Bad Berleburg. 70 Euro kostet eine Augenarztbehandlung, die der Patient selbst zahlen muss. Der Bad Berleburger Dr. Finkernagel will das ändern.
Rund 50 Menschen haben das Angebot der telemedizinischen Augenarztpraxis in Bad Berleburg bis Ende Januar bereits in Anspruch genommen. Und: Dabei wurden bei einigen Patienten sogar Erkrankungen an den Augen festgestellt. „Bei einem Patienten konnten wir einen Grünen Star feststellen, von dem er noch nichts wusste“, so Dr. med. Kaweh Schayan-Araghi, Gründer und ärztlicher Leiter der Artemis Augenklinik in Dillenburg, die seit November 2022 die telemedizinische Augenarztpraxis in Bad Berleburg betreibt.
Eine Kassenzulassung gibt es derzeit nicht – die Patienten müssen die 70 Euro für die Untersuchung selbst zahlen. „Sie haben lediglich die Möglichkeit, bei der Geschäftsstelle ihrer Krankenkasse vorzusprechen und um Übernahme der Behandlungskosten zu bitten.“ Ein Zustand, den Dr. Holger Finkernagel aus Bad Berleburg so nicht hinnehmen möchte. „Ich kämpfe für meine Patienten dafür, dass die Krankenkassen die Kosten für die Behandlung übernehmen.“
Arzt setzt sich für Patienten ein
Untersuchungen des Auges sind wichtig – insbesondere auch für Diabetes-Patienten. Denn: Diabetes kann Schäden an der Netzhaut verursachen. Experten empfehlen daher regelmäßige Kontrollen der Augen. „Einige Patienten mit Diabetes sind in einem sogenannten Disease-Management-Programm (DMP) eingeschrieben – die gibt es auch für COPD, Asthma bronchiale, Brustkrebs und Koronare Herzerkrankung“, erklärt Dr. Finkernagel. „Diese Untersuchungen sind genau strukturiert und werden immer gleich dokumentiert, so dass eine Evaluation eines Instituts die Strukturqualität kontrolliert.“
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Und: Zur Strukturqualität gehört auch eine augenärztliche Untersuchung jährlich. „Seitdem Dr. Christine Roberts in den wohlverdienten Ruhestand gegangen ist, ist diese völlig zum Erliegen gekommen. Bei der eigenen Strukturanalyse hat sich herausgestellt, dass die sogenannten DMP-Patienten mit Typ 1 oder Typ 2 Diabetes zu 41 Prozent weniger zur jährlichen augenärztlichen Untersuchung gegangen sind“, so Dr. Finkernagel.
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Und das hat laut dem Bad Berleburger Arzt zwei Gründe: lange Anmeldezeiten und lange Anfahrten. „Meist müssen die Patienten beim Augenarzt die Pupillen erweitert bekommen – das heißt: Sie dürfen zwar mit eigenem Auto zum Augenarzt fahren, aber nicht wieder zurück, da die Verkehrstüchtigkeit nicht mehr gegeben wäre. Also müssen sie gefahren werden. Familienangehörige müssen dann her – oder Freunde und Nachbarn. Das sind alles Hindernisse.“
Medizinische Versorgung auf dem Land ist wichtig
Umso glücklicher war er, als im November 2022 die telemedizinische Augenarztpraxis der Artemis Gruppe in der Bad Berleburger Talstraße 2 – direkt am Marktplatz – eröffnete. Es ist die erste telemedizinische Augenarztpraxis (TAP) dieser Art in Deutschland. „Wir haben lange gemeinsam nach einer Nachfolge für Dr. Roberts gesucht. Wir wollten nicht mehr länger warten und haben die telemedizinische Praxis eröffnet, um zumindest so die augenärztliche Versorgung auf dem Land sicherzustellen“, so Dr. Schayan-Araghi. Mit den ersten Monaten ist der Mediziner sehr zufrieden. „Dass wir eine so hohe Trefferquote bei gerade einmal 50 Patienten haben zeigt, wie wichtig regelmäßige Untersuchungen der Augen sind.“
Untersuchungen, für die die Patienten derzeit noch 70 Euro zahlen müssen. „Die Struktur für das DMP ist wichtig. Seit Jahren werben die Krankenkassen dafür, die Patienten in diese Programme einzuschreiben, so dass sie ca. 3000 Euro (pro Patient) jährlich aus dem sogenannten Risikostrukturausgleich (RSA) bekommen. Ich verstehe nicht, warum dann die 70 Euro für die Diabetiker nicht einmal im Jahr möglich sind“, so der Mediziner. Zahlreiche Gespräche habe er bereits mit der Krankenkasse geführt.
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„Meine Intervention bei der AOK lief ins Leere: Die Zentrale in Berlin habe gesagt, das gehe nicht, dass über elektronischen Weg eine Diagnose gestellt wird.“ Zudem verweist Dr. Finkernagel auf die Möglichkeit der AOK, „einem Patienten im Jahr 500 Euro zur Verfügung zu stellen (auf Antrag) – unter anderem für Homöopathie, Teilnahme an Gesundheitskursen etc.“. „Warum kann man nicht 70 Euro für vorgeschriebene strukturelle Untersuchungen von diesem Geld abziehen?“
Einheitliche Regelungen
Das wollte die Lokalredaktion von der Krankenkasse und der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen genauer erfahren. „Telemedizinische Augenuntersuchungen wie in der von Ihnen angesprochenen Bad Berleburger Augenarztpraxis gehören nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen“, teilt Jörg Lewe von der Pressestelle der AOK Nordwest mit. „Welche konkreten Behandlungsmaßnahmen durch an der Versorgung teilnehmende Leistungserbringer erbracht werden dürfen, ist für das gesamte Bundesgebiet einheitlich geregelt. Nicht nur wir als AOK Nordwest, sondern alle gesetzlichen Krankenkassen, sind an diese Regelungen gebunden.“ Die telemedizinische Augenuntersuchung gehöre bisher nicht dazu, „sodass eine Rechtsgrundlage für die Kostenübernahme fehlt. Aus diesem Grund dürfen wir für diese telemedizinischen Untersuchungen keine Kosten übernehmen.“
Man sei sich jedoch der angespannten Situation in der augenärztlichen Versorgung in Bad Berleburg bewusst. „Wir weisen darauf hin, dass die Verantwortung zur Sicherstellung dieser Versorgung bei der Kassenärztlichen Vereinigung in Westfalen-Lippe (KVWL) liegt. Aufgrund der Tatsache, dass dort kein Augenarzt ansässig ist und um die Niederlassung eines Augenarztes dennoch voranzutreiben, hat die KVWL Bad Berleburg bereits in ein Förderverzeichnis aufgenommen, so dass interessierte Ärztinnen und Ärzte bei der KVWL einen Antrag auf besondere Unterstützungsmaßnahmen stellen und unter anderem Darlehen zum Praxisaufbau oder zur Praxisübernahme erhalten können“, heißt es.
Bad Berleburger Arzt wagt weiteren Schritt
Für Dr. Holger Finkernagel ein nicht hinnehmbarer Zustand. Um den Druck auf die Krankenkassen zu erhöhen, hat er nun einen weiteren Schritt gewagt: „Von zehn im DMP für Diabetes geführten Patienten werde ich die regelhaften Untersuchungen wie bisher auch durchführen – aber ich werde diese nicht dem Institut zusenden, welches die Statistiken dafür macht. Damit entfällt für die Krankenkasse für diese Patienten der Risikostrukturausgleich. Die Patienten sind also fachgerecht betreut werden auch über die Ursache und das Meldungsdefizit informiert“, teilt der Arzt in einem Scheiben an die Krankenkasse mit. „Ich habe keine Sicherheit mehr, die Bedingungen für die DMP zu erfüllen, da hier vor Ort kein Augenarzt ist und die Erreichbarkeit für die Patienten nicht mehr zumutbar ist. Durch die Einrichtung eines telemetrischen Augenarztes würde diesem Problem Abhilfe geschaffen. Das aber auch nur, wenn die Krankenkassen die Untersuchungskosten übernehmen würden.“