Bad Berleburg. Dr. Christine Roberts wird 71. Andere sind längst im Ruhestand. Die Fachärztin arbeitete weiter, weil sie keinen Nachfolger fand. Bis jetzt.

Dr. Christine Roberts schließt ihre Praxis. „Ich finde es furchtbar bedauerlich. Es zerreißt mich, wie viel Anerkennung und Dankbarkeit mir von Patienten entgegen gebracht wird. Einige haben Tränen in den Augen“, berichtet die Augenärztin. Über 39 Jahre hat sie in Bad Berleburg praktiziert.

Dr. Christine Roberts (70) gibt ihre Augenarztpraxis in Bad Berleburg zum 24. Juni 2021 endgültig auf. Die Suche nach einem Nachfolger war nicht erfolgreich.
Dr. Christine Roberts (70) gibt ihre Augenarztpraxis in Bad Berleburg zum 24. Juni 2021 endgültig auf. Die Suche nach einem Nachfolger war nicht erfolgreich. © WP | Lars-Peter Dickel

Aber nicht nur die Wittgensteiner Patienten werden ihre Augenärztin vermissen. Das Einzugsgebiet der Praxis reicht von Olsberg bis Hallenberg und von Battenberg bis nach Oberkirchen, sagt sie. „Es gibt Familien, da habe ich einen Säugling in der Klinik in Marburg behandelt – und inzwischen kommt der mit seinen Söhnen und Enkelkindern zu mir.“

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Schwierige Nachfolgesuche

Gut 30.000 Patienten zählt die Kartei der Medizinerin – und doch hat sich kein Nachfolger für die weit und breit einzige Fachärztin für Augenheilkunde gefunden.

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„Ich suche, seit ich 64 bin, also seit fast sieben Jahren“, berichtet Dr. Roberts im Gespräch. „Viele Leute waren schon hier, haben hospitiert. Es gab sogar schon Verträge“, sagt die bald 71-Jährige. Jetzt aber ist Schluss. Am kommenden Donnerstag, 24. Juni, schließt sie die Praxistüren für immer, weil auch ein Headhunter bislang keinen Nachfolger hat finden können.

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Und das hat viele Gründe. „Als ich hierhergekommen bin, sollte hier bald die Autobahn A4 bis nach Kassel weitergebaut werden“, schmunzelt die im Rheinland aufgewachsene Ärztin. Nach wie vor ist die Verkehrsanbindung ein Hauptproblem. „Viele Wittgensteiner sagen: Aber es ist doch schön hier…“, berichtet Christine Roberts. „Aber diese Menschen kommen ja nicht zum Wandern hierher, sondern zum Arbeiten.“ Bei einem Paar, dass in Marburg wohnt, kann der eine Teil zur Arbeit mit dem Zug nach Frankfurt fahren und auf der zweistündigen Fahrt bereits arbeiten. Auf der Fahrt nach Wittgenstein im Auto geht das nicht. Roberts weiß, wovon sie spricht. Sie kommt für drei Praxistage mit den Auto nach Bad Berleburg – von Mannheim aus, wo sie inzwischen lebt. Dort genießt sie die Straßenbahn-Anbindung in die Pfalz, den Odenwald, nach Heidelberg. Hier bei uns fährt in den Dörfern oft gerade noch der Schulbus.

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Neben der Verkehrsferne seien da noch weitere Punkte, so die Ärztin. Zwar gebe es hier alle Schulformen für eine Familie, eine Waldorfschule aber gerade einmal in Siegen. „Die Menschen wollen aber Auswahl haben“, sagt die gebürtige Amerikanerin, die selbst in neun verschiedenen Ländern zur Schule ging.

Quote übererfüllt

Hier finden Sie die nächsten Augenärzte.
Hier finden Sie die nächsten Augenärzte. © Manuela Nossutta / Funkegrafik NRW | Manuela Nossutta / Funkegrafik NRW

Der Politik hat Dr. Christine Roberts diese Probleme bereits vor zehn Jahren im Gesundheitsausschuss berichtet und in einer Präsentation vor dem drohenden Ärztemangel auf dem Land gewarnt, weil viele niedergelassene Mediziner immer älter werden und ähnliche Probleme haben. Passiert sei aber nichts.

Immerhin: Bei der Kassenärztlichen Vereinigung und ihrem eigenen Facharztverband hat sie Unterstützung dafür bekommen, einen Nachfolger zu suchen. Denn offiziell ist die Augenarzt-Quote für den Kreis Siegen-Wittgenstein mit 112 Prozent übererfüllt – alle sitzen im Siegerland – und ein Nachfolger für Bad Berleburg damit nicht erwünscht. Die für Wittgenstein nächstgelegen Augenärzte gibt es in Hilchenbach, Schmallenberg oder im hessischen Biedenkopf.

Möglicher Ausweg Telemedizin

Auch wenn Dr. Roberts ihre Praxis schließen muss, hat sie noch ein Eisen im Feuer. Sie möchte mit ihrer Augenärztlich-Technischen Assistentin eine telemedizinische Versorgung einrichten. Dann könnten Patienten in neue Praxisräume in Bad Berleburg kommen. Bei einem Erstkontakt gäbe es dann eine Videosprechstunde mit einem Arzt – am Anfang wäre dies Christine Roberts. Viele Untersuchungen danach könne die dafür bereits ausgebildete Assistentin übernehmen und digital an einen Arzt zum Auswerten weiterleiten. „Für den unterversorgten ländlichen Raum wäre das eine gute Lösung“, findet Roberts. Aber dafür laufen noch Genehmigungsverfahren – Ausgang ungewiss.

Noch bis Donnerstag, 24. Juni, können Patienten nach Anmeldung ihre Patientenakten abholen oder sich zuschicken lassen.