Duisburg. Ali Güzel, Betriebsratschef am größten Thyssenkrupp-Stahlstandort in Duisburg, schlägt Alarm: „Die Wolken werden immer düsterer.“
Es sind ernste Zeiten für Deutschlands größten Stahlhersteller Thyssenkrupp Steel. Als Thyssenkrupp-Konzernchef Miguel López vor wenigen Tagen erneut rote Zahlen präsentierte, ging er ausführlich auf die schwierige Lage der Stahlkocher ein. Hohe Energie- und Rohstoffkosten, gefallene Stahlpreise und mäßige Bestellungen der wichtigen Autoindustrie: Die Liste der Belastungen ist lang.
Ali Güzel, der Vorsitzende des Betriebsrats am größten Thyssenkrupp-Stahlstandort Hamborn-Beeckerwerth in Duisburg, zeigt sich besorgt. „Die Wolken über unserem Standort werden immer düsterer. Die Zukunft ist ungewiss“, sagt Güzel im Gespräch mit unserer Redaktion. Dass Thyssenkrupp Steel stark von der Konjunktur der großen Autokonzerne wie insbesondere Volkswagen abhängig ist, hinterlässt Spuren in den Duisburger Werken. „Wir sehen, wie die Lage in der Autoindustrie ist“, berichtet Güzel. „Wenn die Autobauer – wie jetzt gerade – weniger Stahl bestellen, spüren wir das direkt.“ Mit Blick auf Thyssenkrupp Steel kommt er zu dem Urteil: „Dem Unternehmen geht es finanziell nicht gut.“
Skeptisch verfolgt Güzel die Diskussion zum konzerninternen Programm Apex, mit dem Thyssenkrupp-Vorstandschef López die Leistungsfähigkeit des Unternehmens steigern will. „Wenn wir hören, dass der Vorstand mit Apex bis zu zwei Milliarden Euro sparen will, dann ist für uns klar: Da bahnt sich etwas an“, sagt Güzel.
Zur Stahlsparte mit großen Standorten unter anderem in Bochum, Dortmund und Duisburg gehört etwa ein Viertel der insgesamt knapp 100.000 Beschäftigten des Essener Industriekonzerns. Allein am Duisburger Standort Hamborn-Beeckerwerth gebe es rund 13.300 Beschäftigte, deren Interessen er vertrete, sagt Güzel.
Betriebsratswahlen müssen wiederholt werden
Auch weil überraschend die Betriebsratswahlen an dem Duisburger Standort wiederholt werden müssen, sind es unruhige Tage für Ali Güzel. Das zuständige Landesarbeitsgericht hatte Mängel im Zusammenhang mit den Informationen für fremdsprachige Beschäftigte festgestellt. „Die Neuwahl kommt zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Eigentlich sollte das Thema, wie wir die Arbeitsplätze retten können, im Mittelpunkt stehen und nicht ein innerbetrieblicher Wahlkampf“, sagt Güzel. Er trete bei den Wahlen vom 12. bis zum 22. März für die IG Metall an, um erneut Vorsitzender des Betriebsrats Hamborn-Beeckerwerth zu werden.
Ob Thyssenkrupp Steel in naher Zukunft einen neuen Eigentümer bekommt, ist offen. Seit Monaten lotet Thyssenkrupp-Chef López die Chancen für einen Teilverkauf der Stahlsparte aus. Interesse hat der tschechische Milliardär Daniel Kretinsky signalisiert. „Wir haben immer gesagt: Wir sind offen für jeden, der Interesse am Stahl hat und Geld mitbringt, um das Geschäft weiterzuentwickeln“, sagt Güzel dazu. „Wenn Herr Kretinsky hier Milliarden investieren will, schlagen wir ihm nicht die Tür vor seiner Nase zu. Aber noch liegt uns kein industrielles Konzept vor, dem wir zustimmen könnten.“ Dass López einen Teilverkauf des Stahls plane, sei jedenfalls „potenziell eine Gefahr“ für die Arbeitsplätze in Duisburg. „Daher sind wir sehr wachsam“, sagt Güzel. „Wenn es erforderlich ist, stehen wir vor dem Werkstor, um für unsere Interessen zu kämpfen.“
Der Betriebsratschef des größten Thyssenkrupp-Stahlstandorts äußert sich kritisch zum bisherigen Auftreten des Managers, der Mitte vergangenen Jahres die Nachfolge von Martina Merz angetreten hat. „López macht den Leuten hier Angst und Bange. Das tut dem Unternehmen nicht gut“, sagt Gützel und schickt hinterher: „Wenn Herr López eine Kampfansage macht, sind wir bereit. Ein kurzer Anruf – und dann sind unsere Leute draußen und die Anlagen stehen still.“
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Trotz der Stahlkrise steht Thyssenkrupp vor der Herausforderung, den milliardenschweren Aufbau einer klimafreundlichen Produktion finanzieren zu müssen. Vier Hochöfen betreibt Thyssenkrupp derzeit in Duisburg. Hinzu kommen zwei Öfen beim benachbarten Konzern HKM, an dem Thyssenkrupp zur Hälfte beteiligt ist. „Bislang haben wir erst eine Perspektive für ein Viertel der 27.000 Arbeitsplätze bei uns im Unternehmen geschaffen“, sagte Markus Grolms, der Personalvorstand von Thyssenkrupp Steel, vor wenigen Wochen im Gespräch mit unserer Redaktion.
Neue Grünstahl-Anlagen sind milliardenschwere Investitionen
Bereits für die erste Direktreduktionsanlage (DRI-Anlage) soll Thyssenkrupp Steel rund zwei Milliarden Euro aus der Kasse der Steuerzahler erhalten. Davon kommen voraussichtlich rund 1,3 Milliarden Euro vom Bund. NRW will bis zu 700 Millionen Euro beisteuern – die größte Einzelförderung in der Geschichte des Landes. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hatten sich für den Aufbau der Grünstahl-Produktion stark gemacht. Die Eigeninvestitionen für das Projekt seitens Thyssenkrupp liegen Unternehmensangaben zufolge bei knapp einer Milliarde Euro.
„Wir werden noch in diesem Jahr einen Förderbescheid für eine zweite DRI-Anlage einreichen müssen“, mahnt Ali Güzel. „Spätestens 2030 muss die nächste DRI-Anlage hier stehen und laufen. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Der Standort braucht eine Perspektive.“ Der Thyssenkrupp-Betriebsrat hofft, erneut Unterstützung aus Steuermitteln zu erhalten. „Wenn wir ein Vorreiter beim Klimaschutz sein sollen, muss uns der Staat auch dazu finanziell ertüchtigen“, gibt Güzel zu bedenken. „Unsere Hochöfen können nicht ewig laufen. Das heißt: Wir brauchen eine Lösung, um hier weiter Stahl zu produzieren. Sonst werden die neuen Anlagen woanders gebaut – und die Arbeitsplätze sind weg.“ Güzel sieht die Bundesregierung gefordert. „Die Politik, allen voran die Ampel-Koalition, muss etwas tun, und zwar schnell. Zuschauen reicht nicht.“
Betriebsrat beauftragt Unternehmensberatung
„Wir bleiben nicht tatenlos und warten auf neue Hiobsbotschaften“, wird der Gesamtbetriebsratschef Tekin Nasikkol in einem Flugblatt der IG Metall zitiert, das den 20. Februar als Datum trägt. Der Betriebsrat am Standort Hamborn habe eine Unternehmensberatung damit beauftragt, an Zukunftsszenarien für Thyssenkrupp Steel zu arbeiten. „Stahl braucht eine langfristige Perspektive, und wir werden eine solche aufzeigen“, so Nasikkol. Es gehe darum, die Lage zu analysieren und „konkrete Schritte“ zu erarbeiten: Wie kann Thyssenkrupp Steel in einem sich ändernden Weltmarkt auf Dauer Erfolg haben? IG Metall und Betriebsrat seien dabei „offen für entschlossene Schritte“, heißt es in dem Flugblatt der IG Metall. Eine Verselbstständigung der Thyssenkrupp-Sparte könne ein guter Weg sein, wenn die Bedingungen und die finanzielle Ausstattung stimmten. „Wir schließen nichts aus“, so Nasikkol, „aber für uns bleibt klar: Wir wollen Stahl in seiner jetzigen Größe erhalten.“