Berlin. Alles von vorne? Finanzminister Lindner meldet Gesprächsbedarf zum Haushalt an, die Koalitionspartner sehen die Bringschuld bei der FDP.

Beginnt der Haushaltsstreit der Ampel von vorn?

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    Christian Lindner hüllt sich am Freitag in Schweigen. Keine offiziellen Statements, keine Tweets, auf dem Instagram-Konto des Bundesfinanzministers wird lediglich die neue Folge von Lindners Podcast beworben. Zum Haushalt: kein Wort.

    Dabei war es sein Haus gewesen, das am Vortag der fragilen Statik des Ampel-Haushaltsentwurfs einen kräftigen Stoß versetzt, das ganze Konstrukt ins Wanken und die Koalition schon wieder an den Rand des Nervenzusammenbruchs gebracht hatte.

    Zwei Papiere sehen Risiken bei den Vorschlägen der Ampel

    Kurze Rückblende: Nach wochenlangen Verhandlungen hatten Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) kurz vor der politischen Sommerpause eine Übereinkunft präsentiert – einen Entwurf für den Bundeshaushalt 2025.

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    Von Jan Dörner, Dominik Bath und Thorsten Knuf

    Darin enthalten waren auch verschiedenen Ideen, wie die Pläne der Bundesregierung finanziell so strukturiert werden könnten, dass sie nicht unter die Schuldenbremse fallen. Konkret ging es um die Umwandlung von Zuschüssen in Darlehen an die InfraGO, die Infrastruktur-Tochter der Deutschen Bahn, und die Autobahn AG. Erwogen wurde außerdem, ob der Bund Gelder verwenden könnte, die bei der Schlussabrechnung der Gaspreisbremse übrig geblieben waren und bei der Förderbank KfW liegen.

    Doch schon damals stand die Frage im Raum, ob das rechtlich wasserdicht ist. Nun sind zwei Papiere öffentlich geworden, die versuchen, diese Fragen zu beantworten: ein Gutachten von Johannes Hellermann, der den Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht der Universität Bielefeld leitet. Und eine Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen, eines wirtschafts- und finanzwissenschaftlichen Gremiums.

    Vor allem der Beirat äußert „erhebliche Zweifel“ an allen drei Überlegungen. Das juristische Gutachten sieht Spielräume beim Darlehen an die Bahn-Tochter, aber Risiken bei der Autobahn AG und den Restmitteln aus der Gaspreisbremse. Das Bundesfinanzministerium zog daraus den Schluss, dass nachverhandelt werden muss – „weitere Gespräche“ seien notwendig –, und schlug vor, über Wege zur „Stärkung der Treffsicherheit der Sozialausgaben“ nachzudenken.

    Jusos sehen nur ein Ergebnis aus der Prüfung des Finanzministeriums

    Beim Sozialen kürzen, um zu sparen: Damit macht Lindners Haus einen Grundkonflikt wieder auf, der schon bei den Verhandlungen im Frühjahr die Gespräche vor allem zwischen SPD und Liberalen so schwierig gemacht hatte.

    Entsprechend verärgert reagieren die Sozialdemokraten. Und so ist einen Tag nach dem Vorstoß des Finanzministeriums eine Forderung wieder da, die für den Haushalt 2025 eigentlich vom Tisch war: die erneute Aussetzung der Schuldenbremse. Das könne das „einzige Ergebnis“ der vom Finanzministerium geforderten Nachverhandlungen sein, sagte Philipp Türmer, Vorsitzender der Jusos, unserer Redaktion. Die Schuldenbremse wiederum ist für die FDP, was Sozialkürzungen für die SPD sind – eine mögliche Sollbruchstelle für die Koalition.

    Türmer wirft Lindner mangelndes Bewusstsein für die Verantwortung seines Amtes vor: „Es grenzt an Arbeitsverweigerung, dass er sich nun seit Monaten dagegenstemmt, einen Haushalt aufzustellen, der verfassungskonform und zukunftsfest ist“, sagte Türmer über den Finanzminister. Die neuerlichen Gutachten würden zeigen, dass, um diese Sorgen nachhaltig zu lösen, es endlich gelte, die Schuldenbremse im nächsten Jahr auszusetzen. „Doch dem Finanzminister ist an tatsächlichen Lösungen nicht gelegen.“ Stattdessen versuche er erneut, die Haushaltsdebatte für seine Ideologie des schwachen Staats zu nutzen, und greife den Sozialstaat an.

    Mützenich und Grüne sehen Lindner am Zug, Antworten zu liefern

    Ähnlich aufgebracht klingen auch andere Sozialdemokraten. Rolf Mützenich, SPD-Fraktionschef im Bundestag, kritisierte es gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“ als „unverantwortlich und im Verhältnis zwischen Exekutive und Legislative bei der Haushaltsaufstellung einmalig“, dass ein Teil der Bundesregierung die alleinige Verantwortung für den Haushalt nun an das Parlament delegiere. Bereits in der Vergangenheit habe sich „bei einigen Ressortchefs eine Haltung herausgebildet, Probleme und Ungereimtheiten dem Bundestag zu überantworten, ohne selbst Verantwortung tragen zu wollen“, sagte Mützenich in Richtung von Lindner. „Ich erwarte daher, dass die Regierung beim neuen Haushalt zu einer kompetenten und einvernehmlichen Entscheidung kommt.“ Mützenich teilt auch die Rechtsauffassung von Lindners Ministerium nicht, er verweist auf das juristische Gutachten.

    Auch die Grünen sehen Lindner in der Verantwortung, das Problem zu lösen. „Kopf-in-den-Sand-Politik ist jetzt zu wenig“, sagte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Andreas Audretsch. „Ein Finanzminister kann nicht nur Vorschläge verwerfen – er muss Lösungen entwickeln.“ Rechtlich und finanzpolitisch sei dafür ausreichend Spielraum vorhanden, das zeige das Rechtsgutachten, das von der Bundesregierung in Auftrag gegeben wurde.

    Im September soll der Bundestag den Haushalt beraten

    Auch Audretsch zog für die weiteren Gespräche rote Linien ein: Eine Lösung dürfe weder auf Kosten des sozialen Zusammenhalts noch auf Kosten des Klimaschutzes gehen. „Bürger und Unternehmen müssen sich auf Zusagen verlassen können“, sagte er. „Wir können uns ein Kaputtsparen nicht leisten. Das wird es mit uns nicht geben.“

    Wie es jetzt weitergeht, ist offen. Im September soll der Bundestag über den Haushalt für das nächste Jahr beraten – wenn es bis dahin einen fertigen Entwurf gibt.