Schmallenberg/Bad Berleburg. Eines macht die NRW-Umweltministerin von vorn herein klar: „Ich muss Ihnen die Hoffnung nehmen, dass wir dieses Projekt heute beerdigen.“
Die Zukunft des Wisentprojekts bleibt spannend. NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser hat die gut 300 Menschen in der Schmallenberger Stadthalle überrascht. Die CDU-Politikerin hatte für die zahlreich vertretenen Gegner des Artenschutzprojektes nicht nur einen Kompromissvorschlag zum Thema Zaunlösung im Gepäck, sondern auch eine ganz klare Perspektive dafür, was die Alternative zur einer vorübergehenden Gatterung der freilebenden Wisentherde wäre.
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Eines macht die NRW-Umweltministerin von vorn herein klar: „Ich muss Ihnen die Hoffnung nehmen, dass wir dieses Projekt heute beerdigen. Wir werden ihre Stimmungen und Bedenken mitnehmen und in der Koordinierungsgruppe besprechen. Das Wisent-Thema ist emotional diskutiert worden, wie die Nationalparks.“
Vertrakte Situation
Wisent-Wildnis in Wingeshausen mit steigenden Besucherzahlen
Hervorragende Besucherzahlen legte Klaus Brenner, 2. Vorsitzender des Trägervereins des Wisentprojektes, am Freitag vor.
So verzeichnet die Wisentwildnis am Rothaarsteig – das Schaufenster des Artenschutzprojektes in Wingeshausen – im Jahr 2019 insgesamt 35.000 Besucher. Das entspreche einer Steigerung von 5 Prozent im Vergleich zum Jahr 2018. Anhand von Bonussystemen wie der Schmallenberg-Card und der Winterbergkarte lasse sich zudem feststellen, dass 9500 Besucher aus dem Sauerland in das Schaugehege gekommen sind.
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Pech habe man indes mit drei Wisentkühen im Gehege gehabt. Die drei Kühe aus dem Donaumoos seien als Ersatz für drei Bullen gekommen, die man an ein Artenschutzprojekt in Rumänien abgegeben habe. Alle drei hätten auch in der Wisentwildnis gekalbt. Dann sei es aber nach einem Vierteljahr zu Rangkämpfen zwischen den Kühen der Herde gekommen. Dabei seien die neuen Kühe gestorben. Rangkämpfe unter Kühen waren so noch nicht wissenschaftlich bekannt. „Wir haben da Neuland betreten“, formuliert es Brenner.
Herde fühlt sich sehr wohl
Über die freilebende Herde informierte der 3. Vorsitzende Johannes Röhl: „Die Herde fühlt sich sehr wohl. Die Reproduktionsrate ist höher als erwartet.“ Sechs bis sieben Kälber seien geboren worden. Drei Tiere habe man verloren. Eines durch den Verkehrsunfall auf der Bundesstraße 236 und zwei weitere habe man Krankheitsbedingt erlösen müssen. Darunter war auch Bulle Egnar.
26.000 Euro weniger
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Auch zu den Ersatzleistungen für Schälschäden konnte Johannes Röhl Auskunft geben: In 2019 habe der Verein 49.000 Euro an Geschädigte gezahlt. 2018 waren es noch 75.000 Euro gewesen. Grundsätzlich gelte, dass alle berechtigten Ansprüche auf Schadenersatz beglichen werden – zunächst über den Ausgleichsfonds und sollte dieser ausgeschöpft sein, über eine Versicherung.
Laut der Ministerin sei die Situation sehr vertrackt. „Wir werden versuchen, diese Situation aufzulösen, so dass alle damit leben können. Das Projekt steht im Einklang mit den Artenschutzrichtlinien und hat bundesweit großen Anklang gefunden. Ich bin erst seit eineinhalb Jahren Ministerin und kann deshalb einen neuen Blick auf das Projekt werfen.“
In der Koordinierungsgruppe des Projektes hat Heinen-Esser dann die zunächst von geschädigten Waldbauern ins Spiel gebrachte Idee eines Gatters aufgegriffen. Dazu schlug sie Flächen des Staatswaldes vor und auch solche des Projekt-Ideengebers - also der Wittgenstein-Berleburg’schen Rentkammer. Am Ende werden aus 1500 Hektar Potenzialflächen nach Abzug aller Einschränkungen 840 Hektar. 700 auf Staatswaldflächen in Schmallenberg und 140 auf Berleburger Privatwaldseite.
Gegen diesen Kompromiss wetterten die Gegner in der Stadthalle Schmallenberg. Neben dem HSK- Landrat Karl Schneider (CDU) und Schmallenbergs Bürgermeister Bernhard Halbe (CDU) war es auch der Latroper Ulrich Lutter der erneut betonte, dass dies mit seinem Dorf nicht zu machen sei.
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Auf diese bereits seit Wochen schriftlich und in dieser Zeitung geäußerte Kritik war Heinen-Esser vorbereitet. Sie unterbreitete eine verkleinerte Gatterlösung, die Latroper Flächen außen vor lässt und nur noch 505 Hektar groß wäre.
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Weil auch dies einigen Gegner nicht akzeptabel erscheint, macht die Ministerin eines unmissverständlich klar: „Ich werde nicht auf eine Vollziehung der Zaunlösung bestehen. Wenn es nicht zu einer Zaunlösung kommt, müssen wir alles so lassen, wie es ist und die Gerichte entscheiden.“
Dies rief den Präsidenten des NRW-Waldbauernverbandes Philipp Freiherr Heereman auf den Plan. „Ich bin gekommen, um etwas heile zu machen.“ Heereman outet sich zunächst einmal, dass er vor ein paar Jahren noch ein großer Fan des Projektes gewesen sei. „Das alles hat mit total fasziniert.“ Inzwischen habe er sich aber zu einem Gegner entwickelt, weil keine der Zusagen über die Wisente eingehalten worden sei. Sie hätten das Projektgebiet verlassen und große Schäden angerichtet. Auch sei Inzucht eine Gefahr, wiederholte Heereman wesentliche Kritikpunkte. Seine größte Sorge ist aber, dass sich die Gegner nicht auf einen Kompromiss mit dem Gatter einlassen und es dann beim Status Quo bleibe und Gerichte entscheiden müssten: „Wenn der Artenschutz einmal über das Eigentum gestellt wird, haben wir alle verloren“, sagt Heereman.
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Auch der Trägerverein des Wisentprojektes ist an diesem Abend vertreten. Der 2. Vorsitzende Klaus Brenner, Pressesprecher Dr. Michael Emmrich und die wissenschaftliche Koordinatorin Kaja Heising, stehen für Fragen zur Verfügung. Vorher aber macht Emmrich deutlich, dass auch der Trägerverein nicht von einem Gatter begeistert ist, sondern immer für eine freilebende Herde gearbeitet habe. Vor diesem Hintergrund müsse auch keiner Angst haben, dass die Zaunlösung über die Phase des Gutachtens, also drei bis fünf Jahre hinaus bestehen bleibe. Entweder die Tiere können nachher frei leben oder das Projekt sei beendet.
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Ähnlich formulierte es auch die Ministerin: „Wir entscheiden hier nur über Zaun ja oder nein. Es ist ein etabliertes Artzenschutzproblem, dass man nicht einfach abbrechen kann.“ In Richtung der Kritiker betonte sie aber erneut: „Wir nehmen das aber alles sehr ernst.“ Auch will sie in der nächsten Koordinierungsgruppensitzung über beide Gatterlösungen sprechen und hat auch Schmallenbergs Bürgermeister Bernhard Halbe dazu ausdrücklich eingeladen.