Essen. Thyssenkrupp präsentiert schon wieder rote Zahlen. Auch bei der Ergebnisprognose fürs Gesamtjahr macht Konzernchef López Abstriche.
Zum Jahreswechsel zeigte sich Thyssenkrupp-Chef Miguel López noch zuversichtlich. Ja, bei seiner ersten Jahresbilanz im November 2023 hatte der Manager einen Verlust von zwei Milliarden Euro präsentiert. Doch für das laufende Geschäftsjahr versprach López Besserung. Als Gewinn sollte unter dem Strich eine Summe „im niedrigen bis mittleren dreistelligen Millionen-Euro-Bereich“ herauskommen. Ob er nicht die Sorge habe, dass die schwache Konjunktur einen Strich durch diese Rechnung macht? „Unsere Ziele sind ehrgeizig, keine Frage, aber sie sind auch erreichbar“, sagte López dazu im Gespräch mit unserer Redaktion. Nun – nur wenige Wochen später – korrigiert der Thyssenkrupp-Chef die Ziele nach unten – und die Aktie des Konzerns stürzt ab.
Es ist eine bemerkenswerte Zwischenbilanz: Der Essener Stahl- und Industriegüterkonzern verbucht eigenen Angaben zufolge im ersten Quartal des laufenden Geschäftsjahres 2023/24 unter dem Strich einen Verlust in Höhe von 305 Millionen Euro. Im Vergleichszeitraum des Vorjahres hat Thyssenkrupp noch einen Gewinn von 98 Millionen Euro erwirtschaftet. Ursächlich für den aktuellen Verlust seien insbesondere Wertberichtigungen in der Stahlsparte gewesen. Hier hätten sich gestiegene Kapitalkosten ausgewirkt, erklärt das Unternehmen am Mittwoch (14. Februar) in seiner Zwischenbilanz. Zur Stahlsparte mit großen Standorten in Duisburg, Bochum und Dortmund gehört etwa ein Viertel der insgesamt knapp 100.000 Beschäftigten des Essener Industriekonzerns.
Die Stahlindustrie sei „derzeit mit einem sehr herausfordernden Umfeld konfrontiert“, heißt es bei Thyssenkrupp. Eine schwache Konjunktur, wieder steigende Rohstoffkosten, hohe Energiekosten und starke Konkurrenz durch nicht-europäische Wettbewerber hätten auch Auswirkungen auf das Geschäft von Thyssenkrupp Steel. Sowohl der Auftragseingang als auch der Umsatz in der Thyssenkrupp-Stahlsparte lagen den Angaben zufolge mit jeweils 2,4 Milliarden Euro unter den Vorjahreswerten von jeweils drei Milliarden Euro. Die Stahlpreise seien stark gefallen – und die Autoindustrie bestelle weniger. Das bereinigte Betriebsergebnis vor Zinsen und Steuern (Ebit) lag Unternehmensangaben zufolge im ersten Quartal bei 69 Millionen Euro – nach 90 Millionen Euro im Vorjahreszeitraum.
Stahlsparte von Thyssenkrupp Kandidat für einen Teilverkauf
Es ist eine heikle Phase für den Konzern: Thyssenkrupp-Chef López lotet derzeit die Chancen für einen Teilverkauf des Stahlgeschäfts an den tschechischen Milliardär Daniel Kretinsky aus. Angestrebt werde ein Gemeinschaftskonzern, an dem beide Partner gleichermaßen beteiligt sein sollen, sagte López unlängst: ein „50-50-Deal“. Mit seinem Unternehmen EPH ist Kretinsky bereits in der deutschen Energiebranche aktiv. Und die Stahlindustrie benötigt künftig weit mehr als bisher Strom.
Neuigkeiten zu einem möglichen Stahl-Deal konnte López aber auch bei der Hauptversammlung Anfang Februar nicht verkünden. Er blieb bei der Formulierung, es liefen „konstruktive und ergebnisoffene Gespräche“ mit Kretinsky. „Wir wollen so schnell wie möglich zu einem Abschluss kommen“, erklärte López. Thyssenkrupp werde sich aber nicht zu „einer zweitbesten Lösung drängen lassen“.
López: Thyssenkrupp arbeitet an „Business Plan“ für die Stahlsparte
„Die konjunkturelle Eintrübung seit September hält an und ist nicht förderlich“, sagte López vor wenigen Wochen mit Blick auf die Gespräche mit Kretinsky im Interview mit unserer Redaktion. In einer Telefonkonferenz für Analysten erklärt López am Mittwoch (14. Februar), es gebe keine zeitliche Begrenzung für die Gespräche mit Kretinsky. Derzeit werde an einem neuen „Business Plan“ gearbeitet. Das Ziel sei, auf dieser Basis zu einem guten Abschluss zu kommen.
In den Büchern steht die Stahlsparte mit einer Bewertung von rund 3,6 Milliarden Euro, berichtet Thyssenkrupp-Finanzchef Klaus Keysberg am Mittwochmorgen in einer Telefonkonferenz für Journalisten. Es gebe weiterhin „konstruktive Gespräche“ zu einem Teilverkauf der Stahlsparte.
Dabei dürften auch die hohen Pensionsverpflichtungen eine wichtige Rolle spielen. Bei der Hauptversammlung in Bochum hatte der Thyssenkrupp-Vorstand auf entsprechende Fragen von Aktionären geantwortet, die Pensionsbelastung von Thyssenkrupp liege insgesamt bei 5,3 Milliarden Euro, die Hälfte davon entfalle auf die Stahlsparte.
An der Börse wird der Thyssenkrupp-Konzern als Ganzes aktuell nur noch mit etwas mehr als drei Milliarden Euro bewertet (Stand: 14. Februar). Zum Vergleich: Die Dortmunder Thyssenkrupp-Wasserstofftochter Nucera erreicht eine Bewertung von rund zwei Milliarden Euro.Der Druck auf das Thyssenkrupp-Management, Veränderungen herbeizuführen, steigt angesichts der aktuellen Entwicklung.
Thyssenkrupp dämpft die Erwartungen für das laufende Geschäftsjahr
Die große Frage ist: Wann läuft es bei Thyssenkrupp wieder besser? Bei der Gewinnprognose muss Vorstandschef López zumindest jetzt erst einmal Abstriche machen. Aufgrund von Mengenrückgängen in der Stahlsparte und beim Werkstoffhandel rechnet er für das Geschäftsjahr 2023/2024 beim Umsatz nur noch mit einem Wert auf Vorjahresniveau. Zuvor ist der Vorstand noch von einer „leichten Steigerung“ ausgegangen.
Auch beim erwarteten Jahresüberschuss kann der Thyssenkrupp-Vorstand die bisherigen Ziele nicht halten. Eine „Steigerung in den Bereich eines ausgeglichenen Wertes“ sieht das Management noch als realistisch an. Bislang hat der Vorstand als Gewinn einen „niedrigen bis mittleren dreistelligen Millionen-Euro-Bereich“ angepeilt.
An der Börse wird Thyssenkrupp prompt abgestraft. Die Aktie des Revierkonzerns bricht am Tag der Quartalsbilanz ein, verliert zwischenzeitlich mehr als neun Prozent an Wert und rangiert damit nur noch knapp über fünf Euro. Zum Amtsantritt von Konzernchef López als Nachfolger von Martina Merz hat die Thyssenkrupp-Aktie noch über sieben Euro gekostet.
Am Kapitalmarkt wird Thyssenkrupp ohnehin schon lange kritisch beäugt und hat den Ruf, ein „Ankündigungsweltmeister“ zu sein, wie es Ingo Speich von der Sparkassen-Fondsgesellschaft Deka formuliert. López ist eigentlich mit dem Versprechen angetreten, es besser zu machen als seine Vorgänger. Wie ein Zeichen wirkte es, dass er auch privat Thyssenkrupp-Aktien für rund 1,5 Millionen Euro gekauft hat.
Immerhin einen Teil der Prognose bestätigt der Thyssenkrupp-Chef
Immerhin einen Teil der Prognose kann López bestätigen: Für das bereinigte Ergebnis vor Zinsen und Steuern (Ebit) geht Thyssenkrupp weiterhin von einer Steigerung auf einen Wert im hohen dreistelligen Millionen-Euro-Bereich aus – nach rund 700 Millionen Euro im Vorjahr. Thyssenkrupp-Finanzchef Klaus Keysberg betont, es sei wie bisher das Ziel des Konzerns, „eine verlässliche Dividendenzahlung für unsere Aktionäre“ zu erreichen. Insbesondere die Großaktionärin Krupp-Stiftung ist auf eine Gewinnausschüttung angewiesen. „Die Dividende ist die Grundlage unserer Existenz“, sagte Stiftungsvorständin Michaela Muylkens kürzlich im Gespräch mit unserer Redaktion.
In der aktuellen Zwischenbilanz kündigt Thyssenkrupp auch die Trennung von Geschäftsaktivitäten in Indien mit rund 2370 Arbeitsplätzen an. Es laufe ein Verkaufsprozess für die Aktivitäten von „Thyssenkrupp Industries India“. Die Tochterfirma sei unter anderem in den Bereichen Bergbau, Energie und Zucker tätig. Bereits Ende Januar sei ein Vertrag zum Verkauf der 55-prozentigen Beteiligung an bisherige Mitgesellschafter unterschrieben worden.
Fast schon trotzig klingt es, wenn Konzernchef López sagt: „Wir werden die Transformation von Thyssenkrupp weiter kraftvoll vorantreiben.“ An der Börse dürfte der Manager nun insbesondere daran gemessen werden, ob er eine Lösung für die angeschlagene Stahlsparte präsentieren kann.