Deuz. Menschen mit Behinderung hatten auch nach dem Krieg keine Lobby. Im Siegerland änderte sich das 1963. Die AWO feiert nun „60 Jahre Teilhabe“.
Grund zu feiern hatte nun der AWO-Kreisverband Siegen-Wittgenstein/Olpe. In der AWO-Werkstatt in Netphen-Deuz lautete das Motto „60 Jahre – Teilhabe vor Ort“. Die Veranstaltung bot den Gästen die Möglichkeit, einen Überblick über die Entwicklung in der Region zu gewinnen. Mit dabei waren auch zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter aus der Politik.
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Karl-Ludwig Völkel, Vorsitzender des AWO-Kreisverbands, blickte in seinen Ausführungen aber nicht nur auf die lokale Teilhabe-Historie zurück, sondern beleuchtete auch kurz die Geschichte der AWO in Deutschland, gegründet 1919 von Marie Juchacz. Damals sei Vieles anders gewesen – beispielsweise gab es kein Hauptamt, so dass Ehrenamtliche wirklich sämtliche Aufgaben übernehmen mussten. In den Anfängen gab es so unter anderem ehrenamtlich betriebene Kleider- und Nähstuben. 1933 wurde die AWO von den Nationalsozialisten verboten und 1946 in Deutschland wieder aufgebaut.
Siegen: Bürgermeister Hans Reinhardt setzte sich früh für Teilhabe ein
Eine Ausstellung als Teil der Veranstaltung zeichnete die vergangenen 60 Jahre nach und präsentierte die besonderen Entwicklungen der Teilhabe aus verschiedenen Entstehungsphasen sowie Bereichen des AWO-Kreisverbands. Die systematische Ermordung von Menschen mit Behinderungen während des Naziregimes hatte über dessen Bestehen hinaus Folgen. So rückte die Situation von Menschen mit Behinderung damals nur langsam ins öffentliche Interesse. Die Betroffenen waren unterversorgt, da es zu diesem Zeitpunkt noch keine Institutionen gab, die sich professionell für ihre Bedürfnisse einsetzten. „Die Fürsorge für die Menschen fand hauptsächlich in Vereinsstrukturen und über die Fürsorge der Eltern, besonders der Frauen statt“, sagte Karl-Ludwig Völkel.
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In Siegen sei die Not erkannt worden. Hans Reinhardt, Siegens damaliger Bürgermeister, hatte die Initiative ergriffen, die Arbeit der Eingliederungshilfe im Landtag Nordrhein-Westfalen durchzusetzen. Es waren Frauen, die 1963 als erste die Arbeit in der Tagesbildungsstätte im Jugendheim am Oberen Schloss in die Hand nahmen. 18 geistig-behinderte Kinder fanden dort einen Platz. „Seither liegt der Fokus auf dem Aspekt: Weg vom Fürsorgesystem hin zu einem selbstbestimmten Leben für alle Menschen“, betonte der Kreisvorsitzende.
Siegen: AWO-Kreisverband hat heute mehr als 1500 hauptamtliche Mitarbeiter
Hans Reinhardt habe es geschafft, Menschen zu begeistern, hauptamtlich und ehrenamtlich bei der AWO mitzuarbeiten. Heute habe der Kreisverband viel erreicht und sei über die Jahre hinweg stetig gewachsen. Zusätzlich zu Kinder-, Familien- und Jugendförderung, schulischer Förderung und sozialer sowie beruflicher Teilhabe gibt es viele weitere Bereiche und Einrichtungen. Rund 1.500 hauptamtlich Mitarbeitende und sehr viele Ehrenamtliche sind dort heute tätig. Der AWO-Kreisverband bezieht aber auch immer wieder – etwa mittels Öffentlichkeitsarbeit oder Beteiligung an Demonstrationen – Position gegen Sozialabbau. „Wir setzen uns ein als Anwältin für Menschen, die Unterstützung benötigen, ein“, betont Karl-Ludwig Völkel.
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Die Ausstellung mit sogenannten Roll-Ups machte die Geschichte auch anhand von Interviews mit Zeitzeuginnen und -zeugen wie Werner Unverzagt, Gerd Debus und Marlies Gabriel greifbar. Außerdem gab es eine von Matthias Hess moderierte Gesprächsrunde mit Jens Hunecke, Geschäftsführer des AWO-Kreisverbands, Andrea Metternich, Frauenbeauftragte der Siegener Werkstätten und Vorstandsmitglied im Bundesnetzwerk, sowie Klaus Droste, Fördervereinsvorsitzender.
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