Berlin. Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm stellt sich im Koalitionsstreit hinter den Finanzminister – und macht überraschende Sparvorschläge.

Muss der Bundeshaushalt neu verhandelt werden? Nach langem Ringen hatte sich die Ampelspitze auf einen Entwurf für den Etat 2025 verständigt, das Kabinett stimmte zu. Doch dann ließ Finanzminister Christian Lindner (FDP) die Bombe platzen: Vereinbarte Prüfungen hätten verfassungsrechtliche Risiken ergeben. Weitere fünf Milliarden Euro müssten eingespart werden.

Die Nürnberger Ökonomieprofessorin Veronika Grimm, Mitglied im Sachverständigenrat Wirtschaft, sagt im Interview mit unserer Redaktion, warum sie Lindner grundsätzlich recht gibt – und wo sie den Rotstift ansetzen würde.

Wie bewerten Sie das Haushaltsmanöver von Finanzminister Lindner?

Veronika Grimm: Die Vorgänge erscheinen plausibel. Man war sich in den Verhandlungen der Koalitionsspitzen im Juli offenbar unsicher, ob verschiedene Maßnahmen verfassungskonform sind, und hat nun Gutachten eingeholt. Diese deuten darauf hin, dass man nachbessern muss. Gerade in der aktuellen Lage sollte die Regierung unbedingt vermeiden, einen angreifbaren Haushalt aufzustellen.

Also geht es nicht um Selbstvermarktung, wie die SPD vermutet?

Grimm: Klar ist jedenfalls: Könnte gegen den Haushalt wieder in Karlsruhe aussichtsreich geklagt werden, würde dies die Unsicherheit zusätzlich erhöhen und brächte auch die Akteure in Verruf. Es darf nicht zur Gewohnheit werden, die Gesetzeslage zu ignorieren, nur weil man die aktuellen Regeln für unbequem oder nicht richtig hält. Wenn letzteres der Fall ist, dann muss man Mehrheiten organisieren, um die Gesetzeslage zu ändern – in diesem Fall also die Schuldenbremse anzupassen. Wenn man das nicht schafft, dann muss man als guter Demokrat den Ehrgeiz haben, die Regeln einzuhalten. Oder die Verantwortung abgeben.

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Woher sollen die fehlenden Milliarden kommen? 

Grimm: Das muss politisch ausgehandelt werden. Möglichkeiten gibt es: Weniger Subventionen und dafür mehr Anreize beim Klimaschutz. Aktuell vergeben wir umfangreiche Zuschüsse für Solaranlagen oder Heizungssysteme, die zum ganz großen Teil den Wohlhabenden in unserer Gesellschaft zugutekommen. Man könnte auch Leistungsberechtigungen in den Sozialsystemen anpassen. Oder Mautsysteme einführen, sodass Darlehen an die Autobahngesellschaft als sogenannte finanzielle Transaktion gewertet werden können und nicht unter die Schuldenbremse fallen. Das Problem der Koalition ist, dass diese Maßnahmen zum Teil einen größeren Vorlauf brauchen und man sich bisher gesperrt hat, Ausgaben zurückzufahren. Kurzfristig ist der Druck daher hoch. Diese Situation ist selbstgemacht.

Stichwort Sozialsysteme. Sehen Sie hier wirklich Spielraum?

Grimm: Ja. Man könnte Anpassungen bei der Anspruchsberechtigung für die Rente ab 63 und bei der Witwenrente vornehmen. Es ließen sich auch stärkere Sanktionen im Bürgergeld einführen, wenn man eine zumutbare Arbeit nicht annimmt. Das sollte man kombinieren mit einer Verringerung der Transferentzugsraten, so dass Bürgergeldempfänger, die eine Beschäftigung aufnehmen, mehr von ihrem Einkommen behalten können. So würde sich der Ausstieg aus dem Bürgergeld für die Betroffenen auch finanziell auszahlen. Man muss erreichen, dass sich das Arbeiten im unteren Einkommensbereich lohnt.

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Lassen sich die Herausforderungen meistern, solange die Schuldenbremse gilt?

Grimm: Sie müssen sich meistern lassen. Es ist eine Illusion zu glauben, dass die Situation bei aufgeweichter Schuldenbremse deutlich anders wäre. Der zusätzliche Spielraum wäre in Nullkommanichts aufgebraucht und die Diskussionen gingen von vorne los. So viel zusätzlichen Spielraum gibt es auch gar nicht, wenn wir die Schuldentragfähigkeit erhalten wollen.

Können Sie das belegen?

Grimm: Wir haben das in unserem Policy Brief des Sachverständigenrats aufgezeigt: In einem Szenario, in dem wir alle fünf Jahre signifikante Krisen erleben und im Zuge der Notfallregel mehr Schulden machen, gibt es nur einen zusätzlichen Verschuldungsspielraum von 8 bis 12 Milliarden pro Jahr. Wenn man noch mehr Schulden aufnehmen würde, wären irgendwann die Kapitalmärkte eine natürliche Schuldenbremse. Das wäre nicht gut, denn die Kapitalmärkte kennen keine Notfallregel für Ausnahmesituationen. Man wäre dann also in Krisen nicht mehr handlungsfähig. Das wünscht sich niemand. Die Wahrheit ist, dass die Regierung in einer schwierigen Zeit Verantwortung hat: Die Leistungsversprechen des Staates, an die wir uns gewöhnt haben, werden nicht mehr zu halten sein, wenn wir den zukünftigen Herausforderungen gerecht werden wollen.