Siegen-Wittgenstein. Im Siegener Kreistag wird Kritik laut: Teure Nachtbusse fahren nur warme Luft durch die Gegend? Dem Landrat fallen da auch andere Beispiele ein.

Der Nachtbus rollt weiter, zumindest bis 2025. Gegen die Stimmen von SWM und AfD hat das der Kreistag beschlossen – und zugleich einen Vorgeschmack auf die anstehenden Debatten rund um den Nahverkehr der Jahre nach 2028 bekommen: Wie viel wird es dann wo geben? Fahren die Busse mit Elektrobatterien oder mit Wasserstoff-Brennstoffzellen, um – wie von der EU vorgegeben – bis 2035 emissionsfrei zu sein? Fahren sie außerhalb des Kernraums Siegen-Kreuztal nur auf Anforderung („on demand“) oder gleich ganz ohne Fahrpersonal („autonom“)?

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Gegenwart: Nachtbus ab Siegen fährt auch 2025, neue Linie N9 in den Süden kommt

Wenn der Kreis die Option zur Verlängerung des Nachtbusvertrags nicht zieht, muss zum 1. Januar 2025 eine neue Lösung her. „Bis dahin schaffen wir das nicht mehr“, sagt Landrat Andreas Müller zu Vorschlägen, ein neues Nachtbus-System schon einmal auszuprobieren. 2026 und 2027 wäre die Zeit für Versuch, bevor 2028 der neue Nahverkehrsplan in Kraft tritt. „Dass ein Jugendlicher nachts auf dem Heimweg zu Schaden kommt, weil wir keinen Beschluss gefasst haben“, so Hans Günter Bertelmann (UWG), das dürfe nicht passieren. Und so bleibt es auch 2025 bei den sechs bisherigen Nachtbuslinien, die drei Mal in den Nächten auf Freitag und Samstag im Siegerland ihre Runden drehen, zuzüglich einer neuen N 9 nach Burbach und Neunkirchen. Der Kreis rechnet mit jährlichen Ausgaben von bis zu 335.000 Euro. „Man muss mal überlegen, wie viele Taxis man dafür durch die Gegend schicken kann“, wendet Ingo Janson (SWM) ein. Er kritisiert den Zeitdruck der Entscheidung über den Vertrag, die bis Monatsende fallen muss. „Es gab viel Zeit, sich mehr Gedanken über Alternativen zu machen.“

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In den Nachtbussen werde „viel warme Luft durch die Gegend gefahren“, stellt Hermann-Josef Droege (CDU) fest. Ein „richtiger Bus“ lohne sich allenfalls zwischen Siegen und Kreuztal. Für die anderen Linien mit drei bis vier Fahrgästen pro Tour würden kleinere Fahrzeuge reichen, vielleicht auch nur auf zwei statt drei Touren pro Nacht. Das könne der neue Nahverkehrsplan regeln, erwidert Landrat Andreas Müller. Insgesamt 7000 Fahrgäste pro Jahr seien „gar nicht so schlecht“. Was schwache Fahrgastauslastung angehe, „fallen mir auch ein paar andere Linien ein.“

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Die Kreistagsmitglieder haben Ideen: Man könne doch die Verkehrsbetriebe auffordern, ein Konzept zu erarbeiten, regt Andreas Klein (WB*) an – das Unternehmen fährt auf Bestellung des Kreises. Zwischen Siegen und Kreuztal brauche man überhaupt keinen Bus, meint Bernd Ferger (CDU), da könne die Bahn fahren – die dann allerdings auch der Kreis oder sein Zweckverband ZWS bestellen und bezahlen muss. Landrat Andreas Müller hat auch zu Bernd Fergers Vorschlag, Kleinbusse anzuschaffen, einen Einwand: Die stünden tagsüber herum wie nachts die großen Busse, billiger werde das nicht. Julian Maletz (SPD) warnt: „Wirtschaftliche Gesichtspunkte dürfen nicht im Vordergrund stehen.“

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Es wird grundsätzlicher. Sandra Peiser (SPD) fordert einen richtigen Nachtbus für Wittgenstein. Die mangels Nachfrage eingestellte Verbindung sei eher ein „Abendbus“ gewesen, mit Abfahrt um 23.10 Uhr ab Siegen ZOB. „Völligen Quatsch“ nennt André Jung (CDU) die Debatte um eine Ausweitung des Nachtbusangebotes: „Als ob man den Menschen den ÖPNV aufzwingen möchte.“ Das knappe Fahrpersonal werde tagsüber gebraucht. Lena Schmidt (Grüne) findet, die Gastronomie in den Innenstädten könne profitieren: „Wenn man nachts ein bisschen länger in der Kneipe bleiben kann.“ Die Kritik von André Jung, leere Dieselbusse durch die Nacht zu schicken („Da hat die Ökologie dann keinen Raum“) weist Lena Schmidt zurück: „Wir sind technologieoffen.“ Was Gelächter bei der FDP auslöst. Die hatte durchgesetzt, dass die eigentlich vorgeschlagene Festlegung auf Elektrobusse nicht erfolgte.

Zukunft: Emissionsfreier Verkehr in Siegen-Wittgenstein – aber wie?

Tatsächlich werde es nun Sache der Verkehrsunternehmen sein, welchen emissionsfreien Busverkehr sie ab 2028 anbieten, erinnert Landrat Andreas Müller. Der Kreis werde im neuen Nahverkehrsplan nur vorgeben, welchen Fahrplan und welche Linien er erwartet. „Man muss völlig neu denken“, sagt auch Hermann Josef Droege (CDU), der auf Veränderungen bei Einführung von Elektrobussen hinweist: Die dürfen nämlich aus Brandschutzgründen nicht auf dem Busbereitstellungsplatz unter der HTS am Siegener Bahnhof geladen werden.

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Droege wirbt für den CDU-Antrag einer ÖPNV-Konferenz mit allen Akteuren und Interessierten. „Wirklichkeit trifft auf Politik“ könne der Leitgedanke sein. Das Nahverkehrsthema sei „bisher in der Region nicht angekommen.“ Sinn mache eine solche Konferenz aber erst, wenn zumindest ein Entwurf des neuen Nahverkehrsplans vorliege, wendet Landrat Andreas Müller ein. „Umgekehrt wird ein Schuh draus“, widerspricht der CDU-Fraktionschef. Man verständigt sich, bei einer Gegenstimme der AfD, auf das erste Vierteljahr 2024.

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Vergangenheit: Reaktivierung Raumland-Battenberg

Eher einen Schritt zurück in die Vergangenheit führt der Antrag der SPD-Fraktion, eine Reaktivierung der Bahnstrecke Bad Berleburg-Raumland-Battenberg untersuchen zu lassen. Es sei jetzt „an der Zeit dafür“, sagt Marco Schmidt (SPD), der Kreis könne „die Verkehrswende gestalten“. Bernd Ferger (CDU) rät, damit den Nahverkehr Westfalen-Lippe (NWL) zu befassen – was der Kreistag später auch gegen die Stimmen von SWM, FDP und AfD beschließt. „Wir sollten das gemeinsam nach Unna tragen“, empfiehlt Ferger: „Es gäbe ja auch noch andere Stecken.“ 1998 sei die Johannlandbahn Siegen-Deuz „gekillt“ worden, 1996 der Bahnhof Siegen-Ost stillgelegt – inzwischen wird dort ein Standort gesucht, um den Haltepunkt wieder neu einzurichten.

„Wir müssen Angebote schaffen und keine Zwangsmaßnahmen“, sagt Andreas Klein (WB*), im ländlichen Raum wird die Mobilitätswende nicht machbar sein.“ Er regt an, wenn überhaupt, dann alle stillgelegten Strecken zu untersuchen. Der Verbindung Raumland-Battenberg sei es nicht anders gegangen als der Johannlandbahn, berichtet Horst-Günter Linde (UWG). Die Brücken seien weg, ein Teil der Grundstücke überbaut. „Ich habe die Strecke vor 40 Jahren selbst mit abgebaut, da ist jetzt ein Radweg drauf.“ Die 36 Kilometer, von denen 40 Prozent in NRW liegen, müssten neu gebaut werden. Nur zwischen Battenberg und Frankenberg würden „auf ein paar Kilometern“ Holztransporte gefahren. Karl-Ludwig Völkel (SPD) sieht das zuversichtlicher: In Hessen würden Bahnstrecken reaktiviert, am Ende könne eine Verbindung von Bad Berleburg bis Kassel entstehen.

* Die Liberal-Konservativen Reformer (LKR), nach Abspaltungen von FDP und AfD im Siegener Kreistag mit zwei Mitgliedern vertreten, haben ihren Namen geändert. Sie heißen jetzt „Wir Bürger“, in dieser Zeitung „WB“ abgekürzt. Der Wilnsdorfer Andreas Klein ist neuer stellvertretender Generalsekretär der Bundespartei.

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