Wittgenstein. Notdienste bei Tierärzten sind gesetzlich nicht vorgeschrieben. Vier Wittgensteiner Tierärztinnen erklären, warum das für Probleme sorgt.
„Wir sind Überzeugungstäter. Es wird hier nicht passieren, dass es keinen Notdienst mehr gibt“, sagt Dr. Ulrike Jochims von der Tierarztpraxis Arfeld. „Ich kenne Gegenden, da gibt es keinen Notdienst mehr“, sagt Tierärztin Insa Biedermann aus Bad Berleburg. „Die meisten Kunden sind dankbar, dass sie jemanden erreichen können. Hilfe wird nicht verweigert.“ In Wittgenstein bieten viele Tierarztpraxen für ihre Kunden einen Notdienst nach den Sprechstundenzeiten an.
„Wir bemühen uns erreichbar zu sein und allen gerecht zu werden, aber wir sind auch nur Menschen“, sagt Insa Biedermann. Als Einzelperson sei es nicht möglich, immer erreichbar zu sein. „Wenn ich gerade bei einer Geburt dabei bin, kann ich nicht ans Telefon gehen.“ Gerade im Bereich der Großtiere sei der Fachkräftemangel bei den Tierärzten noch stärker. Dazu kommt, dass Insa Biedermann oft unterwegs ist und die Landwirte vor Ort besucht. „Von Züschen bis Fischelbach habe ich Kunden, da kann es auch mal zu Wartezeiten kommen. Ich versuche immer, erreichbar zu sein, wenn nicht, rufe ich zurück – oder die Kunden versuchen es später noch mal.“ Eine Dauerbelastung, wenn man rund um die Uhr auf Abruf bereitstehen muss.
Wittgensteiner Tierärzte sind immer erreichbar – auch am Wochenende
„Die Situation ist allgemein bescheiden“, sagt Julia Henk-Schulte, die eine Tierarztpraxis in Weidenhausen betreibt. Das Problem: Die Wittgensteiner Tierärzte können sich nicht alle abwechseln. „Einige machen nur Kleintiere, andere nur Pferde, wieder andere machen alles.“ Da Julia Henk-Schulte und Insa Biedermann beide sowohl Klein- als auch Großtiere behandeln, wechseln sich die beiden mit dem Notdienst am Wochenende ab. „Das läuft gut und kollegial. Es geht einfach darum, dass jeder mal frei machen kann. Das hält sonst keiner durch“, so Henk-Schulte. „Seit ungefähr einem halben Jahr machen wir das jetzt so“, sagt Insa Biedermann. Denn es sind immer die Praxisinhaberinnen selbst, die die Wochenendschichten übernehmen. „Das geht an die Substanz. Auch wenn keine Anfragen da sind, muss man immer erreichbar sein. Wir machen das alle gern, sonst würden wir es nicht machen.“
Auch in Bad Laasphe ist das Problem der ständigen Erreichbarkeit bekannt. „Ich arbeite allein. Aber die Leute können mich auf dem Handy anrufen. Einiges kann am Telefon geklärt werden“, sagt Kerstin Wagner-Klappert, Tierärztin in Bad Laasphe. Allein kann sie nicht 24 Stunden, sieben Tage die Woche Bereitschaft machen. „Ich habe auch ein Privatleben.“ Wichtig sei es für Haustierbesitzer zu entscheiden, wann ein Notfall vorliege oder ob es noch bis zum nächsten Morgen oder bis nach dem Wochenende warten kann. „Die Leute rufen auch nicht direkt den Rettungswagen oder fahren in die Notaufnahme“, so die Laaspherin.
Notdienst in Tierarztpraxen nicht gesetzlich geregelt
Aber warum ist der Notdienst in Tierarztpraxen so ein schwieriges Thema? „Unsere ganze Notdienstverordnung ist Teil des Heilberufsgesetz. In NRW gibt es für Tierärzte keine Vorschrift, dass wir Notdienst machen müssen. Das ist freiwillig“, erklärt Dr. Ulrike Jochims. „In NRW sind – Land auf und Land ab – Notdienste nicht üblich“, so die Tierärztin. Dass es in Wittgenstein überhaupt ein Angebot für Nächte, Wochenende und Feiertage gibt, sei schon gut. „In Wittgenstein hat fast jeder Tierarzt einen Notdienst, weil die Kliniken weit entfernt sind. Wir gehen mit dem Telefon ins Bett.“ Eine Stunde Fahrzeit ist das Minimum zur nächsten Tierklinik – egal in welche Richtung.
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„Die Situation hat sich verändert. Früher hatten alle Tierärzte eigene Praxen, heute lässt sich kaum noch einer selbst nieder – das ist zu viel Bürokratie“, erklärt Jochims. „Sie sind lieber angestellt, arbeiten weniger Stunden und haben mehr Work-Life-Balance.“ Der Personalmangel sei so groß, dass jeder froh sei, einen Tierarzt einzustellen – auch mit weniger Stunden.
Arbeitsschutz schränkt Tierärzte ein
Ein weiterer Punkt ist die Arbeitszeitregelung. Die Angestellten dürfen nur bestimmten Stundenzahlen arbeiten. Ein Wochenenddienst mit einer 48-Stunden-Schicht sei da einfach nicht möglich, so Jochims. „Das ist eine Hürde für niedergelassene Tierärzte.“ Deswegen sind es auch in Wittgenstein meist die Praxisinhaberinnen selbst, die am Wochenende ans Telefon gehen und die Behandlungen durchführen. „Wenn ich meine Mitarbeiter Sonntagabend um kurz vor zwölf Uhr zu einem Patienten schicke, dürfen sie nicht am Montagmorgen wieder in der Praxis arbeiten. Eine Ruhezeit von elf Stunden ist vorgeschrieben. Wer arbeitet also dann am nächsten Morgen?“, fragt die Arfelderin.
Waren Tierkliniken früher sehr beliebte Arbeitgeber bei Tierärzten, ist auch hier der Fachkräftemangel nun spürbar. „Tierkliniken arbeiteten früher in zwei Zwölf-Stunden-Schichten, dadurch gab es einen Nachtdienst. Arbeitsrechtlich ist das jetzt nicht mehr gestattet. Für eine dritte Schicht fehlt Personal und Geld. Das wären ein Drittel mehr Ausgaben“, so Jochims. Deswegen wurden Notdienste in den Tierkliniken eingeschränkt. Die Notfall-Patienten landen jetzt in den Tierarztpraxen. „Tierhalter verstehen oft die Hintergründe nicht. Sie sagen dann die Tierärzte seien faul oder wollen kein Geld verdienen. Das stimmt einfach nicht.“
Zusammenarbeit der Tierärzte als mögliche Lösung
„In Großstädten gibt es einen Notdienstring, es kann sich jeder eintragen, der Notdienst macht. Hier in Wittgenstein sind alle Einzelkämpfer“, sagt Kerstin Wagner-Klappert. „Es spricht nichts gegen einen Ring, mit einer Lösung auch für Großtiere. Aber ich weiß nicht, wer das in die Hand nehmen kann.“
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Diese Möglichkeit sieht auch Julia Henk-Schulte: „Eine mögliche Lösung wäre, dass sich alle abwechseln und Kleintierpraxen auch die Grundversorgung der Großtiere am Wochenende mitmachen“, so Henk-Schulte. „Sonst gäbe es Versorgungsengpässe bei den Großtieren. Das wäre nur alle paar Wochen und damit wäre allen geholfen.“
Fachkräftemangel bei den Tierarztpraxen – vor allem auf dem Land
Mehr Personal in den Tierarztpraxen würde die Lage weiter entspannen: „Genug Tiermedizinstudenten sind da, aber es will keiner in eine Praxis – vor allem auf dem Land. Es wäre schön, wenn da mehr Interesse wäre“, sagt Insa Biedermann. „Wenn mehr Personal da ist, kann man sich die Stunden aufteilen. Wer nachts draußen war, muss dann nicht morgens wieder da sein“, so die Berleburgerin.
„30 Prozent der Tiermedizin-Studenten kommt in einer Praxis an, die Arbeit ist stressig und schlecht bezahlt. Versicherungen werben Tierärzte und Helferinnen ab, die sitzen dann dort in Büros“, sagt Dr. Ulrike Jochims. „Das System wurde mit vereinten Kräften an die Wand gefahren, von Politik, Tierärzten und Tierhaltern.“ Eine Lösung sieht sie nur in dem alle Beteiligten zusammenarbeiten. „Wir können das gemeinsam verändern, um die Tiere in Zukunft sicher zu versorgen.“