Bad Berleburg. Alle Patienten spüren den Ärztemangel bei Hausärzten und erst recht bei Fachärzten. Aber die Statistik sagt was ganz anderes. Ein Hintergrund.

Die medizinische Versorgung des ländlichen Raumes ist ein großes Problem. Das zeigt die Altersstruktur der praktizierenden Mediziner einerseits und die Probleme bei der Weitergabe von Praxen an junge Ärzte oder die Besetzung von Facharztsitzen andererseits. Allerdings spiegelt er sich nicht in den für die Kassenärztliche Vereinigung maßgeblichen Zahlen wider. Er existiert nur im realen Leben.

Beispiele: Lange hat der Bad Berleburger Hausarzt Dr. Holger Finkernagel nach einem Kandidaten gesucht, der seine Praxis übernehmen wollte. Nach Jahren gibt es nun eine Perspektive durch die Übernahmen durch die Gemeinschaftspraxis Haas/Röhl aus Erndtebrück. Ähnlich lange hat der Bad Berleburger Zahnarzt Peter Schlösser gesucht, bis dann mit Sergius Lofink ein neuer Zahnarzt gefunden war oder Dr. Burkard Wittenborn, der seine Praxis an das Zahnärztepaar Jan und Tabea Schüssler übergeben konnte. Alle Nachfolger leben in Wittgenstein oder kehren dahin zurück. Anders das Beispiel der Augenärztin Dr. Christine Roberts, die ihre Praxis schließen musste.

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Region Wittgenstein ist nicht das Problem

Woran liegt das? Für Holger Finkernagel ist eines klar: „Es stimmt nicht, dass die Region Wittgenstein nicht attraktiv für junge Ärzte ist.“ Im Rahmen seiner Praxisübergabe berichtet er von einem Beispiel aus Süddeutschland. Ein Arzt aus der Region Bodensee/Oberschwaben habe keinen Nachfolger gefunden, obwohl der See und die nahen Berge ein attraktives Lebensumfeld mit vielfältigen Freizeitmöglichkeiten böten, so Finkernagel. Also muss es andere Gründe geben: „Ich denke, es sind eher die Arbeitsbedingungen, die enormen und bürokratischen und berufsfremden Belastungen“, sagt der 79-Jährige. Und Kollege und Nachfolger Dr. Oliver Haas weiß, dass es einen Trend dazu gibt, sich als Arzt in einer Gemeinschaftspraxis anstellen zu lassen. Den Druck der Selbstständigkeit scheuen junge Mediziner. In einer Gemeinschaftspraxis seien administrative Dinge und auch Vertretungsdienste einfacher geregelt. Ein wichtiges Stichwort ist die „Work-Life-Balance“.

Hausarztversorgung in Wittgenstein - hier zu viel, da zu wenig

Aktuell schrammen Bad Berleburg und Erndtebrück bei den Hausärzten knapp an einer Unterversorgung vorbei, während Bad Laasphe nominell überversorgt ist. Stimmt die Relation von Medizinern oder Psychotherapeuten zu Patienten in einer Region mit den gesetzlichen Vorgaben überein, dann spricht man von einem Versorgungsgrad von 100 Prozent. Ab einem Versorgungsgrad von 75 Prozent in der hausärztlichen Versorgung bzw. 50 Prozent der fachärztlichen Versorgung, inkl. Psychotherapie, wird geprüft, ob eine Unterversorgung droht. Eine Überversorgung wird im Allgemeinen ab einem Versorgungsgrad von 110 Prozent ausgewiesen. Der Planungsbereich wird dann für Neuzulassungen gesperrt. Aktuell liegt der Versorgungsgrad mit Hausärzten im Mittelbereich Bad Berleburg, der auch Erndtebrück einschließt, laut Kassenärztlicher Vereinigung Westfalen Lippe (KVWL) 79,2 Prozent. Das entspricht 12,75 Vollzeitstellen. Bei 16,1 Vollzeitstellen wären 100 Prozent erreicht. Das bedeutet, dass sich aktuell weitere Ärzte niederlassen könnten.

MVZ erfüllt „Gesundheitspolitischen Auftrag“

Eine wichtige Rolle in der medizinischen Versorgung der rund 40.000 Menschen im Altkreis Wittgenstein und eines weit darüber hinaus gehenden Einzugsbereiches, der nach Hessen und ins Hochsauerland reicht, erfüllt das Medizinische Versorgungszentrum in der Bad Berleburger Vamed-Akutklinik. Dazu erläutert Geschäftsführer Elmar Knoche (Foto) auf Anfrage: „Im Medizinischen Versorgungszentrum Bad Berleburg finden Sie die Fachbereiche Chirurgie, Dermatologie, Gynäkologie und Geburtshilfe sowie die Kardiologie und die allgemeine Innere Medizin (z.B. Behandlung von Magen-Darm-Erkrankungen). Zusätzlich hält das MVZ in der Außenstelle Erndtebrück den Fachbereich Gynäkologie und Geburtshilfe sowie im Arnikaweg in Bad Berleburg den Fachbereich Hals-Nasen-Ohrenheilkunde (HNO) vor.

Einige der Fachärzte, die im MVZ beschäftigt sind, arbeiten ebenfalls als Mediziner in der Vamed Klinik. Die ambulante und die stationäre Versorgung sind eng miteinander verbunden und ergänzen sich dahingehend, dass ambulante Patienten bei Bedarf stationär weiterversorgt werden können – und zwar von dem Arzt, der sie und ihre Krankengeschichte bereits kennt und zu dem sie Vertrauen fassen konnten. Gleiches gilt für eine etwaige Nachsorge. In der Dermatologie und der HNO existiert kein entsprechender Fachbereich im Krankenhaus. Dennoch sehen wir es als einen unserer gesundheitspolitischen Aufträge an, die fachärztliche Versorgung in unserer Region auch dort zu gewährleisten, wo sie nicht von anderer Seite erbracht werden kann. Die Voraussetzung dafür ist, dass wir am Standort weiterhin über die erforderliche Expertise verfügen.“

Im Mittelbereich Bad Laasphe sind aktuell 9,25 Hausärztinnen und -ärzte aktiv. Hier beträgt der Versorgungsgrad 112,4. Es ist also knapp die Überversorgung erreicht.

Altersstruktur der Hausärzte bedenklich

Neben der Zahl der Ärzte ist aber auch die Altersstruktur entscheidend, bestätigt die Kassenärztliche Vereinigung. Fakt ist, vor allem Hausärztinnen und Hausärzte in Wittgenstein sind älter als der Landesdurchschnitt. Laut KVWL sind im Mittelbereich Bad Berleburg, zu dem auch Erndtebrück gerechnet wird, derzeit rund 50 Prozent der Hausärzte und -ärztinnen älter als 60 Jahre, im MB Bad Laasphe sind es 60 Prozent. Zum Vergleich: In Westfalen-Lippe insgesamt sind dies im Moment rund 40 Prozent.

Schwierige Lage bei Fachärzten

Bei der Facharztversorgung wird es in Wittgenstein schwierig. Die wird auf Ebene der Kreise und kreisfreien Städte geplant. Da Bad Berleburg, Bad Laasphe und Erndtebrück zum Kreis Siegen-Wittgenstein gehören, betrachtet die KVWL die dortige Versorgungslage. Von einem kritischen Versorgungsgrad von 50 Prozent ist man hier weit entfernt. Es gibt keine Facharztdisziplin, die nicht über dem Versorgungsgrad von 100 Prozent liegt. Bei genauerem Hinsehen ist der Bereich Kinderärzte mit 17 Vollzeitstellen der schwächste und liegt mit 108,7 Prozent als einziger knapp unter der 110-Prozentmarke, die die Sperrung des Planbereiches für Neuniederlassungen einläutet. Das gesamte Kreisgebiet als Betrachtungsraum ist also versorgt. Schaut man aber auf die Sitze in Bad Berleburg, Bad Laasphe oder Erndtebrück, so findet sich hier aktuell kein niedergelassener Augenarzt, Neurologe, Hautarzt, Gynäkologe, HNO oder Gastroenterologen. Dieses Spektrum wird nur durch das Medizinische Versorgungszentrum in der Vamed-Akutklinik mit abgedeckt.

Bad Berleburg Ärztemangel
Bad Berleburg Ärztemangel © Manuela Nossutta/Funkegrafik NRW | Manuela Nossutta/Funkegrafik NRW