Bochum. Beim Ruhrsummit in Bochum gibt es am Dienstag konkrete Tipps für Start-ups. Anabel von Ternès verrät, wie Frauen an Wagniskapital kommen.
Die Start-up-Szene im Ruhrgebiet lebt. Kurz vor dem Start des Gründerkongresses Ruhrsummit bildet sich am Dienstag, 28. Mai, eine lange Schlange Wartender vor der Bochumer Jahrhunderthalle. Auch das Parkhaus ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Selbst Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) lässt es sich nicht nehmen, die vielen Gäste aus dem In- und Ausland per Videobotschaft zu grüßen.
Der Landesvater beschwört die „große Innovationskraft des Ruhrgebiets“ und prägt einen neuen Slogan, den die Region seit längerem sucht. „Von der Kohle zur KI“ nennt Wüst den gerade laufenden Transformationsprozess. Beim Ruhrsummit wird aber deutlich, dass der Weg noch nicht ganz zu Ende ist. Die Teilnehmenden müssen auch deshalb so lange am Eingang warten, weil der Drucker für die Eintrittskarten zeitweise streikt.
Großer Andrang beim Ruhrsummit in Bochum
Der guten Stimmung schadet die kleine Panne jedoch nicht. Das Organisationsteam um Ruhrhub-Geschäftsführerin Svenja Tietje hat auch in diesem Jahr Schulklassen nach Bochum eingeladen, um sie früh auf das Thema Gründen aufmerksam zu machen. Die Kinder und Jugendlichen überfallen erst einmal die Candy-Bar und die Eisbude. Währenddessen macht Tietje auf der Bühne der versammelten Start-up-Szene Mut. „Wir im Ruhrgebiet müssen unser Potenzial zeigen. Es liegt genau hier“, ruft sie unter großem Applaus in die gut gefüllte Jahrhunderthalle und ermuntert die Gründer, in Gesprächen von den Erfahrungen der eingeladenen Unternehmer, Investoren und Wissenschaftler zu profitieren.
Ganz konkrete Tipps gibt es in der „Town“ des Frauennetzwerks Herhood. Die prominente Zukunftsforscherin Anabel Ternès von Hattburg spricht über ihren Ansatz des „Selfleadership“. Ein nachhaltiges Selbst-Management sei der Schlüssel für Mitarbeiter-Motivation, mentale Stärke und Unternehmenserfolg. „Wir müssen den Schweinehund in uns in den Griff bekommen“, sagt Ternès und meint damit nicht nur das Aufraffen zum Jogging oder zum Gang ins Sportstudio.
Anabel von Ternès: Warum Selbstmanagement hilft
Zum Selbst-Management gehört für die Professorin auch der Mut, selbst ein Unternehmen zu gründen. „Meine Großmutter war Unternehmerin. Als sie mit ihren vier kleinen Kindern nach Deutschland flüchtete, arbeitete sie erst als Reinigungsfrau, um Geld zu verdienen“, erzählt Ternès im Gespräch mit unserer Redaktion. Die Großmutter habe „mit ihrer Entschlossenheit, ihrem Unternehmergeist, aber auch mit ihrer ansteckend positiven Art unglaublich imponiert. Wir brauchen mehr Vorbilder dieser Art, um Frauen Mut zu machen“, fordert sie.
Gleichwohl habe sie am eigenen Leib feststellen müssen, dass es Frauen beim Gründen nicht gerade leicht hätten. Bei ihren Unternehmensgründungen sei deshalb „immer mindestens ein Mann dabei“ gewesen. Ternès nimmt kein Blatt vor den Mund. „Machen wir uns nichts vor: Investoren wollen Profit. Frauen antizipieren oft auch gern die Zukunft. Wenn sie beim Pitch darüber reden, was passiert, wenn sie keinen Kita-Platz finden, kommt das bei Investoren nicht gut an“, meint sie. Pitch heißt das Format, bei dem Gründer wenige Minuten Zeit haben, um ihr Geschäftsmodell vorzustellen.
Weibliche Start-ups sind klar im Nachteil
Um gar nicht erst in die Falle zu tappen, rät Ternès: „Frauen verraten bei Investoren-Gesprächen oft Dinge, die bei den von Männern dominierten Runden nicht so gut ankommen. Zum Beispiel, dass sie wenig Schlaf bekommen, weil sie ihr Baby stillen müssen. Hier sollte man sich überlegen, wen man vor sich hat und was man riskieren möchte.“
Wie Investoren ticken, kann Ann-Christin Kortenbrede am besten beurteilen. Als Geschäftsführerin des Gründerfonds Ruhr sitzt sie regelmäßig Start-ups gegenüber. „Investorenrunden sind oft noch männlich geprägt. Manche Gründerinnen passen sich im Pitch an. Andere suchen gezielt nach weiblichen Investoren“, berichtet sie. Kortenbrede unterstreicht, dass sie an Frauen und Männer gleiche Maßstäbe anlege, wenn es darum geht, ein Start-up zu finanzieren oder auch nicht. „Dennoch sollten sich die Entscheider bewusst sein, wem sie da gerade zuhören. Investoren sind voreingenommen - wie alle Menschen. Sie haben ja in der Regel auch nur wenig Zeit, um die Kandidaten kennenzulernen“, so die Geschäftsführerin.
Gründerfonds Ruhr will 50 Millionen Euro einsammeln
Der in Essen ansässige Gründerfonds Ruhr, der in die zweite Generation geht, hat sich zum Ziel gesetzt, bis zum Jahresende 50 Millionen Euro Kapital einzusammeln und damit 15 bis 20 Start-ups in ihrer frühen Phase zu unterstützen. Federführende Investoren seien unter anderem die NRW-Bank, die National-Bank und die RAG-Stiftung. Kortenbrede: „Weitere Geldgeber sind herzlich willkommen.“
Rebekka Bracht vom Wirtschaftsbündnis Initiativkreis Ruhr hält es für unerlässlich, dass sich mehr Frauen selbstständig machen. „Für den Wirtschaftsstandort Ruhrgebiet wäre es fatal, wenn wir Diversität vernachlässigen. Deshalb sagen wir den Frauen immer wieder: Sei Deine eigene Leaderin, nimm Deine berufliche Karriere selbst in die Hand“, sagt sie.
Es gebe durchaus Hoffnung: „Wir sehen aber wirklich, dass sich das Ruhrgebiet weiterentwickelt. In den vergangen fünf Jahren gibt es deutlich mehr Start-ups mit zumindest gemischten Teams“, meint Kortenbrede. „Für unsere Auszeichnung Herhood Crown sind in diesem Jahr rund 20 Bewerbungen eingegangen. Darüber haben wir uns sehr gefreut.“ Das Frauennetzwerk hatte der Initiativkreis Ruhr ins Leben gerufen.
Weitere Texte aus dem Ressort Wirtschaft finden Sie hier:
- Vorwerk-Chef: Meine Frau wollte auch keinen Thermomix haben
- Biermarkt: Darum verkauft Stauder schweren Herzens wieder Dosenbier
- Sorgen bei Thyssenkrupp: „Stahlindustrie kämpft um Existenz“
- Galeria-Doppelschlag gegen Essen: Warenhaus und Zentrale weg
- Menschen in Not: So reagieren Einzelhändler auf Bettler vor ihrer Ladentür