Siegen. „Bloß nichts falsch machen“ - das wollen viele Eltern. Sie sind unsicherer als in früheren Generationen. Was ihnen helfen kann:
Mutter oder Vater zu sein, ist wohl mit eine der größten Herausforderungen im Leben. Niemand will Fehler machen, gleichzeitig sind sie aber so unvermeidbar. „Früher haben sich Eltern stärker auf ihre Intuition verlassen“, berichtet Christin Henrich. Sie ist Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin in der Siegener DRK-Kinderklinik und beobachtet, dass viele Mütter und Väter unsicher geworden sind, deutlich unsicherer im Vergleich zu früheren Generationen. Regelmäßig spricht sie mit ihnen über ihre Ängste, ihre Gefühle und die Möglichkeiten, wie Negatives in Positives umgewandelt werden kann.
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„Kinder, die Ängste entwickeln, haben oft ängstliche Eltern“, erklärt die Verhaltenstherapeutin. Doch auch das soziale Umfeld, biologische Faktoren und die Persönlichkeit des Kindes würden das Ganze beeinflussen. Hinzu kämen Phasen des Lebens, in denen Kinder und Eltern natürlicherweise mehr Ängste hätten. Die Pubertät bringe zum Beispiel viele Herausforderungen mit sich. „Da gibt es häufig die Angst, die Lebenswelt des Kindes nicht mehr zu kennen.“ Gleichzeitig sei das aber auch eine wichtige Entwicklungsphase für das Kind. Christin Henrich rät Eltern, vorsichtig mit eigenen Bedenken, Befürchtungen und Gefühlen gegenüber Kindern umzugehen. Denn auch dadurch können sich Probleme ergeben: Sagen Mütter und Väter zum Beispiel immer wieder zu ihren Söhnen oder Töchtern, wie sehr sie sie vermissen, wenn sie nicht da sind, kann es sein, „dass die Kinder Angst haben, dass ihre Eltern ohne sie einsam sind“. Auch so können Trennungsängste entstehen. Christin Henrich rät: „Das Kind sollte es so früh wie möglich üben, etwas allein zu machen. Wenn man die Vermeidung unterstützt, wird die Angst bleiben.“
Siegen: Ängste sind für Eltern nicht unnormal. Doch sie müssen beherrschbar bleiben
Generell sei es aber etwas ganz Natürliches, sich Sorgen um den Nachwuchs zu machen. „Die Angst beginnt mit der Geburt. Eigentlich macht man sich ab dem Zeitpunkt der Schwangerschaft schon Sorgen ums Kind“, erklärt die 46-jährige Psychologin. Als Mutter oder Vater sollte man immer wieder überprüfen: „Gibt es Ängste, die ich auf das Kind übertrage, weil ich mir zu viele Sorgen mache?“ Wenn das der Fall ist, ist es ratsam, sich Hilfe zu suchen.
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Angst könne auch aus einer Überforderung heraus entstehen. Christin Henrich, die schon rund 20 Jahre im kinder- und jugendpsychiatrischen Bereich arbeitet, erklärt sich die verstärkte Unsicherheit der heutigen Eltern vor allem mit den scheinbar grenzenlosen Möglichkeiten der Informationsbeschaffung. Da gibt es Tipps in Ratgebern, auf Social Media, im Netz, in der Schule, von anderen Eltern, von Experten und vermeintlichen Experten, usw. Zudem gäbe es in der heutigen Zeit ganz viele unterschiedliche Erziehungsstile. „Je mehr man sich informiert, umso unsicherer kann man werden.“
Siegen: Ängste hatten Eltern schon immer – doch die Themen verändern sich mit der Zeit
Wegen der verstärkten Unsicherheit hätten sich mitunter auch die Themen bei der Beratung von Kindern und Eltern verschoben. Früher sei es zum Beispiel mehr um die Angst vor Alkohol- und Drogenkonsum gegangen, heute gehe es häufiger um das Essverhalten oder den Umgang mit Medien. Zum Teil würden in der kinder- und jugendpsychiatrischen Ambulanz in Siegen von Eltern mehr Erziehungstipps nachgefragt, als dass eine tatsächliche Beratung nötig wäre. „Man sollte sich mehr auf die Intuition und die Beziehung mit dem Kind verlassen“, betont Christin Henrich. Es sei in der Regel nicht schlimm, wenn etwas schief gehe. „Man sollte gucken: Wie kann ich das Selbstbewusstsein und die Autonomie meines Kindes stärken?“
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Zudem sollten sich Eltern regelmäßig über ihre Ängste austauschen. Dadurch können sich Lösungen ergeben: „Wenn eine Mutter sich zum Beispiel zu viele Sorgen macht, wenn ihr Sohn Handball spielt, könnte der Vater zum Spiel mitgehen“, sagt die Verhaltenstherapeutin. Gleichzeitig könne auch geübt werden, negative in positive Gedanken umzuwandeln. Passiert beim Handballspiel z. B. immer und immer wieder nichts Schlimmes, könnte das die Bedenken der Mutter nach und nach auflösen. Christin Henrichs Appell: „Man sollte den Kindern nicht zu viele Sorgen mit auf den Weg geben.“
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