Essen. Unternehmerinnen wollen mehr Aufmerksamkeit. Siegel „In Frauenhand“ made im Ruhrgebiet soll dabei helfen. Initiative hat auch Gegner.
Im Einzelhandel gibt es Gütesiegel für Bio-Herstellung, fairen Handel, Tierschutz und einige mehr. Seit einigen Monaten ist ein weiteres auf dem Markt: Mit dem Label „In Frauenhand“ will die Mülheimerin Cathy Lieberei Unternehmerinnen zu mehr Aufmerksamkeit verhelfen. 100 Firmen haben sich bereits dem Netzwerk angeschlossen. Es stößt nicht nur auf Gegenliebe - vor allem bei Männern.
Cathy Lieberei hat lange im Ausland gearbeitet. Sie war Beraterin in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit. Als sie nach Hause ins Ruhrgebiet zurückkehrte, war sie entsetzt. „Frauen sind in Deutschland längst nicht so gleichberechtigt, wie ich es aus der Ferne wahrgenommen habe“, sagt sie. „Das Geld ist im Besitz von Männern.“ Lieberei fasste den Entschluss, ihren Job zu kündigen. „Ich möchte jetzt stattdessen etwas gegen die wirtschaftliche Benachteiligung von Frauen tun“, nennt sie ihr Ziel.
Die ersten 100 Unternehmen tragen das Frauen-Siegel
Im November 2023 war es dann so weit. Das Netzwerk „In Frauenhand“ und mit ihm gleich 100 weiblich geführte Mitgliedsunternehmen gingen an den Start. Für 35 weitere Firmen läuft gerade das Bewerbungsverfahren. Sie müssen zu mindestens 51 Prozent im Eigentum von Frauen sein und von ihnen strategisch geführt und repräsentiert werden. Lieberei ist von der Wirkung des Gütesiegels überzeugt.
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„Mit unserem Netzwerk wollen wir Unternehmen sichtbar machen, die in der Hand von Frauen sind. Leider gibt es davon noch viel zu wenige“, meint die Mülheimerin. In der Tat: Nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums werden von den rund 3,8 Millionen kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland gerade einmal 16 Prozent von Frauen geführt. Lieberei kann aber selbst dieser kleinen Zahl etwas Positives abgewinnen. „Selbst wenn wir nur ein Prozent dieser 757.000 Unternehmen in Frauenhand zertifizieren können, ist das eine beachtliche Zahl“, sagt sie.
„Das Geld ist im Besitz von Männern“
Dabei haben es Frauen finanziell deutlich schwerer, eine Firma zu gründen. Denn nur zwei Prozent der „weiblichen“ Unternehmen erhalten Wagniskapital. „Das Geld ist im Besitz von Männern“, sagt Lieberei bitter. „Obwohl wir die Hälfte der Bevölkerung stellen, sind zum Beispiel nur ganz wenige Apotheken in Frauenhand.“ Gerade weil die Rahmenbedingungen schlecht sind, will die Unternehmerin aus dem Ruhrgebiet den Kopf nicht in den Sand stecken. Lieberei ist davon überzeugt, dass das Gütesiegel, das Unternehmerinnen gegen eine Lizenzgebühr erwerben können, ihre Sichtbarkeit vergrößern werde.
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Zur Wahrheit gehöre aber auch, dass „In Frauenhand“ nicht nur Fans habe. „Uns liegt es fern, Männer zu dissen. Natürlich können auch Männer bei Frauen einkaufen, um sie wirtschaftlich zu unterstützen“, unterstreicht die Geschäftsfrau. „Nur gemeinsam schaffen wir es, strukturelle Benachteiligungen in unserer Gesellschaft anzugehen.“
Männer fühlen sich diskriminiert
Der Konflikt brannte erst neulich so richtig auf. „Bei einer Kampagne auf LinkedIn, die darauf abzielte, das ,In Frauenhand‘-Siegel zu bewerben, haben wir festgestellt, dass sich einige Männer durch unsere Aktion ausgeschlossen und diskriminiert fühlen. Das ist natürlich nicht unsere Absicht“, sagt die Unternehmerin Marina Zubrod, die sich dem Netzwerk angeschlossen hat.
Es kommt aber auch zu ernsteren Auseinandersetzungen. „Ein Mitglied unseres Netzwerks bekam eine böse Nachricht von einem ihrer Kunden. Er war der Meinung, dass ihr Engagement bei ,In Frauenhand‘ ihrer Glaubwürdigkeit schade und drohte mit Abbruch der Geschäftsbeziehungen“, berichtet Zubrod und urteilt: „Damit hat der Unternehmer natürlich eine Grenze überschritten.“ Zum Glück seien heftige Reaktionen wie diese eher eine Ausnahmen. „In rund zehn Prozent der Reaktionen, die wir erhalten, fühlen sich Männer diskriminiert. Es gibt aber auch Frauen, die sich nur eingeschränkt solidarisch mit uns zeigen.“
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