Siegen-Wittgenstein/Olpe. Jobs gibt es genug, sie werden aber immer komplexer. Damit die Wirtschaft leistungsfähig bleibt, brauchen die Firmen gut qualifiziertes Personal.

Noch nie in den vergangenen 15 Jahren gab es so viel Arbeit. Mehr als 180.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte zählt die Agentur für Arbeit Siegen seit 2022 in den Kreisen Siegen-Wittgenstein und Olpe – selbst auf dem Konjunktur-Hoch 2018/19 waren es weniger. Nach einer Corona-Delle konnten auch Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine und die bis heute andauernden Folgen daran kaum etwas ändern. Gleichzeitig steigt die Arbeitslosigkeit, wenn auch nur leicht. Es verschiebt sich etwas am Arbeitsmarkt, Wirtschafts- und Arbeitswelt stecken mitten in einem umfassenden Wandel, sagt Stephanie Krömer, Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Siegen: „Wir sind eine Fachkräfteregion.“ Und das wird mehr werden. Erheblich mehr.

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Die Agentur und die Jobcenter der beiden Kreise reagieren darauf, indem sie Qualifizierung künftig weiter ins Zentrum ihrer Bemühungen stellen. Es gibt zwar Arbeitslose, aber die erfüllen nicht „mal eben“ die Anforderungen der freien Stellen. Knapp die Hälfte von ihnen hat keine abgeschlossene Ausbildung. Oder ist nicht mobil genug, oder es gibt familiäre oder gesundheitliche Probleme – pauschal lasse sich das nicht sagen. Hier können Agentur und Jobcenter individuell begleiten, so Krömer: Un- und Angelernte weiterbilden, Geflüchtete arbeitsfähig und Jobs für Alleinerziehende alltagstauglich machen, Fachkräfte aus dem Ausland anwerben und ihnen beratend zur Seite stehen.

Hohe Beschäftigung: Rückgrat der starken Wirtschaft in Siegen-Wittgenstein und Olpe

Wie auch den Unternehmen, die man bei der Transformation begleiten wolle, etwa hinsichtlich Homeoffice oder flexibler Arbeitszeitmodelle. Denn die hohe Beschäftigung sei das Rückgrat der stark industriell-technisch geprägten heimischen Wirtschaft. Das hohe Niveau zeige die Robustheit des Standorts, trotz aller Widrigkeiten. Das gelte es zu halten, damit die Wirtschaftsregion im Süden Südwestfalens so stark bleiben kann. Dafür braucht es Personal und das sei grundsätzlich da.

Wer gut und zeitgemäß ausgebildet ist, müsse sich kaum Sorgen machen, dauerhaft arbeitslos zu sein, stellt Krömer klar. Mehr als drei Viertel der Arbeitsstellen werden für Fachkräfte und Höherqualifizierte ausgeschrieben. Anders sehe das im „Helferbereich“ aus, also den Menschen ohne Berufsabschluss, die Arbeit verrichten, die leichter „substituierbar“ ist, also durch Maschinen und Technik ersetzt werden kann. Gleichzeitig werde die Arbeit nicht weniger, aber immer komplexer – also braucht es Qualifikation. Menschen müssten gezielt in die Lage versetzt werden, diese Arbeit erledigen zu können. Zuverlässige Helfer in ihrem Betrieb fortbilden; wo sie Abläufe und Strukturen kennen, „nicht ins Blaue hinein“, sagt Krömer.

Die Agentur übernimmt dafür durchaus auch die Kosten für die Unternehmen. „Wir können sie damit nicht alleinlassen“, sagt sie – dafür sei der „Bruch“, der Wandel des Arbeitsmarkts zu tiefgreifend. Die Erfolgsquote könne sich bereits sehen lassen: Rund 70 Prozent der Menschen, die an solchen Maßnahmen teilnehmen, nähmen innerhalb von sechs Monaten die angestrebte Tätigkeit auf.

Arbeitsagentur Siegen und die Jobcenter wollen Vermittlungs- und Arbeitsmarkt-Turbo zünden

„Vermittlungs- und Arbeitsmarkt-Turbo“ nennt diese Maßnahmen-Bündel Hans-Georg Völmicke, Geschäftsführer des Olper Jobcenters. Auch und gerade bei Geflüchteten. Bei den Menschen aus der Ukraine etwa, die seit einem Rechtskreiswechsel in die Zuständigkeit der Jobcenter fallen, gehe es nach der Sicherung des Lebensunterhalts und dem Spracherwerb nun zunehmend darum, sie gezielt in Arbeit zu bringen, in „engmaschiger Betreuung“. Das werde ein Schwerpunktthema für 2024.

Ankommen ist erst erfolgreich, wenn man auch beruflich Fuß fasst.
Stephanie Krömer - Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Siegen

Daneben gelte es, die anderen Kunden nicht aus dem Blick zu verlieren. Alleinerziehende zum Beispiel, wo die schlechte Verkehrsanbindung zwischen Wohn- und potenziellem Arbeitsort oft dem neuen Job im Wege stehe. Wenn die Betreuungsfrage nicht geklärt sei und ein Elternteil sich alle paar Stunden wieder ums Kind kümmern müsse – keine guten Voraussetzungen für eine neue Stelle. Das betreffe auch die Ukrainerinnen, denn der größte Anteil seien Frauen mit Kindern, ergänzt Marcus van Overloop vom Siegen-Wittgensteiner Jobcenter – hier werde man zunehmend auch auf die Arbeitgeber zukommen, sie sensibilisieren für das Potenzial dieser Arbeitskräfte und am besten im Job qualifizieren. „Ankommen ist erst erfolgreich, wenn man auch beruflich Fuß fasst“, betont Stephanie Krömer.

Immer mehr Ausländer und Geflüchtete in Siegen-Wittgenstein und Olpe in Arbeit

Denn nach wie vor ist der Mangel an Fachkräften, Spezialisten und Experten riesig. Ohne geeignetes Personal aus dem Ausland werde es allein schon aus demografischen Gründen perspektivisch nicht gelingen, den Bedarf in der Region sicherzustellen. Und auch sie gelte es, individuell und kleinteilig zu begleiten. Besonders drängt es demnach in Branchen wie der IT oder der Pflege. Das hätten die Unternehmen auch erkannt und würden ihre Leute zunehmend als wertvolle Ressource begreifen, an ihnen festhalten, „selbst wenn‘s wackelt“. Auch daher rühre das Allzeithoch bei der Beschäftigung in den beiden Kreisen.

Die Beschäftigung von Ausländern und Geflüchteten habe dabei mit einem Plus von 7,5 Prozent bereits deutlich zugenommen, so Stephanie Krömer: Innerhalb eines Jahres seien 300 Ukrainer in den Arbeitsmarkt integriert worden - 200 in Siegen-Wittgenstein, 100 in Olpe. 1094 waren im Jahresschnitt Arbeitslose. Und auch unter Staatsangehörigen der stärksten Asylherkunftsländern (Afghanistan, Eritra, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia, Syrien) haben den Zahlen der Agentur zufolge 2009 seit 2015 eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gefunden. 2023 waren 2273 in Arbeit, 1371 waren arbeitslos gemeldet.

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Der Wandel zeige sich auch in den Branchen. Nach wie vor arbeiten mit Abstand die meisten Menschen in der Herstellung von Metallerzeugnissen: 21.975 Beschäftigte, hier wird auch mit 526 der größte Stellenzuwachs seit 2022 verzeichnet, vor Großhandel, Sozialwesen, Hi-Tech-Industrie (inklusive IT) und Gastronomie. Die höchsten Rückgänge hingegen stellt die Arbeitsagentur in der Metallerzeugung (-3,6 Prozent), Personalvermittlung (-4,5 %) und Automotive (-9 %) fest.

Hintergrund: Zahlen für Siegen-Wittgenstein und Olpe 2023

48,9 Prozent aller Arbeitslosen – 5759 Personen – sind „Helfer“, also ohne Berufsabschluss (plus 7,4 %). 27,2 Prozent Fachkräfte mit Ausbildung (+7,9 %), 4,6 Prozent „Spezialisten“ (+13,8%), 4,4 „Experten“ (+15,5). 61,9 Prozent der Stellen werden für Fachkräfte ausgeschrieben (minus 5,9), 21,6 für Helfer (-22,1), 10,3 für Spezialisten (+7,2), 6,2 für Experten (-5,8).

61,7 Prozent aller Arbeitslosen sind Deutsche (7266 Personen, plus 3,9 Prozent), 38,3 Prozent Ausländer (4505, +26,4 %).

Im Jahresdurchschnitt liegt die Arbeitslosenquote mit 5,0 Prozent deutlich unter NRW-Schnitt (7,2), verzeichnet aber auch einen hohen Anstieg (+11,5 %). NRW-weit betrug der 6,2 %.

Der Stellenbestand sinkt leicht von 4700 auf 4284. Im Konjunktur-Hoch vor Corona waren 4412 freie Stellen gemeldet, in der Pandemie lag der Tiefststand bei 2292.

Mit 0,7 Prozent Beschäftigungs-Plus liegt die Arbeitsagentur Siegen über Südwestfalen (+0,3 %) und unter NRW-Schnitt (+0,9 %). 121.180 oder 66,9 Prozent aller Beschäftigten haben einen Berufsabschluss, 22.653 oder 12,5 Prozent einen akademischen. 25.656 haben keinen Abschluss.