Dortmund. Überhöhte Strom- und Gasrechnungen: DEW21 stoppt Neukundengeschäft von „Stadtenergie“, stellt Führungskraft frei und informiert Staatsanwalt.
Etliche Kunden haben für ihren Ökostrom und ihr Gas zu viel bezahlt, das Neukundengeschäft ist gestoppt, die Zukunft des Anbieters ungewiss: Um den Ökonergieversorger Stadtenergie, eine Tochter der Dortmunder Stadtwerke, entwickelt sich ein Abrechnungsskandal. Eine Führungskraft des Unternehmens wurde inzwischen freigestellt. Die von überhöhten Rechnungen betroffenen Kundinnen und Kunden müssen jetzt darauf hoffen, dass die städtische Muttergesellschaft DEW21 ihre Fälle aufklärt und ihnen das zu viel gezahlte Geld zurück überweist.
Der erst jetzt publik gewordene Vorgang läuft bereits seit Monaten. Die Energietochter DEW21 der Dortmunder Stadtwerke (DSW21) erklärte nun, bei der Stadtenergie GmbH sei es „im Zeitraum 2022/23 zu Unregelmäßigkeiten bei einzelnen Kund*innenabrechnungen gekommen“. Dies sei beim Jahresabschluss 2023 im Frühjahr 2024 festgestellt worden, heißt es in einer Mitteilung vom Freitag. Der Hinweis steht inzwischen auch auf der Internetseite von Stadtenergie, einer eigenständig arbeitenden Ökoenergietochter von DEW21. Der reine Onlineanbieter versorgt mit nur zehn Beschäftigten Zehntausende Haushalte.
DEW21: Zahl der Betroffenen unklar, 30.000 sei „reine Spekulation“
Wie viele Kundinnen und Kunden betroffen sind, lasse sich noch nicht sagen, erklärte eine DEW-Sprecherin auf Nachfrage. Die Aufarbeitung laufe noch. Betroffene würden aktiv informiert und ihre Abrechnungen korrigiert. Die von den Ruhrnachrichten ohne Quellenangabe genannte Zahl von bis zu 30.000 Betroffenen nannte sie „eine reine Spekulation“. Das gelte auch für den möglichen Schaden einer mittleren zweistelligen Millionensumme. Insgesamt habe Stadtenergie eine Kundenzahl im „mittleren fünfstelligen Bereich“.
Ob kriminelle Energie hinter den überhöhten Abrechnungen steckt? Das lasse sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht beantworten, heißt es. Ein, zwei Hinweise werden aber noch hinterhergeschickt: Man habe Kontakt zur Staatsanwaltschaft aufgenommen, aber noch keine Strafanzeige erstattet. Und DEW-Geschäftsführer Gerhard Holtmeier sagte unserer Redaktion: „Für uns gibt es keine Toleranz bei unrechtmäßigem Handeln.“
Ob Stadtenergie, erst 2019 in Dortmund gegründet, am Ende womöglich abgewickelt werden muss? Auch das sei Teil der Aufarbeitung, für die sich der Dortmunder Energieversorger externe Hilfe geholt hat, heißt es. Zu den Untersuchungen der externen Wirtschaftsprüfer gehört demnach auch die Frage, ob und wenn ja wie es mit der Ökostromtochter weitergeht, bestätigt die Sprecherin unserer Redaktion.
Stadtwerke betonen, Betroffene erhielten ihr Geld zurück
DEW21 betont, die Betroffenen müssten nicht selbst aktiv werden, sondern würden „schnellstmöglich informiert“, ihnen entstehe kein Schaden. „Die entstandenen Unannehmlichkeiten bedauern wir“, erklärt die Dortmunder Stadtwerketochter. Klar ist aber, dass noch für viele Kundinnen und Kunden Rückzahlungen ausstehen, die bisherige Aufarbeitung seit dem Frühjahr hat bisher nicht gereicht, um alle Betroffenen ausfindig zu machen und zu entschädigen.
Das Neukundengeschäft hat die DEW21 für die Stadtenergie bis auf Weiteres gestoppt, neue Strom- und Gasverträge können aktuell nicht mehr abgeschlossen werden. Für Bestandskunden ändere sich aber nichts, betont die Unternehmenssprecherin, Belieferung und Service liefen wie gewohnt weiter. Für Fragen von Kundinnen und Kunden verweist DEW auf die Stadtenergie-Hotline unter 0231/7001212. „Wir werden den Sachverhalt vorbehaltlos aufklären und sicherstellen, dass für die Kunden der Stadtenergie kein Schaden entsteht“, verspricht DEW-Chef Holtmeier.
Nutzer: Zu hohe Abschläge, vergessene Gutschriften, unangekündigte Erhöhungen
Dass fehlerhafte und überhöhte Abrechnungen bei Stadtenergie seit Jahren ein Thema sind, lassen die vielen Kommentare verärgerter Kundinnen und Kunden in sozialen Netzwerken erahnen. Darin geht es teils um zu Unrecht berechnete staatliche Umlagen, die von der Bundesregierung 2022 geplant, aber wieder zurückgenommen wurden. Aber auch um „Phantasie-Abschläge“, eigenmächtig erhöhte Abbuchungen und versprochene, aber nicht überwiesene Gutschriften.
Auf dem Bewertungsportal Trustpilot schreibt ein früherer Kunde im Juli 2023: „Stadtenergie hat willkürlich ohne schriftliche Vorankündigung Abschläge verändert und abgebucht. Ich habe bis heute dreimal den Kundenservice angerufen, weil ich meine Abrechnung noch im immer nicht erhalten habe, geschweige denn die daraus resultierende Rückzahlung eines vierstelligen Betrages.“
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Beim Vergleichsportal Check24, einem der wichtigsten Marktplätze für Energieanbieter, empfehlen aktuell nur 53 Prozent der Kundinnen und Kunden Stadtenergie weiter, das ist ein sehr niedriger Wert. Dass es offenkundig um systemische Unregelmäßigkeiten beim Ökostromversorger geht, wie nun die Reaktion der Muttergesellschaft DEW21 nahelegt, dürfte das Image des jungen Unternehmens weiter schädigen. Seiner Mutter entsteht zudem auch ein finanzieller Schaden, denn die Rückzahlungen für die Stadtenergie-Kundinnen und -Kunden belasten nachträglich die Bilanz 2023. Der letzte dokumentierte DEW-Geschäftsbericht für 2022 weist für Stadtenergie einen Verlust von 7,3 Millionen Euro aus.
Dortmunder Stadtwerke versprechen „vollständige Transparenz“
Der drohende Imageschaden treibt auch die Stadtwerke-Dachgesellschaft DSW21 um. Man stehe mit der DEW seit Bekanntwerden der Unregelmäßigkeiten „in permanentem Austausch“, sagte ein DSW-Sprecher unserer Redaktion, „alle Schritte und Maßnahmen erfolgen abgestimmt“. Die Dortmunder Stadtwerke hätten „ein hohes Interesse daran, dass die Vorgänge bei Stadtenergie aufgeklärt werden. Wir werden aktiv daran mitwirken, vollständige Transparenz herzustellen“, so der DSW21-Sprecher. Entscheidend sei, dass es „keinerlei negative Auswirkungen für Kund*innen von Stadtenergie geben wird“.
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