Bad Laasphe. Ukraine-Krieg: Ruslana und ihre Kinder sind aus Kiew nach Niederlaasphe geflohen. Täglich warten sie auf ein Lebenszeichen des Familienvaters.

„Ich hoffe, dass wir uns wiedersehen“, sagt Ruslana, 42 Jahre alt. Immer wieder kommen ihr die Tränen, wenn sie an ihre Heimat, einem Vorort von Kiew, denkt. An ihren Mann und Vater ihrer Kinder, der dort bei der Bürgerwehr für sein Land kämpft. An die Oma, die in einem kleinen Dorf nahe der Hauptstadt lebt – ohne Strom und Internet. An ihre Flucht nach Deutschland. Erinnerungen, die immer wieder hoch kommen. Es vergeht kaum eine Minute, in der sie nicht an ihre Familie und Freunde denkt, die noch immer um ihr Leben kämpfen. „Ich versuche sie abzulenken, aber das ist eigentlich nicht möglich“, sagt Tamara Beresten. Sie und Ruslana sind von klein auf Freundinnen, waren in der Ukraine als Kinder Nachbarn. Sie selbst hat noch Verwandte in der Ukraine, um die sie sich Sorgen macht. Einer ihrer Cousins wohnt derzeit im Keller seines Hauses. Sie selbst wohnt nun in Niederlaasphe. Bei ihr finden Ruslana und ihre Kinder vorerst Unterschlupf.

Seit über zwei Wochen wütet der Krieg in der Ukraine. Zahlreiche Menschen sind seitdem geflüchtet – über Polen, Rumänien, Moldawien und anderen Grenzen. Viele weitere aber leben weiterhin in Kellerräumen, Bahnstationen oder Schächten und fürchten um ihr Leben.

Ersten Bomben schon um 5 Uhr morgens

Rückblick: Es ist der 24. Februar 2022. Die Kinder von Ruslana und ihrem Mann schlafen, als gegen 5 Uhr morgens die ersten Bomben fliegen. Panik bricht aus. Gleichzeitig aber herrscht in Kiew und dem Vorort Fassungslosigkeit. „Ich konnte gar nicht glauben, was da gerade passiert“, sagt Ruslana. Wieder kommen ihr die Tränen. „Es gab kein Sprit mehr an den Tankstellen, vor den Supermärkten bildeten sich lange Schlagen“, erinnert sie sich. Der Familienvater holte sie und die Kinder sofort ab und brachte sie in eine kleine Gartenhütte außerhalb der Stadt. „Er sagte zu uns: Ihr müsst hier weg.“

Das letzte gemeinsame Bild mit Papa: Dieses Selfie ist noch vor dem Krieg entstanden. Seit dem 24. Februar haben Ruslana und ihre Kinder den Familienvater nicht mehr gesehen.
Das letzte gemeinsame Bild mit Papa: Dieses Selfie ist noch vor dem Krieg entstanden. Seit dem 24. Februar haben Ruslana und ihre Kinder den Familienvater nicht mehr gesehen. © WP | Ramona Richter/Privat

Zwanzig Minuten hatte die Familie Zeit, die wichtigsten Dinge zusammen zupacken. Dann ging es mit dem Auto Richtung polnische Grenze – vorbei an mehreren Militär-Checkpoints. Immer wieder hörte die Familie, wie Bomben fliegen, verstecken sich. Dann geht plötzlich nichts mehr. „Wir kamen mit dem Auto nicht mehr weiter und mussten es stehen lassen. Die letzten 17 Kilometer sind wir zu Fuß gelaufen.“ Nach gut 14 Stunden hatten sie die polnisch-ukrainische Grenze erreicht.

Drei Tage kein Kontakt zur Oma

Laut dpa hatten bereits am Mittwoch mehr als 1,5 Millionen Menschen die Ukraine verlassen, die meisten über Polen. „Die letzten Kilometer vor der polnischen Grenze waren die schlimmsten“, sagt Ruslana. In Polen angekommen, machte sich ein wenig Erleichterung breit. „Die Menschen dort waren alle so lieb, hilfsbereit und organisiert.“ Unter anderem halfen sie den geflüchtete Menschen bei ihrer Weiterreise. Welche Busse und Bahnstrecken sind die richtigen? Wo können sie sich melden? So auch wenig später in Berlin, wo Ruslana und ihre Kinder ankommen. Von dort aus ging es weiter nach Wittgenstein und schließlich nach Niederlassphe. „Es tut gut, hier bei Freunden zu sein. Aber unsere Gedanken sind bei unserer Familie in der Ukraine. Wir hoffen, dass wir sie lebend wiedersehen“, sagt sie.

Es fällt ihr sichtlich schwer, über das Erlebte zu sprechen. Auch, weil der Krieg in ihrem Heimatland noch immer andauert. Die Angst um ihre Verwandten geht weiter. Von ihrem früheren Leben ist derzeit kaum etwas geblieben. Friedensgespräch scheiterten – ebenso die verabredeten Feuerpausen. Der Kontakt nach Hause – schleppend. Drei Tage lang hat die Familie nichts von der Oma gehört. Dann endlich ein Lebenszeichen. Auch ihren Mann versucht sie täglich zumindest kurz zu erreichen. „Er spricht nicht viel, will uns nicht beunruhigen. Er sagt meist nur kurz, dass alles ok ist“, so Ruslana, die nur einen Wunsch hat: Frieden. Frieden, sodass sie bald wieder nach Hause kann – zu ihrem Mann und Freunden.

Warten auf weitere Verwandte

„Mein Mann sagte plötzlich: Es herrscht Krieg“, erinnert sich Tamara Beresten aus Niederlaasphe an den Donnerstagmorgen, als die russische Armee in die Ukraine einmarschierte. „Ich weinte viel, konnte es nicht glauben.“ Danach fing sie an, ihre Verwandten nach und nach abzutelefonieren. Seitdem wartet sie täglich auf ein Lebenszeichen ihrer Angehörigen, die noch immer in der Ukraine leben – teilweise in den Kellerräumen ihrer Häuser. „Wir hoffen, dass sie bald gesund hier bei uns ankommen.“ Ihr Cousin wolle seine Frau und die Kinder an die Grenze fahren, er selbst bleibe dort um zu kämpfen.“ Auch sie finden wie Ruslana und ihre Kinder bei der Familie vorerst Unterschlupf.

Doch wie geht es weiter? „Von den Nachbarn hier erfahren wir sehr viel Hilfe“. Aber es fehle ein konkreter Plan seitens der Stadt. „Wo kann man sich hinwenden? Wo können die Geflüchteten auf Dauer unterkommen und was ist mit den Kindern, die seit mehr als zwei Wochen nicht in der Schule sind“, fragt sie, während sie sich um ihre Verwandten sorgt. Auch ihr Sohn Anton verfolgt die Geschehnisse in der Ukraine täglich. „Ich fühle mich mit der Ukraine sehr verbunden. Die Freiheit wurde uns nicht in die Wiege gelegt. Wir musste immer schon dafür kämpfen. Wenn der Krieg nicht endlich aufhört, ist auch die Hoffnung auf Frieden erloschen.“