Siegen. Kerstin Graba ist Fallmanagerin im Siegener Jobcenter. Sie hat Biologie studiert, ist komplette Quereinsteigerin. Und räumt mit Klischees auf.
Der klassische Weg wäre gewesen, bei der Bundesagentur für Arbeit zu studieren. Oder einen sozialen Beruf. „Den gehen aber längst nicht alle“, weiß Kerstin Graba. Sie auch nicht. „Ich bin eine komplette Quereinsteigerin“, sagt die Fallmanagerin beim Siegener Jobcenter. Sie studierte – Biologie, in Bonn. „Super, super schwer, damit einen Job zu finden“, sagt sie und grinst. Natürlich kennt sie das Taxifahren-Klischee, das es zum Beispiel auch für Germanisten gibt. Sie landete bei der Arbeitsagentur: Lustigerweise erstmal als Kundin. „Das hilft, die andere Seite zu kennen“, sagt sie nun, da es ihre Aufgabe ist, Menschen zu Arbeit zu verhelfen. Und in vielen anderen Dingen. Eine Aufgabe, die mit vielen Klischees beladen ist. Von denen die wenigsten stimmen, sagt sie.
Der Werdegang: Mit Biologie-Studium kann die Jobsuche schwierig sein
Kerstin Graba ist Siegenerin, nach dem Studium fand sie keinen Job in ihrem Fach, kam der Liebe wegen zurück, arbeitete zunächst in der Tierheim-Verwaltung. Sie hat Biologie studiert, aber für Tierpflege hilft das nicht. Das zu großen Teilen spendenfinanzierte Tierheim konnte ihren Vertrag nicht verlängern. Sie versuchte es in der Gastronomie. War auch nicht das Richtige. Bei der Agentur war eine Stelle ausgeschrieben. Sie versuchte ihr Glück. Eher einfach so. „Irgendwie wäre ich nie auf die Idee gekommen. Als Arbeitgeberin war die Agentur überhaupt nicht präsent.“
Bandbreite: Junge Menschen in die Ausbildung begleiten, Geflüchtete in die Gesellschaft
Der Job war es dann. „Ich habe gemerkt, das könnte mir Spaß machen“, erinnert sich Kerstin Graba an ihre Anfänge. Bestätigte sich: „Ich bin sehr sehr glücklich damit!“ Sie persönlich könne diesen Beruf nur weiterempfehlen. Abgeschlossenes Studium reicht, Fach egal. „Wir haben auch einen Physiker hier. Und eine Floristin.“ Ideal für Quer- und Berufseinsteiger. Gute Einarbeitung, Schulungen, Supervision, Gleitzeit, „kollegiale Fachberatung“. Haufenweise Spezialisierungsmöglichkeiten: Junge Menschen, ältere, Geflüchtete.
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Bei „U 25“ zum Beispiel steht das Thema Ausbildung ganz oben. Eltern, die Bürgergeld beziehen: Da ist das Jobcenter auch für die Kinder zuständig: auf dem schulischen Weg begleiten und auch in den Beruf. Sie helfen bei Bewerbungen, sorgen für Förderung, Nachhilfe, bis zur Gesellenprüfung. Die Arbeit, sagt Kerstin Graba, hat immer auch eine sozialpädagogische Komponente. Sie selbst begann mit den älteren, „Ü 25“, wechselte dann in den „Integration Point“, zuständig für Geflüchtete. „Eine sehr interessante Gruppe, die zwangsläufig bei uns landet.“ Da geht es viel um Anerkennung von Abschlüssen, Sprachkurse, den Weg in die Gesellschaft finden. Und um Vertrauen: Mit Behörden haben viele in ihren Heimatländern sehr schlechte Erfahrungen gemacht – Korruption, Gewalt.
Herausforderungen: Schlimme Geschichten nicht mit nach Hause nehmen
Seit Anfang 2023 ist Kerstin Graba im Team Fallmanagement, betreut 75 Menschen, die relativ weit weg sind vom Arbeitsmarkt. Die harten Fälle, sozusagen. Problematische Familie, Sucht, psychische Erkrankungen, drohende Wohnungslosigkeit – Jobsuche steht hier nicht an erster Stelle. Sondern die Abwärtsspirale aufhalten, Tagesstruktur schaffen, wieder in die Bahn kommen, den Alltag geregelt kriegen. Sie bekomme auch schlimme Geschichten zu hören, sagt die Fallmanagerin, „man muss einen Weg finden, das nicht mit nach Hause zu nehmen“. Auch wenn man ein Stück weit ein Helfersyndrom habe. Da werde aber niemand alleingelassen.
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Die Arbeit ist abwechslungsreich, das mag Kerstin Graba. Schier unendlich viele Gesetze müssen berücksichtigt werden, aber vor allem hat sie mit vielen sehr verschiedenen Menschen zu tun. Ihnen wolle sie gerecht werden, in ihrer jeweiligen Situation. „Wir sitzen nicht hier und haken Listen ab. Wir gucken, wo Probleme und Stärken liegen. Darauf können wir aufbauen.“ Jeder habe seine Geschichte, sein Päckchen zu tragen, „es gibt Gründe, warum Menschen sind, wie sie sind.“ Sie müsse das nicht immer alles gut finden, aber akzeptieren.
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Das Jobcenter steht in der Öffentlichkeit oft da als „Strafbehörde“. Kerstin Graba ärgert das. Genauso, dass Kunden oft als faule Arbeitslose dargestellt werden, auf der Suche nach Ausreden, nicht arbeiten zu müssen: „Das entspricht nicht der Realität“. Sanktioniert – also Geld nicht ausgezahlt – werde sehr selten, definitiv nicht ständig und bei jeder Kleinigkeit. „Macht auch keiner gerne.“ Diese Erzählungen findet sie unfair, das treibe unnötig einen Keil in die Gesellschaft. „Es ist immens wichtig, andere Lebenswelten zu akzeptieren. Ich versuche, nicht mit meinem Maß zu messen.“
Motivation: „Menschen haben an sich einen Wert. Nicht nur, wenn sie arbeiten gehen“
Sie tut etwas Sinnvolles, findet Kerstin Graba. Bei ihrer Arbeit gehe es nicht nur um Geld, sondern um Menschen. Man sehe den Erfolg, auch und gerade wenn es schwierig war. Da ist eine Person wieder in der Spur. „Wenn ich da einen kleinen Teil zu beitragen konnte, ist das ein großer Erfolg.“ Ihre Kunden würden sich oft nicht als nützliches Mitglied der Gesellschaft fühlen. Das versuche sie zu ändern: „Menschen haben an sich einen Wert. Nicht nur, wenn sie arbeiten gehen.“ Sie sind etwas wert, sie können etwas, vielleicht müssen sie lange danach suchen. Immer wieder Rat und Hilfe anbieten. Bis die Kunden im Idealfall nicht mehr wiederkommen, weil sie das gefunden haben, was sie schon immer machen wollten. „Ein schönes Gefühl.“
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Hat ja bei ihr auch geklappt, auf Umwegen. „Ich bin sehr glücklich, dass ich hier gelandet bin. Und kann mir nicht vorstellen, noch mal was anderes zu machen.“