Siegen. Das letzte Kaufhaus Siegens ist Geschichte, Karstadt ist zu. Am letzten Tag lobt der Chef vor allem sein tolles Team: „Größter Respekt!“

Der Karstadt-Schriftzug über dem Eingang Dicker Turm ist schon seit Tagen abmontiert. Hinter den Schwingtüren die weiter abschmelzenden Reste des Sortiments. Wo es einst alles zu kaufen gab, von der Playmobil-Ritterburg über Schnellkochtöpfe bis zu Seidenschals haben die Beschäftigten die kümmerlichen Reste in der untersten Etage versammelt. Schnürsenkel und Staubsaugerbeutel, Hosen und Slips und Zubehör. Kleiderständer gibt’s für 15 Euro das Stück. Bizarrerweise wirkt das Kaufhaus kleiner, wenn alles leer ist.

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Der letzte Tag des letzten Siegener Kaufhauses.

Die Uhr läuft rückwärts an der Siegener Karstadt-Filiale: Offiziell ist am Samstag, 17. Juni, Schluss.
Die Uhr läuft rückwärts an der Siegener Karstadt-Filiale: Offiziell ist am Samstag, 17. Juni, Schluss. © Hendrik Schulz

90 Prozent Rabatt gibt es am Freitag, auf alles, weil alles rausmuss. Während die Kunden in den spärlichen Resten stöbern, räumen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schon auf. Gut 50 sind sie noch und sie sind ein Team. Nicht einfach so, sagen sie, sondern richtig. Seit Jahrzehnten arbeiten viele schon bei Karstadt in Siegen, sie haben einiges zusammen erlebt und jetzt erleben sie zusammen das Ende. Was Neues hätten sie noch nicht alle, sagt eine Frau. Es sei viel zu viel los gewesen in den letzten Wochen, sie könne sich auch gar nicht vorstellen, plötzlich am 1. Juli eine andere Arbeit zu haben. Einige sind in umliegenden Geschäften untergekommen, bei der Sparkasse, bei der Stadt, bei Ikea. Die anderen wechseln erstmal in die Transfergesellschaft.

Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Karstadt Siegen bleiben bis zum Schluss

Eigentlich hat die Frau heute frei, ist aber trotzdem gekommen. Krank gefeiert hat keiner in den vergangenen Wochen, das sei in anderen Filialen anders gewesen, erzählt. Fast hätte sie die 32 Jahre vollbekommen, wie ihr Kollege, seit der Ausbildung arbeitet sie an der Kölner Straße in Siegen. Im September wäre es so weit gewesen, nun bleibt es bei 31, und 9 Monaten. „Hut ab“, sagt Holger Bantes, der Filialgeschäftsführer, für dieses Team. Größten Respekt, wie positiv alle geblieben seien, wie belastbar, dass sie bis zuletzt durchgezogen haben. „Ich gehe durch den Laden und blicke in lachende Gesichter. Das ist eine Leistung.“ Sie alle hätten es verdient, nun erstmal zur Ruhe zu kommen.

Zuletzt wurde das verbliebene Sortiment bei Karstadt in einem Teil der untersten Etage abverkauft.
Zuletzt wurde das verbliebene Sortiment bei Karstadt in einem Teil der untersten Etage abverkauft. © Hendrik Schulz

Viele Kunden kommen und würden sich verabschieden, manche hätten sogar Karten geschrieben. Auch auf die Berichterstattung hin melden sich Siegenerinnen und Siegener. Tobias Müller fuhr in den späten 70ern mit seinem Opa Alfred in der Vorweihnachtszeit fast jedes Jahr mit dem Schienenbus von Niederschelden nach Siegen gefahren: Besuche auf dem Weihnachtsmarkt, „Mehr am Markt“ und die Spielwarenabteilungen von Kaufhof und Karstadt inklusive. „Dort durfte ich mir meist etwas aussuchen“, erinnert er sich – einmal einen kleinen Clown auf einem Holzbarren, den er heute noch hat. „Zurück bei Oma Adele in Gosenbach gab es Brote mit Streichkäse-Ecken. Hat sich sehr eingeprägt!“

Erinnerung an Karstadt: Diesen Clown an einem Barren durfte sich Tobias Müller als Kind bei einem seiner Besuche mit seinem Opa in Siegen aussuchen.
Erinnerung an Karstadt: Diesen Clown an einem Barren durfte sich Tobias Müller als Kind bei einem seiner Besuche mit seinem Opa in Siegen aussuchen. © Tobias Müller

Anja Papst erinnert sich an die Camping-Abteilung auf dem Dach: „Es wurde zusammengelegt und ein Zelt für die erste selbstständige Reise gekauft“, Steffi Spies hatte ihre erste Levis Jeans 501 von Karstadt. Sie liebte die Hose „und getragen, bis sie auseinander fiel“. Michael Nöh ist immer noch beeindruckt von Alex Leipold, „Top-Berater in der Bekleidungsabteilung“. Katrin Fey arbeitete Anfang der 90er in der Schreibwarenabteilung an der Kasse, ein Ferienjob. „Manchmal habe ich den Leuten gesagt, die Plastiktüten kosten jetzt 1 DM. War natürlich nur Spaß.“ Andrea Raum absolvierte bei Karstadt ihre praktische Prüfung zur Drogeriefachverkäuferin gemacht, Tim Fo sein erstes Praktikum, in der Herrenabteilung. So hat fast jede Siegenerin, jeder Siegener, Erinnerungen an Karstadt. Ans Softeis vorm Haupteingang, noch bei Neckermann (Dirk Schmidt) oder die Abkürzung durchs Gebäude (Nadine Schwarz).

Siegener Rat: „Projektstudie zur regionalen Nachnutzung des Karstadt-Gebäudes“

„Es schmerzt“, sagt der Mitarbeiter, der seit 32 Jahren dabei ist. Dann machen sie weiter, Regale zusammenschieben, Kunden beraten, Kasse. Noch ist was zu tun. Sie werden sich mit Plakaten in den Schaufenstern von den Kunden verabschieden, weiter auf- und ausräumen, bis das Gebäude wirklich leer am 30. Juni an die Eigentümer übergeben werden kann. Und vorher, da gibt es noch eine Abschiedsfeier.

Holger Bantes dankt der Stadt, den Mitbewerbern, den Kunden, „dass sie uns die Stange gehalten haben.“ Und besonders eben den Beschäftigten. Dem Siegener Rat wird am Mittwoch eine „Projektstudie zur regionalen Nachnutzung des Karstadt-Gebäudes“ vorgestellt werden.

Alle anderen Eingänge sind geschlossen – dahinter gibt es keine Waren mehr.
Alle anderen Eingänge sind geschlossen – dahinter gibt es keine Waren mehr. © Hendrik Schulz

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Die Rolltreppen im Siegener Karstadt stehen still, die allgegenwärtigen Aktionsschilder werden demontiert.
Die Rolltreppen im Siegener Karstadt stehen still, die allgegenwärtigen Aktionsschilder werden demontiert. © Hendrik Schulz

Samstag wird Karstadt in Siegen noch ein allerletztes Mal öffnen und dann mit diesem Namen in die Erinnerung eingehen. Nicht Galeria oder Kaufhof oder Karstadt oder wie auch immer. Zwei Stunden werden sie aufhaben. Alle werden noch einmal da sein und hoffen, dass noch etwas zu tun ist und sich nach diesen stürmischen Wochen noch einmal alle zusammensetzen. Im leeren Kaufhaus, am letzten Tag.

Das restliche Sortiment des Siegener Karstadt wird abverkauft.
Das restliche Sortiment des Siegener Karstadt wird abverkauft. © Hendrik Schulz