Essen. Chemiekonzern meldet Verluste. RWE-Strom aus der Nordsee soll Kosten senken. So laufen die Gespräche mit Ölkonzern Adnoc aus Abu Dhabi.
Mit der Chemieindustrie, lange Zeit der stabilste Industriezweig Deutschlands, lässt sich derzeit kaum bis kein Geld mehr verdienen. Jede negative Bilanz nährt Sorgen vor einer Verlagerung von Produktionsstätten ins Ausland. Selbst der erfolgsverwöhnte Essener Spezialchemiekonzern Evonik war zuletzt in die roten Zahlen gerutscht, nun hat die Bayer-Abspaltung Covestro erneut einen Jahresverlust gemeldet. Auch die Leverkusener fordern von der Bundesregierung, für niedrigere Strompreise in Deutschland zu sorgen.
Zwar konnte Covestro seinen Verlust aus 2022 von 272 auf 198 Millionen Euro verringern, doch da der Konzern weiterhin nichts verdient, kann und will der Vorstand auch nichts ausschütten - den Aktionärinnen und Aktionären soll erneut die Dividende gestrichen werden. Der Umsatz sackte um ein glattes Fünftel auf 14,4 Milliarden Euro ab. Der operative Gewinn (Ebitda) brach gar um ein Drittel auf 1,1 Milliarden Euro ein.
Araber sollen für Covestro elf Milliarden geboten haben
Finanzchef Christian Baier, der vor einem Jahr vom Großmarkt-Riesen Metro zu Covestro gewechselt war, sieht leichte Besserungen seit dem vierten Quartal 2023, Covestro verkauft wieder etwas mehr als ein Jahr zuvor. Doch er erwartet noch keine echte Trendwende, sondern zunächst ein schwieriges erstes Halbjahr.
Die Finanzmärkte schauen angesichts der Chemiekrise gebannt auf die laufenden Gespräche mit der Abu Dhabi National Oil Company – kurz Adnoc. Die Araber wollen den Leverkusener Chemiekonzern mit einer milliardenschweren Transaktion übernehmen. Laut Bloomberg boten sie zuletzt rund elf Milliarden Euro für den deutschen Kunststoffspezialisten.
Über Detail spreche er nur mit Adnoc und nicht öffentlich, sagte Covestro-Chef Markus Steilemann bei der Bilanzvorlage am Donnerstag. Allerdings ließ er durchblicken, dass es in den Gesprächen wohl etwas hakt: „Wie üblich hängen Fortschritt und das Ergebnis der Gespräche von der Fähigkeit beider Parteien ab, sich bei den Themen zu einigen, bei denen sie unterschiedliche Ansichten vertreten.“
Covestro: Umsatz und operativer Gewinn stark eingebrochen
Wie der gesamten deutschen Chemieindustrie bereiten auch Covestro drei Entwicklungen große Probleme: Die weltweite Nachfrage ist abgesackt, Rohstoff und Energie sind nach wie vor teuer, dagegen sind die Marktpreise für die eigenen Produkte gesunken. „Das Jahr 2023 war eines der schwierigsten für die chemische Industrie in den letzten Jahrzehnten“, sagte Steilemann. Das liege vor allem an externen Einflüssen, denn: „Wir erleben geopolitische Spannungen, wie wir sie in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr hatten.“
Neben der weltweiten Krisenlage beklagt der Konzernchef aber auch die Standort-Schwierigkeiten in der Heimat: „Hinzu kommen vor allem in Deutschland eine Vielzahl struktureller Probleme“, betonte Steilemann - und meinte damit vor allem die hohen Energiepreise. Zwar sind sie 2023 gegenüber dem Ausnahmejahr davor wieder deutlich gesunken, Covestro musste „nur“ noch 1,1 Milliarden statt 1,8 Milliarden Euro für Strom und Gas zahlen. Vor der Krise waren es allerdings nur 600 Millionen Euro.
Covestro-Chef bezweifelt deutschen Kohleausstieg 2030
Was den Covestro-Chef umtreibt: Selbst die Vorkrisenpreise in Deutschland seien „zwei- bis dreimal höher als in den USA oder China“ gewesen. „Hohe Strompreise sind kein weltweites, auch kein europäisches, sondern ein deutsches Problem“, sagte Steilemann. Daran würden auch Notlösungen wie ein Industriestrompreis nichts ändern. Die Ampel-Regierung müsse daher die Preismechanismen am Strommarkt samt Abgaben und Steuern „fundamental reformieren, um wettbewerbsfähig zu werden“.
Entscheidend sei es auch, den Ökostrom-Zubau in Deutschland deutlich zu beschleunigen, „andere Länder sind längst über diesen Punkt hinweg und machen es einfach“, sagte er insbesondere mit Blick auf die USA. Hierzulande gehe sowohl der Ausbau der Erneuerbaren als auch der für die Versorgungssicherheit notwendigen Gaskraftwerke viel zu langsam voran. Wie NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst und Uniper-Chef Michael Lewis bezweifelt auch Steilemann daher, dass Deutschland bis 2030 aus der Kohle aussteigen könne.
Covestro: Keine Pläne für Werksschließungen in Deutschland
Dennoch betonte Steilemann auf Nachfrage unserer Redaktion nach möglichen Produktionsverlagerungen ins Ausland, Covestro verfolge „keine Pläne für Schließungen an deutschen Standorten“. Wie die Konkurrenz versucht er die Covestro-Werke mit Direktverträgen unabhängiger vom allgemeinen Strommarkt zu machen.
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Auf dem langen Weg zur Klimaneutralität setzen die Chemieriesen und auch Stahlhersteller wie Thyssenkrupp dabei auf langfristige Lieferverträge für Ökostrom. Als jüngstes Beispiel nennt Steilemann den Bezug von Strom aus RWE-Meereswindparks in der Nordsee, mit denen das Werk in Antwerpen künftig versorgt werden soll. In Belgien steige der Ökostromanteil in der Produktion damit auf 60 Prozent.
Evonik meldet neuen Windstrom-Deal mit RWE
Diese Strategie verfolgt auch Evonik. Der Essener Spezialchemiekonzern gab am Donnerstag bekannt, ebenfalls mit RWE einen langfristigen Vertrag für den Bezug von Strom aus Meereswind abgeschlossen zu haben. Evonik beziehe ab 2028 zehn Jahre lang 37,5 Gigawattstunden Grünstrom pro Jahr aus dem RWE-Offshore-Windpark „Kaskasi“ vor Helgoland. Damit spare Evonik jährlich 16.500 Tonnen des Treibhausgases CO₂. Ähnliche Lieferverträge hatte Evonik auch mit EnBW abgeschlossen. Evonik will so bis 2030 nur noch Grünstrom zukaufen.
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Das können die Essener, weil sie im Gegensatz zu Covestro an ihren Standorten auch eigene, fossile Kraftwerke betreiben, um die notwendige konstante Versorgung der Anlagen zu sichern. Im Chemiepark Marl etwa hat Evonik im vergangenen Jahr ein neues Gaskraftwerk in Betrieb genommen, das später auch mit klimaschonendem Wasserstoff betrieben werden kann.
BASF schreibt wieder schwarze Zahlen
Evonik will am kommenden Montag seine Jahresbilanz vorlegen. Im ersten Dreivierteljahr schrieben die Essener Verluste in Höhe von 319 Millionen Euro, nachdem sie anders als Covestro 2022 noch gute Gewinne erzielen konnten. Der Branchenriese BASF hat nach herben Verlusten 2022 (minus 627 Millionen Euro) im vergangenen Jahr trotz massiver Umsatzeinbrüche wieder einen kleinen Gewinn von 225 Millionen Euro erzielt.