Aue-Wingeshausen. Die Stadt Bad Berleburg plant die Sanierung der Straßen, doch das Land NRW zahlt nicht. Anlieger Bernd Hentschel fürchtet weiterhin hohe Kosten.

Das Wohngebiet „Am Kapplerstein“ im Bad Berleburger Doppelort Aue-Wingeshausen ist um ein Wohnhaus reicher. Gerade ist ganz unten in der Siedlung ein komplett neues Gebäude entstanden. Und auf der Straße davor sei tatsächlich asphaltiert worden, berichtet Bernd Hentschel, der am Berg etwas höher wohnt – allerdings sei es leider nur ein schmaler Streifen gewesen. Ansonsten „tut sich derzeit nichts“, berichtet er unserer Redaktion mit Blick auf die zigfach geflickten Wohnstraßen der Siedlung. „Und es wird sich auch in den nächsten zwei, drei Jahren nichts tun“, fürchtet der 66-jährige Rentner. Fakt ist aber: Die Stadt Bad Berleburg plant derzeit mit Priorität und für rund drei Millionen Euro einen kompletten Ausbau der Wohnstraßen, die noch aus den 60er Jahren stammen.

Der Anliegerbeitrag

Zahlen-Geschichten

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Das laufe wohl so ähnlich wie bei der Rahmedetalbrücke der Sauerlandlinie A 45, schätzt Hentschel. Da verschiebe sich ja auch gerade das Datum für die Sprengung der alten Autobahnbrücke. Und am Kapplerstein habe sich die Stadt einfach nicht früh genug gekümmert. Da würden dann Straßenbauprojekte in der Kernstadt vorgezogen oder man nehme Wirtschaftswege ins Visier, kritisiert er.

Im Übrigen glaubt Hentschel nicht an eine 100-prozentige Entlastung der Anlieger bei den Beiträgen zum Straßenbau durch eine entsprechende NRW-Landesförderung. Und 80 Prozent des umlagefähigen Aufwands für den Ausbau der Anliegerstraße vor seiner Haustür nach dem Kommunalabgabengesetz KAG sei er einfach nicht bereit zu zahlen. Und damit steht er in der Siedlung nicht allein.

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Tatsächlich ist der KAG-Anliegerbeitrag ein wichtiger Knackpunkt bei Ausbau der Wohnstraßen „Am Kapplerstein“. Aber im Bad Berleburger Rathaus sind die Verantwortlichen überzeugt, „dass die Fördervoraussetzungen grundsätzlich erfüllt sind“, das Land NRW die Anliegerbeiträge auf Antrag schon übernehmen werde.

Der Zustand der Straßen

Bernd Hentschel wohnt schon seit über 60 Jahren am Kapplerstein. Hier steht auch sein Elternhaus. Er war noch ein Kind, als die Straßen für das Wohngebiet Mitte der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts gebaut wurden. Und in einem Teil der Straßen habe es noch nicht einmal für den Bürgersteig gereicht, der ende dort im Nirwana. Schon als Jugendlicher habe er dann gemerkt, dass es beim Fahren mit dem Moped „schon hoppelig“ wird. Und als Erwachsener, der inzwischen mit Familie im eigenen Haus lebt? Da sei die Stadt damals so freundlich gewesen, den Bürgersteig vor seinem Haus so anzupassen, erzählt Hentschel, dass er mit seinem Ford Mustang nicht immer auf dem Asphalt aufsetze.

Risse im Asphalt, jede Menge Flickwerk, plötzlich endende Bürgersteige – die Mängel überall im Wohngebiet „Am Kappler­stein“ sind nicht zu übersehen.
Risse im Asphalt, jede Menge Flickwerk, plötzlich endende Bürgersteige – die Mängel überall im Wohngebiet „Am Kappler­stein“ sind nicht zu übersehen. © Eberhard Demtröder

Die Straßenreinigung fahre nur bis zum ersten Haus am Fuß der Siedlung – „und das war‘s“, ärgert sich der Rentner. Und weil die Stadt sich oft nicht um die Gullis am Straßenrand kümmere, müsse er sie immer wieder darauf hinweisen, dass dort gereinigt werden sollte.

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Trotz allem will Bernd Hentschel am Kapplerstein wohnen bleiben. Denn „eigentlich ist das eine sehr schöne Wohnlage hier oben, ziemlich ruhig“, sagt er. Und wenn er an seinem Haus um die Ecke biege, sei er in zehn Minuten an der „Dicken Eiche“, also mitten in der Natur. „Hier laufen Rehe mit Kitzen, Fuchs und Hase über den Weg. Das ist schon eine tolle Sache.“ Wenn nur nicht das mit der Straße wäre…

Die angepeilte Förderung

Fußgänger-Treppen verbinden die verschiedenen Querstraßen im Wohngebiet direkt miteinander. Doch viele von ihnen sind gesperrt, manche Stufen im Grunde nicht mehr begehbar.
Fußgänger-Treppen verbinden die verschiedenen Querstraßen im Wohngebiet direkt miteinander. Doch viele von ihnen sind gesperrt, manche Stufen im Grunde nicht mehr begehbar. © Eberhard Demtröder

Bereits im Mai hat die Stadtverordneten-Versammlung der Stadt Bad Berleburg laut Niederschrift einstimmig und ohne Gegenstimmen beschlossen, „die städtische Straße ,Am Kapplerstein‘ auszubauen. Die Verwaltung wird beauftragt, einen entsprechenden Fördermittelantrag zu stellen“.

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Allerdings lehne die NRW-Bank den Antrag aus Bad Berleburg zum jetzigen Zeitpunkt ab, berichtete zwischenzeitlich im Ausschuss für Planen, Bauen, Wohnen und Umwelt Tobias Feige, Technischer Angestellter aus der Abteilung Wohnen, Stadt- und Dorfentwicklung – schließlich sei die Baumaßnahme „bisher nur beschlossen, aber noch nicht durchgeführt und abgerechnet wurden, seien die Fördervoraussetzungen zum jetzigen Zeitpunkt nicht erfüllt“. Und das zuständige NRW-Bauministerium erklärt: „Mit der Förderrichtlinie werden gerade keine Straßenausbaumaßnahmen (vor-)finanziert, sondern es handelt sich um eine Beitragsförderung.“ Jetzt lässt die Stadt Bad Berleburg die Rahmenbedingungen der Förderung klären.

Die Risiken des Ausbaus

In der nächsten Plenarwoche Ende November, Anfang Dezember möchte die Stadt der Politik wie auch interessierten Bürgerinnen und Bürger in öffentlicher Sitzung vor allem die Risiken aufzeigen, die ein Ausbau der Straßen „Am Kapplerstein“ ohne eine Förderzusage sowohl für den städtischen Haushalt als auch die Anwohner birgt.

Die Kosten-Entwicklung

Unterdessen werden die geschätzten Kosten für den Ausbau immer höher. Wenn jetzt die beiden Gemeindestraßen „Am Kapplerstein“ und auch die Moltkestraße zum Ausbau anstünden, so die Stadt Bad Berleburg im Vorbericht zum Nachtragshaushalt 2022, dann geschehe dies auf der Basis des Straßen- und Wegenetzkonzeptes. Dieses war bereits im April 2018 „unter intensiver Bürgerbeteiligung“ von der Politik beschlossen worden. Allerdings zeige sich mit Blick auf immer konkretere Pläne und neue Kalkulationen, dass „Nachfinanzierungen erforderlich“ seien.

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Für den Ausbau am Kapplerstein bedeutet das laut Stadt: Ursprünglich mit einer Summe von 500.000 Euro veranschlagt, kommen nun rund 2,52 Millionen Euro hinzu. Bei dieser Summe kalkuliert man im Rathaus mit einer NRW-Landesförderung von rund 2,016 Millionen Euro und einem städtischen, kreditfinanzierten Eigenanteil von 504.000 Euro.

Die Haltbarkeit der Straßen

Laut Straßen- und Wegenetzkonzept, das auch die formelle Basis für die Antragstellung auf Fördergelder sein soll, ist für die Jahre 2022 und 2023 ein Straßenausbau samt Kanal- und Wasserleitungen in der Moltkestraße sowie ein Ausbau mit Gehwegen und Instandsetzung der bestehenden Stützbauwerke am Kapplerstein geplant.

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Letzte Frage: Wie lange werden die runderneuerten Straßen am Kapplerstein erfahrungsgemäß halten? Antwort der Stadtverwaltung dazu: „Der finanztechnische Abschreibungswert einer üblichen Gemeindestraße in Asphaltbauweise ist mit 50 Jahren angesetzt.“ So gesehen sind die maroden Straßen am Kapplerstein mehr als überfällig.

Gelegentlich geht Rentner Bernd Hentschel mit seinem Aufsitzmäher dem Wildwuchs am Straßenrand selbst an den Kragen.
Gelegentlich geht Rentner Bernd Hentschel mit seinem Aufsitzmäher dem Wildwuchs am Straßenrand selbst an den Kragen. © Eberhard Demtröder

Die Abwicklung

Um die Abwicklung der Baumaßnahme „Am Kapplerstein“ von den Ausschreibungen der Bauleistungen über deren Vergaben an private Fachfirmen bis hin zur Kontrolle des Baufortschritts kümmert sich im Bad Berleburger Rathaus übrigens ein ganzes Team. Die Personalaufwendungen für die damit betrauten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stecken anteilig in den Haushaltsansätzen des Produktbereiches „Verkehrsflächen und -anlagen, ÖPNV“.

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„Es liegen diverse Gutachten, Planunterlagen sowie Leistungsverzeichnis zur Ausschreibung vor“, teilt die Stadtverwaltung schon vor einiger Zeit auf Anfrage unserer Redaktion zum Stand der Dinge am Kapplerstein mit. „Sobald die Maßnahme konkret wird, wird die Verwaltung die Anwohner entsprechend informieren.“ Doch damit kann es noch etwas dauern.