Witten. Wirtschaftsminister Habeck will mit Revier-Mittelständlern diskutieren. Wittener Unternehmerin Katja Lohmann-Hütte redet vorab Klartext.
Auf seiner Sommerreise will Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Mittwoch, 10. Juli, in Bochum auf Einladung der Industrie- und Handelskammer Mittleres Ruhrgebiet mit rund 50 Mittelständlern aus dem Ruhrgebiet diskutieren. Mit dabei sein wird auch die Wittener Stahlunternehmerin Katja Lohmann-Hütte. Wir sprachen mit ihr vorab über die Sorgen, mit denen sie Habeck konfrontieren will: hohe Energiepreise, zu viel Bürokratie und die Deindustrialisierung in Deutschland.
Frau Lohmann-Hütte, Sie haben am Mittwoch Gelegenheit, mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zu diskutieren. Welche Probleme drücken Ihr Unternehmen in Witten aktuell ganz besonders?
Katja Lohmann-Hütte: Unser Schmelzbetrieb, die Gießerei, die Schmiedepresse und das Walzwerk verbrauchen natürlich enorm viel Energie. Das ist für uns ein Wahnsinnsthema. Es mag ja sein, dass sich die Preise für Kleinverbraucher wieder normalisiert haben. Wir zahlen aber immer noch dreimal so viel für unser Gas und zweimal so viel für Strom im Vergleich zu Beginn der Krise Ende 2021. Das liegt auch daran, weil uns die Stadtwerke keine abgesicherten Preise mehr anbieten können.
Welche Konsequenzen haben die hohen Energiepreise für Ihr Unternehmen?
Lohmann-Hütte: Wir mussten im November 2023 Kurzarbeit für die meisten unserer 385 Beschäftigten anmelden. Aus Angst vor einer Gasmangellage in der deutschen Industrie haben sich zuletzt viele ausländische Kunden mit Stahlprodukten eingedeckt. Sie hatten Panik, dass wir in Witten nicht mehr produzieren können. Von den immensen Vorräten zehren die Kunden noch heute. Und uns fehlen die Aufträge.
Wie gehen Sie mit den hohen Energiepreisen um?
Lohmann-Hütte: Vor zehn Jahren machten Energiekosten noch fünf Prozent am Gesamtabsatz aus. Inzwischen sind es zehn Prozent. Wir sind gezwungen, die höheren Kosten an unsere Kunden weiterzureichen. Dadurch werden wir aber immer weniger wettbewerbsfähig, weil Unternehmen im Ausland weniger für Energie bezahlen. China liegt weit darunter und drängt nun auch mit Spezialstählen auf den deutschen Markt. Da wird die Luft für uns immer dünner.
Dabei hat die Lohmann-Gruppe schon einiges in erneuerbare Energien investiert.
Lohmann-Hütte: Wir sind ganz vorn dabei. Wir erzeugen Teile unseres Stroms mit Photovoltaik und mit einem Wasserkraftwerk. Nachhaltiger geht es nicht. Wir sind seit vielen Jahren zertifiziert. Einkäufer der deutschen Autoindustrie wissen das aber leider nicht zu schätzen. Sie kaufen lieber in China ein, wo die Komponenten billiger, aber längst nicht so nachhaltig produziert sind. Wir fertigen in unserer Gießerei bereits CO2-neutral. Dadurch bekommen wir aber keinen Auftrag mehr. Deshalb muss die Bundesregierung dringend dafür sorgen, dass die Energiepreise wieder fallen.
Energie ist aber sicherlich nicht das einzige Problem, unter dem Sie leiden.
Lohmann-Hütte: Die bürokratischen Hürden werden immer höher. Allein in den vergangenen drei Jahren sind das Lieferkettengesetz, das Hinweisgeberschutzgesetz, die Nachhaltigkeitsberichterstattung, das Klimaschutzgesetz, das Verpackungsgesetz und einiges mehr dazu gekommen. Und dann gibt es auch noch ständig Änderungen beim Kurzarbeitergeld. Das ist ein Wahnsinnsaufwand, der unglaublich viel Zeit und Arbeitskraft kostet.
Was fordern Sie in diesem Zusammenhang von Robert Habeck?
Lohmann-Hütte: Wir Mittelständler wollen ja nachhaltig arbeiten. Das ist doch gar nicht die Frage. Aber es kann doch nicht sein, dass wir diese hohen Standards allein in Deutschland haben. Damit schaffen wir uns doch selbst ab. Die Lohmann-Gruppe steht zum Standort Witten. Wir denken in Generationen. Andernorts nimmt aber die Deindustrialisierung zu. Deshalb braucht es Standards für die Industrie, die international gelten. Aber Deutschland legt bei den Anforderungen immer eine Schippe drauf.
Glauben Sie, dass Robert Habeck Ihnen ernsthaft zuhören wird?
Lohmann-Hütte: Das hoffe ich. Ich vertraue aber in erster Linie auf uns selbst. Wir sind zuversichtlich, unsere Kunden auch in schwierigen Zeiten an uns zu binden. Trotz Krise halten wir unsere Mitarbeiter, obwohl wir immer mehr unter der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall leiden.
Was meinen Sie damit?
Lohmann-Hütte: Die Krankenzahlen gehen nicht nur in unseren Betrieben stark nach oben. Die Hemmschwelle, sich beim Arzt krankzumelden, ist sehr niedrig geworden. Auf der anderen Seite werden die Unternehmen aber nicht bei der Lohnfortzahlung entlastet. Das gibt es in keinem anderen Land. Für uns haben sich die Kosten für Lohnfortzahlung in den vergangenen zehn bis zwölf Jahren verdreifacht. Dabei brauchen wir das gesamte Team, auch wenn wir gerade Kurzarbeit fahren müssen.
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