Bad Laasphe/Charkiw. Ludmila ist mit ihrer Familie aus der Ukraine nach Bad Laasphe geflohen. Nun wollen sie dort ein neues Leben anfangen, aber es gibt auch Hürden.
Ein Teil der grauen Rakete ragt noch aus dem Boden. Mitten auf einem Platz in Charkiw – einer ukrainischen Stadt. Nur wenige Minuten zuvor hat Ludmila sich mit dem Vater ihres Sohnes dort getroffen. 15 Minuten länger und sie wären mittendrin gewesen. Doch sie hatten noch einmal Glück gehabt. „Da wusste ich, wir müssen fliehen“, sagt sie und zeigt auf ihrem Handy ein Video, auf dem die Rakete zu sehen ist. „Eine Frau verlor dabei beide Beine“, berichtet die Familie. Charkiw ist nach Kiew mit rund 1,5 Millionen Einwohnern die zweitgrößte Stadt der Ukraine. Mit 42 Universitäten und Hochschulen ist sie das nach Kiew bedeutendste Wissenschafts- und Bildungszentrum des Landes. Am Mittwochabend berichteten mehrere Nachrichtenagenturen, dass eine in Charkiw angegriffen wurde. Von dem einst so schönen Charkiw ist kaum was geblieben.
Seit Beginn des Krieges sind laut UN-Flüchtlingshilfe mehr als drei Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen – die meisten über die polnischen Grenze. So auch Ludmilla mit ihren Kindern Nikita und Darina, sowie Darinas Sohn Artem. Sie waren vorübergehend bei ihrem Neffen Eugen und seiner Familie in Bad Laasphe untergekommen. „Meine Tante Ludmila rief mich nach dem Raketenanschlag direkt an. Ich bin meiner Frau so dankbar – sie war ab der ersten Minute bereit, ihnen zu helfen und sie bei uns aufzunehmen.“
Hilfe bei den Behördengängen
Eigentlich hatten Ludmila und ihre Familie bis zuletzt gehofft, in Charkiw bleiben zu können, doch dann kam alles anders. „Es hieß, dass nur bestimmte Objekte angegriffen werden, niemand dachte, dass sie auch Wohnhäuser angreifen“, so Ludmila. Zwei Stunden hatten sie Zeit, die wichtigsten Sachen zusammenzupacken. Dann fuhren sie nach Budy – einer kleinem Siedlung, wo der Opa wohnt. Beschützt von Soldaten ging es zum Bahnhof. Fünf Stunden saßen sie dort fest, bevor es nach Polen ging.
Seit dem 8. März sind sie nun in Bad Laasphe. Angekommen bei Eugen und seiner Frau fühlen sie sich zwar in Sicherheit – dennoch aber sorgen sie sich um die Angehörigen. Sie sind dankbar für all die Hilfen – sei es am Bahnhof, den Grenzen und auch in Bad Laasphe. Ohne sie wären sie heute nicht dort. Eine große Hilfe ist auch ihr Betreuer. Er hatte sich nach dem Spendenaufruf von Friseurmeisterin Marina Marchel gemeldet,um der Familie unter anderem bei Anträgen und Behördengängen zu helfen.
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Denn: „Für den Aufenthaltstitel ist eine Registrierung mittels der Personalisierungsinfrastrukturkomponente (PIK) notwendig, die nach aktuellem Stand hardwarebedingt im Kreishaus (bzw. in der Stadtverwaltung Siegen) erfolgen muss. Eine Zuweisung erfolgt nur für Personen die einen Aufenthaltstitel beantragt haben oder ein Schutzgesuch bzw. Asylantrag gestellt haben. Die Zuweisung erfolgt zwischen den Bundesländern nach dem Königsteiner Schlüssel“, teilt der Kreis auf unsere Nachfrage mit.
Und auch Eugens Tante hilft – mit Erfolg: Die Familie konnte vor Kurzem eine eigene Wohnung beziehen. „Dort fühlen wir uns sehr wohl“, so Darina. Viele der ukrainischen Geflüchteten sind privat bei Verwandten oder Bekannten untergekommen. Aber auch die Bad Laaspher Schlossbergklinik könnte neben dem ehemaligen Krankenhaus in Kreuztal-Kredenbach schon bald als zentrale Aufnahmeeinrichtungen für Menschen aus der Ukraine verwendet werden (wir berichten).
Sprachliche Barrieren
Auch wenn sich die Familie um ihre Angehörigen in der Ukraine sorgen, so möchten sie endlich ankommen – sich integrieren, Deutsch lernen und eine Arbeit finden. Denn zurück in die Ukraine – das können sie sich derzeit nicht vorstellen. „Wohin? In die Ruinen?“, fragt Ludmila. „Niemand weiß, wann es vorbei ist.“ Auch hoffen sie, dass die Jungs (16 und 15 Jahre alt) bald in die Schule zum Deutsch lernen können – und zum Fußball, um auf andere Gedanken zu kommen. Viele Kinder und Jugendliche sind seit der Flucht zuhause. Um sie zu integrieren, bereiten sich die Schulen auf geflüchtete Schüler vor (wir berichteten.) Eigentlich war Nikita fertig mit der Schule, hat bereits als Elektriker angefangen. Nun muss er wahrscheinlich die neunte und zehnte Klasse wiederholen. Auch Artem hat Ziele. Er interessiert sich für die Bereiche IT und Medizin.
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Eine große Hürde ist aktuell aber die Sprache. Die Familie hofft daher so schnell wie möglich Deutsch lernen zu können. Doch wo und wann ist das möglich? „Mit der Wohnsitznahme der Geflüchteten nach § 24 Aufenthaltsgesetz (also nach Zuweisung zu einer Kommune) besteht ein Anspruch auf Integrationskurse. Diese werden gerade von der VHS vorbereitet. Das benötigt natürlich mit Blick auf die Gewinnung von Kursleitern und von Räumlichkeiten einen gewissen Vorlauf“, so der Kreis. Ein Bestreben, vermehrt russische Personen für Dolmetschertätigkeiten zu beauftragen, bestehe derzeit jedoch nicht.