Essen. Die Thyssenkrupp-Großaktionärin Krupp-Stiftung betont, sie sei auf eine Dividende angewiesen, um weiterhin Projekte fördern zu können.
Angesichts des Krieges im Gazastreifen will die traditionsreiche Essener Krupp-Stiftung ihre Bemühungen um eine deutsch-jüdische Verständigung verstärken. „Die deutsch-jüdische Verständigung ist ein Thema, das in unserer Tradition steht und uns sehr wichtig ist“, sagt Michaela Muylkens, die seit Juli im Vorstand der Krupp-Stiftung ist. „Wir bauen diesen Bereich seit Beginn des Stiftungswirkens kontinuierlich aus und werden diesen Kurs fortsetzen“, sagt Muylkens, die von Hause aus Historikerin ist.
Die Krupp-Stiftung fördert unter anderem Reisen von Schülerinnen und Schülern nach Berlin, die dort das Jüdische Museum und weitere Orte des Gedenkens besuchen. Unterstützt werden auch Klassenfahrten nach Auschwitz zum früheren Vernichtungslager der Nazis, das heute eine Gedenkstätte ist. Zudem fördere die Stiftung Professuren und Bildungseinrichtungen im deutsch-jüdischen Kontext.
Die gemeinnützige Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, die ihren Sitz auf dem Gelände der Villa Hügel hat, ist die größte Aktionärin des Essener Stahl- und Industriegüterkonzerns Thyssenkrupp, zu dem rund 100.000 Beschäftigte gehören. Seit einigen Monaten beschäftigt sich die Stiftung, in der das Vermögen des Essener Industriellen Alfried Krupp von Bohlen und Halbach (1907-1967) aufgegangen ist, eingehend mit der Nazi-Vergangenheit ihres Gründers. Alfried Krupp habe „ohne Zweifel Schuld auf sich geladen, über die keineswegs schon alles gesagt und geschrieben“ sei, hatte Stiftungschefin Ursula Gather zur Begründung gesagt. Es gilt als unstrittig, dass der Krupp-Konzern an den Verbrechen des NS-Regimes beteiligt war – unter anderem als Teil eines riesigen Zwangsarbeitersystems.
„Tendenzen zur Diskriminierung von Minderheiten in Deutschland“
Die Vergangenheit hat auch Einfluss auf das aktuelle Handeln der Krupp-Stiftung. „Wir möchten uns zukünftig verstärkt mit Projekten befassen, die das Demokratieverständnis der Bürgerinnen und Bürger fördern“, sagt Michaela Muylkens im Gespräch mit unserer Redaktion. „Die Tendenzen zur Diskriminierung von Minderheiten in Deutschland sind besorgniserregend. Hier wollen wir als Stiftung entgegenwirken.“
Ihre Aktivitäten finanziert die Krupp-Stiftung aus den Dividenden des Konzerns Thyssenkrupp. Im vergangenen Geschäftsjahr ist das Unternehmen tief in die roten Zahlen gerutscht. Bei seiner ersten Bilanz als Thyssenkrupp-Chef präsentierte der neue Vorstandschef Miguel López einen Fehlbetrag in Höhe von zwei Milliarden Euro. Gleichwohl fließt – sofern es eine Zustimmung der Hauptversammlung Anfang 2024 in Bochum gibt – erneut eine Dividende: Wie im Vorjahr sollen die Aktionärinnen und Aktionäre rund 93 Millionen Euro erhalten. Rund 19,6 Millionen Euro würden der Krupp-Stiftung zukommen, die rund 21 Prozent der Anteile hält.
„Die Dividende ist die Grundlage unserer Existenz“
Michaela Muylkens verteidigt die Ausschüttung des Konzerns trotz des Milliardenverlusts. „Die Stiftung ist auf eine Dividende angewiesen“, sagt sie. „Die Dividende ist die Grundlage unserer Existenz.“ Die Stiftung sieht sich in einer Doppelrolle: „Wir sind eine gemeinnützige Stiftung, die laut Satzung verpflichtet ist, mit ihren gemeinwohlorientierten Projekten in der Gesellschaft eine Wirkung zu erzielen. Zugleich waren wir immer eine verlässliche Aktionärin.“
Im vergangenen Sommer ist Michaela Muylkens im Vorstand der Krupp-Stiftung auf Heike Catherina Mertens gefolgt, die Ende Februar nach kurzer Zeit in Essen ihr Amt niederlegte. Mit Vorstandssprecher Volker Troche bildet Muylkens nun das Vorstandsteam der Stiftung, die von der früheren Dortmunder Uni-Rektorin Ursula Gather als Kuratoriumschefin geführt wird.
Vor ihrem Wechsel nach Essen leitete Michaela Muylkens die Wissenschaftsplanung und Forschungsförderung des Landes Bremen. Stiftungschefin Gather bezeichnet Muylkens als „profilierte, erfahrene und gut vernetzte Historikerin und Wissenschaftsmanagerin“.
Die gemeinnützige Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung fördert seit dem Jahr 1968 Menschen und Projekte in Kunst und Kultur, Bildung, Wissenschaft, Gesundheit und Sport und hat dafür bisher nach eigenen Angaben mehr als 680 Millionen Euro in die Hand genommen.
„Ich bin nicht gekommen, um alles neu zu machen“
„Ich bin nicht gekommen, um alles neu zu machen“, erklärt Michaela Muylkens. „Traditionen sind mir als Historikerin vertraut, zugleich geht es mir darum, die Zukunft zu gestalten.“ Mit ihrer Förderung verfolge die Krupp-Stiftung einen breiten Ansatz, der von der Spitzenforschung bis zur Förderung einer Hebammenpraxis reiche.
„Das Ermöglichen ist mir wichtig. Bezogen auf meine Tätigkeit bei der Stiftung bedeutet das: Ich möchte Menschen darin unterstützen, ihre Ideen und Projekte umsetzen zu können“, sagt Muylkens. „Als Stiftung sind wir stark darin, Übergänge zu begleiten und zu unterstützen, zum Beispiel von der Schule in den Beruf und vom Studium in die Promotion.“ In Essen und im Ruhrgebiet liegen traditionell regionale Schwerpunkte der Förderung. Zugleich war die Krupp-Stiftung mit ihren Projekten immer auch überregional und international aktiv.
Seit 1986 verleiht die Stiftung den Alfried Krupp-Förderpreis an junge Professorinnen und Professoren der Natur- und Ingenieurwissenschaften. Die Summe von einer Million Euro fließt den Preisträgern zu, die das Geld unbürokratisch dafür einsetzen können, sich unabhängig von öffentlichen Mitteln ein optimales Arbeitsumfeld zu schaffen – etwa für Labor- oder Arbeitsplätze. „Der Alfried Krupp-Förderpreis ist in Deutschlands Wissenschaftsförderung herausragend“, sagt Muylkens. „Daher halten wir an dem Preis fest.“