerth gibt es nach Angaben des Betriebsrats etwa 13.700 Beschäftigte. Olaf Vopel hat die Betriebsversammlungen am 13. Juni stellvertretend für Betriebsratschef Ali Güzel geleitet, der aufgrund einer Erkrankung diesmal nicht teilnehmen konnte.
Stahlsparte soll Bilanz von Thyssenkrupp künftig nicht mehr belasten
Gegen die Stimmen der Arbeitnehmervertreter im Konzern hat der Aufsichtsrat von Thyssenkrupp unlängst entschieden, dass der tschechische Geschäftsmann Daniel Kretinsky mit seiner Firma EP Corporate Group (EPCG) bei der Stahlsparte einsteigen kann und zunächst rund 20 Prozent der Anteile übernehmen darf. Das Ziel sei die Schaffung eines Gemeinschaftsunternehmens, an dem beide Seiten jeweils 50 Prozent der Anteile halten, so Thyssenkrupp-Vorstandschef López.
Das Ziel von López ist, finanzielle Belastungen durch die Stahlsparte aus der Thyssenkrupp-Bilanz zu bekommen. Der Kretinsky-Deal solle eine sogenannte De-Konsolidierung der Stahlsparte in den Thyssenkrupp-Büchern bewirken, erklärte López vor wenigen Tagen vor der Wirtschaftspublizistischen Vereinigung (WPV) in Düsseldorf.
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