Bad Berleburg. Seit März kümmert sich die 30-Jährige in der Verwaltung um die Nachhaltigkeit. Wir haben mit ihr auch über ihren Weg nach Berleburg gesprochen.
Die nachhaltigste Kleinstadt Deutschlands will sich auf ihrer Auszeichnung nicht ausruhen. Seit März 2021 gibt es mit Jessica Durstewitz auch eine Frau, die sich intensiv mit diesem Thema auseinandersetzt. Wir haben mit ihr über ihre Aufgabe und ihre ersten Erfahrungen als „Zugelöfene“ in Wittgenstein gesprochen.
Den Begriff „Zugelöfene“ kennen Sie schon?
Jessica Durstewitz: Den habe ich schon gehört und er wurde mir schon erklärt. Ich wurde schon so betitelt.
Wie sind Sie nach Bad Berleburg gekommen?
Tatsächlich aus privaten Gründen. Mein Partner ist ursprünglich aus Dotzlar und ist ein Rückkehrer. Wir sind quasi zusammen hierher gekommen. Er hat 15 Jahre lang nicht hier gelebt. Getroffen habe ich ihn während meiner Zeit in Nordhessen. In Witzenhausen habe ich eine Weiterbildung zur Projektmanagerin für Entwicklungszusammenarbeit an der Gesellschaft für nachhaltige Entwicklung gemacht. Witzenhausen ist ja eine Unistadt, in der man Fortbildungen und Nachhaltigkeitsstudiengänge machen kann. Da habe ich meinen Partner kennengelernt. Er hat vorgeschlagen, hierher zurückzukommen und dann habe ich nach einer tollen Stelle hier gesucht und bin fündig geworden.
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Wie heißt das genau, was Sie jetzt machen?
Ich bin Projektmanagerin für Kommunale Entwicklungspolitik. Eigentlich genau das, was ich vorher in der Weiterbildung gelernt habe. Das hat perfekt gepasst, Privates und Berufliches hier zu verbinden.
Sie haben an vielen Orten gelebt, gelernt und gearbeitet und haben einen Vergleich. Was ist an Wittgenstein oder Bad Berleburg besonders – abgesehen vom Privaten?
Was ich bei meinen Reisen für mich festgestellt hab’, ist, dass ich mich gerne auch zurückziehe, obwohl ich den Trubel und das alles liebe. Und an Wittgenstein oder Bad Berleburg finde ich toll, dass man sich in die Ruhe zurückziehen kann. Man hat die Natur vor der Tür. Ich bin ein Outdoormensch. Ich liebe es zu wandern, Fahrrad zu fahren, Joggen zu gehen und alles irgendwie draußen zu machen. Ich mag es, die Natur zu entdecken und daraus meine Kraft zu ziehen. Das finde ich hier.
Und im Arbeitskontext merke ich auch, dass das Verhältnis zu den Kollegen nicht distanziert ist. Man baut schnell Freundschaften auf. Es gefällt mir, dass es nicht so anonym ist, wie in einer Großstadt.
Bad Berleburg ist eben im Grunde ein Dorf...
Genau. Aber das gefällt mir sehr gut. Ich habe in vielen Großstädten gelebt, aber mir gefällt das ländliche, naturverbundene Leben viel besser.
Sie haben auch in Schweden gelebt. Landschaftlich und nicht dicht besiedelt unterscheidet sich Wittgenstein nicht sehr davon. Was können wir vielleicht von Schweden lernen?
Ich habe auch schon sehr viel von dort gelernt. Meine Großmutter kommt ursprünglich aus Schweden. Das heißt: Ich bin seit meiner Kindheit immer dort gewesen und trage auch so ein bisschen diese Ruhe und Gelassenheit von dort in mir. Das ist es auch, was man sehr gut von den Schweden lernen kann: Dass sie in allem immer sehr ruhig und gelassen sind. Sie arbeiten nicht immer so vorantreibend, nehmen sich die Zeit um alles in Ruhe anzugehen. Und obwohl es ein so dünn besiedeltes Land ist, sind die Schweden sehr gut vernetzt. Sie sind auch was Digitalisierung angeht, weit voraus und generell sehr innovativ. Das Thema Nachhaltigkeit ist eine Selbstverständlichkeit für jung und alt. Der Anteil der nachhaltig denkenden Menschen ist sehr hoch. Beispielsweise der Öffentliche Nahverkehr ist sehr gut ausgebaut.
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Ich glaube, durch die dünne Besiedlung und die wenigen Menschen haben sie nicht in jedem Ort einen Arzt und nicht in jedem Dorf einen Laden und sind es gewohnt, für den Wocheneinkauf weite Strecken zu fahren. Und sie haben nicht diese Straßen...
Die haben sich sehr gut angepasst. Aber sie kennen es ja auch nicht anders. Was ich aber auch von vielen Menschen in Schweden kenne ist, dass sie sich zum Teil selbstversorgen, nicht so oft einkaufen gehen müssen und ihr Verhalten anpassen. So ist die Struktur hier nicht. Hier gibt es ja noch viele Läden.
Sie haben Kommunikationswissenschaft in Dresden und Landschaftsplanung in Kassel studiert. Wie passt das mit Ihrer jetzigen Arbeit zusammen?
Im Studium habe ich mich sehr gut auf diesen Bereich vorbereitet. Habe mich mit politischen Themen auseinandergesetzt. Wie funktioniert diese Gesellschaft? Wie kommuniziere ich das in die Öffentlichkeit? Damals wollte ich nach dem Studium in einer NGO (Nicht-Regierungs-Organisation/Die Red.) arbeiten, die sich mit Gemeinwohlthemen auseinandersetzt. Ich wollte schon immer etwas Gemeinwohlorientiertes machen. Das Studium der Landschaftsplanung habe nicht abgeschlossen. Ich wollte in der Renaturierung von Gebieten arbeiten, die von Menschen zerstört worden sind. Das Planerische auf dem Papier gefiel mir nicht so und deshalb habe ich mich für Kommunikationswissenschaften entschieden.
Was macht der Begriff Nachhaltigkeit für Sie aus?
Für mich steht er für eine langfristige Orientierung, die Welt resilient und regenerativ zu machen. Nachhaltigkeit möchte ich gerne ergänzen um weitere Begriffe, wie Widerstandsfähigkeit und, dass das Vorhandene nicht so bleibt, wie es ist, sondern noch regenerativer wird. Also, dass man Sachen noch besser macht, als sie gerade sind. Man sieht es an den aktuellen Geschehnissen. Wir müssen uns noch mehr an das Klima anpassen, noch widerstandsfähiger werden und noch mehr tun, als wir schon tun. Es gibt klare Ziele von der UNO und Strategien. Die sind alle toll, aber wir müssen an die Widerstandsfähigkeit denken.
Man kann von oben verordnen: Die UNO sagt, wir müssen CO2 einsparen. Aber das bedeutet, dass sich die Menschen ändern müssen. Am Besten ist das, wenn es aus den Menschen heraus kommt. Die Menschen zu überzeugen, dass ist Ihre Aufgabe...
Das kann in meiner Verantwortung liegen. Ich finde aber, dass es auch in der Individuellen Verantwortung liegt. Es ist eine Frage der inneren Haltung. Die habe ich mir auch durch eigene Recherche erarbeitet. Mir hat vielleicht mal jemand etwas gesagt, aber ich bin dem nachgegangen. Und das ist total wichtig, dass man sich bewusst wird, was passiert, wenn wir uns nicht nachhaltig verhalten. Wir wirkt sich mein Verhalten aus, wenn ich nur noch mit dem Auto fahre? Mir keine Gedanken über die Ernährung mache? Was hat das für Auswirkungen auf die Umwelt und damit auch auf mich? Es ist dieser Kreislauf.
Diese Unmittelbarkeit?
Genau. Vielleicht sieht man das nicht auf den ersten Blick, wenn ich eine Kaufentscheidung treffe, aber da hängen die ganzen Kettenglieder dran und am Ende kommt das dann zu mir zurück.
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Bad Berleburg will als global-nachhaltige Kommune Vorbildfunktion für andere Städte und Gemeinden aber auch die Menschen haben. Wie gelingt das?
Wir haben nicht den Anspruch alles zu wissen. Wir sind Menschen, wie alle anderen auch. Wir probieren Dinge aus. Wir haben unsere Nachhaltigkeitsstrategie unter der die gesamte Verwaltung läuft. Alle richten ihr Handeln danach aus. Aber wir wissen auch nicht alles. Wir sind in diversen Verbindungen mit drin und erarbeiten Konzepte, setzen uns einfach damit auseinander. Ich beispielsweise als Klimaschutzbeauftragte im Bereich Entwicklungspolitik. Wir wollen Zusammenarbeite und gemeinsam anders arbeiten.
Haben Sie auch Beispiel außerhalb der Verwaltung?
Wir haben diese nachhaltigen Kleinprojekte, die über Leader finanziert werden. Dadurch geben wir Projekte in die Dörfer, die dort umgesetzt werden und wir stehen beratend zur Seite. Ich finde Partizipation und Zusammenarbeit ganz wichtig. Dann haben wir das Format „Mach-Mit-Mittwoch“, bei dem wir über ein Thema sprechen und rufen auf, mitzumachen. Wir geben Impulse.
Aber das sind Dinge, die Sie auch selbst leben müssen, von denen Sie überzeugt sind...
Genau. Wir sind ausgezeichnet worden als nachhaltigste Kleinstadt Deutschlands. Aber darauf ruhen wir uns nicht aus, sondern das sehen wir als Ansporn weiterzumachen und neue Ideen zu entwickeln. Man kann sich darauf nicht ausruhen.
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Welchen kleine, vielleicht sogar alltägliche Verhaltensweise von einzelnen kann die Welt ein Stück besser machen?
Innere Haltung ist dabei total wichtig. Dass man nicht nur schaut, was tun die anderen, sondern auch an seiner eigenen Einstellung arbeitet. Aber natürlich empfehle ich jedem mehr mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren. Das tut nicht nur der Umwelt gut, sondern einem selbst. Hinterfragt, wie viel Fleisch ihr über die Woche hinweg essen wollt. Vielleicht kann es auch mal die vegetarische oder vegane Alternative sein. Das ist auch gesund. Dazu kommen die gängigen Sachen wie Wasser sparen, Energie sparen, weniger fliegen. Aber nicht als Verbot verstehen, sondern den Mehrwert für mich zu hinterfragen. Eine intakte Natur bringt mir ja auch etwas.
Wie sieht ihre Zukunft aus, wenn das Projekt, an dem Sie arbeiten, ausläuft?
Ich habe nicht nur dieses Projekt. Ich bin ja auch noch Klimaschutzbeauftragte in der Stadt und die Themen der Nachhaltigkeit hören nie auf. Also bin ich zuversichtlich, dass es in dem Bereich weitergeht. Ich werde mich auf jeden Fall weiter mit diesen Themen beschäftigen.