Wittgenstein. Henning Setzer und Karl-Friedrich Müller suchen vor dem Jägertag auf Hohenroth den Dialog. Dabei geht es um auch Tradition aber mehr um Zukunft.
Die Kreisjägerschaft Siegerland-Wittgenstein feiert Jubiläum. Vor 75 Jahren wurden in Wittgenstein und dem Siegerland Verbände gegründet, die später zusammenwuchsen. Wie sich Jagd seitdem entwickelt hat, welche Aufgaben auf Jägerinnen und Jäger in den nächsten Jahren warten, darüber haben wir mit dem Vorsitzenden Henning Setzer und dem stellv. Vorsitzenden Karl-Friedrich Müller gesprochen.
Die Kreisjägerschaft wird 75. Wie geht es dem Jubilar?
Henning Setzer: Uns geht es im Moment recht gut. Insbesondere auch weil diese Kreisjägerschaft Siegerland und Wittgenstein in den letzten 20, 25 Jahren sehr gut zusammengewachsen ist. Gegründet worden sind beide ja 1947. Aber es hat relativ lange gedauert, bis sie fusioniert haben.
Karl-Friedrich Müller: Das war auch kein einfacher, ein holpriger Weg.
Sie sind auf der Fährte der Kommunalen Neugliederung, als aus den Kreisen Siegen und Wittgenstein dann Siegen-Wittgenstein wurde. Damals sind auch die Kreisjägerschaften zusammengewachsen…
Setzer: Wir heißen Siegerland-Wittgenstein!
Müller: Um auf die Frage zurückzukommen, wie geht es dem Jubilar? Auch in den vergangenen Jahren gab es Höhen und Tiefen. Aber das Vorstandsteam versucht, die Hegeringe wieder unter der gemeinsamen Dachorganisation Kreisjägerschaft zu vereinen. Wir wollen Ansprechpartner für Sorgen und Nöte rund um die Jagd sein. Das war zuletzt nicht mehr so im Fokus gewesen. Da rührten viele in ihrem eigenen Süppchen. Jetzt binden wir die Hegeringe wieder stärker mit ein.
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Welche Vorteile hat es denn, eine Kreisjägerschaft zu haben?
Setzer: Wir sind die Interessenvertretung der Jäger. Sind im Landesjagdverband organisiert, der die Untergliederungen Kreisjägerschaft und Hegeringe hat. Das heißt, wir definieren uns von oben nach unten und nicht umgekehrt. Die Landesjagdverbände wiederum sind im Deutschen Jagdverband organisiert. Und letztendlich ist das die Möglichkeit, Jägerschaft lobbymäßig zu vertreten. Das würde man auf örtlicher Ebene so nicht schaffen.
…weil Jagdgesetzgebung Landesgesetzgebung ist
Setzer: Das ist ein Grund. Nehmen wir mal ein anderes Beispiel: Ein Betriebsrat ist nur so stark wie die Gewerkschaft, die dahintersteht. Das ist hier ähnlich. Bad Berleburg hat über 200 Mitglieder. Das ist ne Menge, aber der Landesjagdverband hat über 60.000 Mitglieder. Das ist bezogen auf die Landesgesetzgebung eine andere Hausnummer.
Am 18. September: Jägertag auf Hohenroth
Am kommenden Sonntag, 18. September, lädt die Kreisjägerschaft die Bevölkerung und vor allem alle „Nichtjäger“ ab 11 Uhr zum Waldland Hohenroth an der Eisenstraße ein.
Im Mittelpunkt steht der Dialog mit den Menschen und das Gespräch über Wald, Tiere und Jagd. Dazu gibt es auch ein umfangreiches Unterhaltungsprogramm. Es gibt eine Greifvogelschau, die Jagdgebrauchshunderassen werden vorgestellt. Es gibt Informationen rund um die Jagdausbildung. Die Kitzretter Wittgenstein erklären, wie man mit Drohnen und Wärmebildkameras Kitze vor dem Mäh-Tod retten kann. Die rollende Waldschule präsentiert den „Lernort Natur“ Außerdem gibt s eine Schnitzeljagd für Jung und Alt. und Begleitet wird das alles von verschiedenen Bläsergruppen.
Neben Informationen gibt es auch Wildspezialitäten vom Grill, Kaffee und Kuchen. So feiert die Kreisjägerschaf ihr 75-jähriges Jubiläum
In 75 Jahren hat sich viel verändert. Auch rund um die Jagd und das Bild der Jagd in der Öffentlichkeit. Das Spannungsfeld reicht vom „Tiermörder“ bis zum Heger und Pfleger von Wald und Wild. Was davon ist richtig? Was ist Jagd?
Müller: Wir versuchen heute, traditionsbewusst zu jagen, Wild zu hegen und auch Naturschutz zu betreiben. Das gehört zusammen, das muss harmonieren. Wichtig ist, dass man vernünftig jagt. Dazu gehört das Jagdhundewesen. Wir unterstützen Haltung und Ausbildung von Gebrauchshunden. Dazu gehört auch der Schießstand, damit die Jäger ihr Handwerkszeug beherrschen. Es ist heute viel mehr Technik in der Jagd: Unsere Großeltern jagten über Kimme und Korn. Heute haben Jäger Zielfernrohre. Es hat sich Vieles verändert und die Jugend sieht die Jagd heute auch anders als wir sie sehen. Aber wir müssen die Jugend mitnehmen, es macht keinen Sinn negativ darüber zu urteilen. Auch wir wurden von den damaligen Jägern verpönt, weil wir uns ein Z4 – ein Zielfernrohr gekauft haben.
Setzer: Bei aller Verklärung schlägt uns auch Hass entgegen. Aber wenn du das mal versachlichst, üben wir ein Handwerk aus. Jagd ist Handwerk! Aber sie ist auch Leidenschaft. Du musst auch Beute machen wollen. Das gehört dazu. Wenn das nicht dazu kommt, kannst Du nicht jagen gehen. Deswegen sind wir aber keine Tiermörder.
Aktuell erleben wir den Klimawandel, Trockenheit und Borkenkäfer. Das ist eine Katastrophe für die Forstwirtschaft. Die Wiederbewaldung wird auch mit dem Schlagwort Wald vor Wild verbunden. Was halten Sie davon?
Müller: Es gibt nur Wald mit Wild. Es ist unmöglich unser ganzes Wild auszurotten und das will auch keiner. Aber es wird Flächen geben, die stärker bejagt werden müssen und es wird Ruhezonen geben. Dass es auf einer Kalamitätsfläche, die aufgeforstet wird, eine Stresssituation gibt, ist normal. Da muss der Jäger eingreifen.
Für wen ist das Stress, für die Bäume, die Jäger oder das Reh?
Müller: Für alle drei. Der Forstwirt wird sagen: Hier muss stärker gejagt werden. Der Jäger wird sagen: Ich möchte das nicht, weil ich diesen Zukunftsbock schonen möchte. Aber auf Kalamitätsflächen geht das nicht. Er muss umdenken. Schonen kann er im Buchenaltbestand. Das sind Herausforderungen, bei denen es noch Diskussionen geben wird.
Setzer: Wir haben zum Thema Wiederbewaldung nach der Kalamität sechs Regionalkonferenzen mit dem Waldbauernverband und dem Regionalforstamt gemacht. Das zeigt, dass alle Beteiligten den Weg nur gemeinsam gehen können.
In den 75 Jahren hat sich auch technisch viel verändert. Schalldämpfer und bleifreie Munition nenne ich. Was halten Sie von der Entwicklung?
Setzer: Wir reden über Wärmebildkameras und über Nachtsicht. Karl-Friedrich hat das ja schon angedeutet. Die Jagd entwickelt sich. Auch Handwerk entwickelt sich. Da wo der Meister früher mit Hammer und Meißel gearbeitet hat, nutzt er heute elektrische Geräte. Das ist in der Jagd nicht anders. Angefangen von Kimme und Korn über erste Zieloptiken. Dann war der Leuchtpunkt ein Thema, über das sich Jung und Alt aufgeregt haben. Und jetzt regen sie sich über Wärmebildkameras auf.
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Weil das nicht Waidgerecht ist?
Setzer: Ja, weil es nicht waidgerecht sei. Fakt ist: Zum Handwerk gehört, dass man die technischen Hilfsmittel für eine gute Handwerksausübung nutzt und dabei aber fair bleibt. Das Wild muss trotzdem Chancen behalten. Mann kann nicht alles nutzen, was technisch machbar ist. Aber gerade in den Kalamitätsflächen, die zuwachsen, kriegst Du mit dem Fernglas kein Reh zu sehen. Das entdeckst Du nur mit einer Wärmebildkamera.
Die Kreisjägerschaft hat in den letzten Jahren sehr viel Geld in die Hand genommen und den Schießstand in Röspe modernisiert. Was die Kreisjägerschaft an den Rand der Existenz gebracht hat. Das liegt unter anderem an der Entsorgung von bleibelastetem Boden. Wie geht es da jetzt weiter?
Setzer: Der Schießstand ist für insgesamt für rund 700.000 Euro saniert worden. Das hat aber mit der Bodensanierung nichts zu tun. Der bleibelastet Boden aus über 40 Jahren muss abgetragen werden. Das Gutachten dafür liegt im hohen sechsstelligen, Anfang siebenstelligen Bereich. Wie sind jetzt in Gesprächen mit der Umweltbehörde des Kreises aber auch dem Landesjagdverband und Ministerium. Ohne eine entsprechende Förderung von mindestens 80 Prozent können wir das nicht bewältigen und müssten Insolvenz anmelden.
Da verweist der Kreisjagdverband jetzt darauf, welche Leistungen er für die Gesellschaft mit Hege und Pflege von Wald und Wild erbringt, um Unterstützung zu bekommen?
Müller: An diesem Stand ist über 40 Jahre Jungjägerausbildung betrieben worden. Ein Aufgabe als verlängerter Arm von Land und Kreis. Dort ist immer nach den geltenden Regeln geschossen worden. Und es ist Jägern die Möglichkeit gegeben worden, ihren Drückjagdnachweis zu machen, ihre Schießfertigkeit zu üben, bevor sie zur Jagd gehen. Wir arbeiten jetzt an einer Lösung mit vielen Seiten, für die wir in der Vergangenheit etwas getan haben.
Setzer: Wir haben im April einen Förderverein gegründet, der uns in die Lage versetzt, die Eigenmittel zu akquirieren und wir werden Sponsoren brauchen. Dazu müssen wir jetzt aber sagen, wie wir dieses Bodengutachten konkret umsetzen werden.
Da sind sie aber doch nur ein Fall von vielen?
Setzer: Nach unserem Kenntnisstand sind es fünf oder sechs Schießstände, die ähnlich betroffen sind. Es gibt aber auch Schießstände, bei denen die Bleibelastung ohne Auswirkungen auf Gewässer ist und geduldet wird. Das Thema ist bei der Landesregierung präsent. Mir ist nicht bange: Wenn Du ein gesundes Nordrhein-Westfalen willst, musst Du solche Altlasten beseitigen helfen.
Immer mehr Frauen entdecken die Jagd für sich. Was bedeutet das für die Jagd?
Müller: Als ich den Jagdschein machte waren zwei Frauen dabei und viele Ältere konnten das nicht verstehen. Obwohl ich heute nicht mehr der jüngste bin, kann ich nur sagen: Wir sind froh, dass wir sie haben. Wir haben beispielsweise hervorragende Hundeführerinnen, die hervorragende Hundeausbildung machen und hervorragend jagen. Im Vorstand haben wir auch einige Frauen.
Auch der Landesjagdverband NRW wird von einer Frau geführt…
Setzer: Wobei sie die einzige ist. Jagd ist nach wie vor eine Männerdomäne. Aber Frauen tun der Jagd gut.
Werfen wir mal einen Blick in die Zukunft. Wie sieht Jagd in der Zukunft aus?
Müller: Bis dahin wird sich unsere Heimat stark verändert haben und es wird neue Herausforderungen für die Jäger geben. Welche Tiere sind noch vorhanden? Gibt es rotwildfreie Gebiete? Das weiß kein Mensch. Wie verändert sich die Landwirtschaft, die erheblichen Einfluss auf die Jagd hat. Diese Prognose kann keiner machen.
Setzer: Jagd kann und muss sich verändern. Was ich glaube ist, dass Jagd ähnlich wie die Feuerwehr nicht professionalisiert werden kann. Wir haben 285 Reviere in Siegen-Wittgenstein, dafür müsstest Du minimum 60 Berufsjäger haben. Wer will die bezahlen?