Bad Berleburg/St. Petersburg. Seit 2004 lebt der Klaus Horst Philipp in St. Petersburg. Er weiß, wie die Russen über den Krieg, die Sanktionen und Putin denken.

Die ganze Welt blickt gerade auf die Ukraine. Und die ganze Welt blickt gerade auch auf Russland. Die einen sagen: „Das ist nur Putins Krieg.“ Die anderen beschimpfen in Deutschland lebende Russen. Klaus Horst Philipp, Bad Berleburger, arbeitet seit 1994 mit und in Russland und lebt seit 2004 in St. Petersburg. Die Angelegenheit ist weniger schwarz und weiß, als sie oftmals dargestellt wird, macht er deutlich.

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„Die Dame, die mit dem Schild in den Nachrichten protestiert hat: Das war russisch!“, betont Philipp im Gespräch. Von Hause aus seien die Russen eher Anarchisten – „alles was von oben kommt, wird erstmal nicht gemacht“, erklärt er. „Solche Aktionen beeindrucken mich, ich frage mich, ob sich das hier jemand trauen würde.“ Klaus Horst Philipp kennt die Russen sehr gut, hat Gastfreundschaft, Offenheit und Herzlichkeit lieben gelernt.

Klaus Horst Philipp in seinem Büro.
Klaus Horst Philipp in seinem Büro. © WP | Klaus Horst Philipp

Der Weg nach St. Petersburg

Seit 1994 pflegt er Kontakte, als er noch studierte. „Damals habe ich Waldemar Podlich, einen Russlanddeutschen durch die Firma meines Vaters kennen gelernt. Wir haben uns dann mit der Belieferung von Bergwerken in Kasachstan selbstständig gemacht.“ Philipp war für Logistik und Einkauf zuständig, die Maschinen und Waren für die Bergwerke kamen auch aus Russland. „Die neunziger Jahre waren für Russland eine ganz andere Zeit. Russland war ein ausgesprochen armes Land. Es kam vor, dass Leute in ihren Wohnungen erfroren sind, es gab oft auch zu wenig zu essen.“ Die Menschen seien vom Staat alleine gelassen worden. „Die durchschnittliche Lebenserwartung eines männlichen Russen lag damals bei nur 55 Jahren.“ Im Jahr 2000 heiratete er seine heutige Ehefrau – eine St. Petersburgerin. Nach der Heirat lebten sie zunächst in Bad Berleburg, doch dann zog es seine Ehefrau zurück in die Heimat. Seit 2004 leben die beiden mit ihren Kindern in St. Petersburg.

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Putins Heimatstadt

Im Jahr der Hochzeit wurde Wladimir Putin zum ersten Mal zum Präsident Russlands gewählt. „Nach den wilden 1990er ist es im Land relativ schnell ruhig und besser geworden“, erinnert er sich. „Seitdem hat man sehr vernünftig in Russland leben können. Wir haben ein Jahrzehnt wirtschaftlichen Aufschwungs miterlebt.“

Dafür habe Putin die Voraussetzungen geschaffen – etwas, wofür er bei vielen, die die 1990er in Russland oder gar die Blockade Leningrads durch Deutschland selbst erlebt haben, noch viel Kredit hat. Aber: „Putin hat in St. Petersburg keinen Kredit, nur weil er hier geboren wurde und hier Bürgermeister war. Im Gegenteil ist man in den russischen Großstädten grundsätzlich kritischer eingestellt“ Und, in einer überraschenden kleinen Parallele zu Wittgenstein: „Putin ist auch von Elternseite kein reiner Petersburger. Die St. Petersburger sind in dieser Angelegenheit genau wie die Berleburger. Auch in der zweiten oder dritten Generation bist du noch Zugelöfener.“

Proteste in Russland

Die Polizei nimmt eine Demonstrantin während einer Aktion gegen Russlands Invasion in die Ukraine fest. Trotz Massenverhaftungen gingen die Menschen in Moskau, St. Petersburg und anderen russischen Städten auf die Straße.
Die Polizei nimmt eine Demonstrantin während einer Aktion gegen Russlands Invasion in die Ukraine fest. Trotz Massenverhaftungen gingen die Menschen in Moskau, St. Petersburg und anderen russischen Städten auf die Straße. © dpa | Dmitri Lovetsky

Gerade die jüngere Generation, die die 1990er Jahre nicht mehr miterlebt hat, steht dem Regime deutlich kritischer gegenüber. Auch in St. Petersburg gehen die Menschen wie in vielen anderen Städten auf die Straße, um gegen den Krieg zu demonstrieren. Noch, so hat es Philipp in St. Petersburg beobachtet, halte sich die Polizei aber zurück. „Im Vergleich dazu sind sie zum Beispiel bei den Nawalny-Protesten viel heftiger vorgegangen. Damals sind die Menschen in Busskolonnen abgeführt worden.“

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Aktuell sei es üblich, dass Menschen, die festgenommen werden, wenige Stunden festgehalten und registriert werden und danach wieder auf freien Fuß kommen. „Bisher haben ich und haben auch Bekannte nicht gehört, dass es anders gelaufen ist.“ Aber: „Es ist an sich schon falsch, dass man ein Gesetz erlässt, das über den protestierenden Menschen diese Drohung mit 15 Jahren Haft schweben lässt.“

Wirkung der Sanktionen

Die Russen seien gut informiert, macht Philipp deutlich: „100 Millionen Russen sind täglich im Internet unterwegs um sich dort zu informieren. Jetzt werden ihnen auch vom Westen diese Möglichkeiten beschränkt. Das Gegenteil sollte doch der Fall sein, dass man mehr miteinander kommuniziert – und nicht weniger“. Auch treffen die Sanktionen oftmals die Falschen – und sie belohnen die Falschen, hat Philipp beobachtet. „Wenn man einen Ikea oder einen McDonalds schließt, erwischt man damit keinen Oligarchen“. Wirtschaftliche Sanktionen gehen dagegen auch nach hinten los, viele Firmen in Russland machen aktuell sogar wesentlich mehr Gewinn, als zuvor.

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Denn Russland exportiert nicht nur Gas und Öl – mehr als die Hälfte der Werte die exportiert werden, sind Maschinen, Anlagen, Lebensmittel und andere Dinge, die mit Öl und Gas nichts zu tun haben, erklärt Philipp. Produkte werden zu Rubelpreisen hergestellt und dann international gegen Devisen verkauft. Der Rubel hat sich aber halbiert – die Rubeleinnahmen nach dem Umtausch von Dollar oder Euro zu Rubel haben sich also verdoppelt. Zusätzlich sind die Preise für exportierte Lebensmittel, Dünger und vieles mehr deutlich gestiegen. „Die Exporteure kommen vor Lachen kaum in den Schlaf“, so Philipp.

Russen in Deutschland

Der Krieg Putins gegen die Ukraine hat auch auf Russen in Deutschland Auswirkungen: Immer öfter werden sie angefeindet.

„Das ist ein extrem hässlicher Zug. Ich habe viele Russlanddeutsche Freunde. In Russland waren sie immer ,die Deutschen’. Hier waren sie lange Zeit ,die Russen’. Die letzten Jahre ging es und es wurde besser – jetzt kommt die Ausgrenzung ganz stark zurück. Und das geht diesen Menschen, die dachten, dass sie hier inzwischen dazu gehören, stark ans Herz.“