Siegen. Abschied nehmen von Karstadt, Siegens letztem Kaufhaus. Der Räumungsverkauf läuft. Vor dem Ende erinnern wir – und suchen schöne Erinnerungen.

Es ist derzeit – zumindest gefühlt – voller bei Karstadt als an vielen Tagen der vergangenen Jahre. Rabatte locken, immer größer werden die Flächen, auf denen es gar nichts mehr gibt, immer leerer die Regale. Manche scheinen auch nur noch einmal zu kommen, um Abschied zu nehmen. Von Siegens letztem Kaufhaus. Spätestens Mitte Juni macht Karstadt für immer zu. Weil Insolvenzverwalter und Gläubiger das so wollen.

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Neckermann/Karstadt: Siegen „in besonderem Maße Handels- und Einkaufsstadt“

Man kann sich den 13. Mai 1970 merken. An diesem Tag traten in Siegen zwei Bebauungspläne in Kraft. Der Bebauungsplan 60a Siegstraße – zu dem später. Und der Bebauungsplan Nr. 65 Kölner Straße – Unteres Schloss. Siegen, so heißt es in der knappen Begründung, sei „in besonderem Maße Handels- und Einkaufsstadt“. Fortschreitende wirtschaftliche und städtebauliche Entwicklung zwängen dazu, „die Bebauung und die Geschäftsflächen in zentraler Lage zu intensivieren“. Und weiter: „Im Bereich des Unteren Schlosses bietet sich noch die Möglichkeit, ein Kaufhaus zu errichten, das die wesentlich attraktiver gestalten wird.“

Das waren noch Zeiten: Wo heute – noch – Karstadt ist, eröffnete in den 1970er Jahren das Neckermann-Kaufhaus, an der Kölner Straße in Siegen.
Das waren noch Zeiten: Wo heute – noch – Karstadt ist, eröffnete in den 1970er Jahren das Neckermann-Kaufhaus, an der Kölner Straße in Siegen. © Neckermann

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Am 29. September 1969 war die Begründung für den Bebauungsplan unterschrieben worden, die gerade einmal drei maschinenbeschriebene Seiten umfasst – heute kann allein die Artenschutzuntersuchung für drei Bauplätze auf dem Dorf an die 100 Seiten brauchen. Und schnell gings auch: Bereits am 7. Oktober 1971 eröffnete das Kaufhaus Neckermann mit 7500 Quadratmetern Verkaufsfläche auf vier Etagen, unten mit Lebensmitteln, in der Mitte zur Kölner Straße hin ein Obst- und Gemüse-Verkaufsfenster, oben das Restaurant.

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Der Marstall und das Ballhaus des Unteren Schlosses waren hier, zuletzt bis zur Zerstörung im zweiten Weltkrieg Standort der Stadtschule. Nach dem Krieg wurde an der Stelle 1952 ein Behördenhaus für Landesbehörden errichtet, das 1970 abgerissen wurde. Die Geschichte des Standorts ruft Archäologen ab Ende der 1990er Jahre wiederholt auf den Plan: Zuerst, als 1995 mit gut 20 Jahren Verspätung der Vorhaben- und Erschließungsplan für die Tiefgarage aufgestellt wird: vier Parketagen in 15 Metern Tiefe unter dem Schlossplatz, der bis dahin mit 15 Ahörnern, Linden, Eschen und Eiben bestandener Parkplatz war. Und dann noch einmal in den 2010er Jahren, als die Universität ihren Campus Unteres Schloss baute und 2020 ihr Hörsaalzentrum im ehemaligen Obergeschoss des Warenhauses eröffnete. Da hieß Neckermann längst – seit 1977 – Karstadt, der Standort an der Kölner Straße hatte im Zuge von Krisen und Fusionen schon mehrfach die Schließung vor Augen.

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Kaufhof/Kerber: Lange die ersten und einzigen Rolltreppen in Siegen – aber nur rauf

Der Rundgang zu den Siegener Kaufhäusern zu Beginn der 1970er Jahre konnte im Kaufhof beginnen. Am Markt, gegenüber vom Rathaus, waren in Hochzeiten auf 4800 Quadratmetern Verkaufsfläche 530 Mitarbeitende für die Kundschaft da – von Verkäufern und Verkäuferinnen in den Fachabteilungen, Elektro und Lebensmittel unten, Spielwaren oben, über die Bedienung im Restaurant (oben) bis zum Fahrstuhlführer. Rolltreppen hatte der Kaufhof auch, die ersten und lange Zeit einzigen in Siegen, allerdings nur in Aufwärtsrichtung. Wer runter wollte, musste Treppe oder Aufzug nehmen.

Der Bebauungsplan für Karstadt in Siegen
Der Bebauungsplan für Karstadt in Siegen © Steffen Schwab

Am 23. Oktober 1911 hatten Arnold Plaut und Karl Daniel ihr „Modernes Spezialhaus“ Plaut & Daniel eröffnet. Aus der Adresse Markt 9-11 wird 9-25, ein Neubau entsteht. 1928 übernimmt die Kölner Leonhard Tietz AG, Siegen wird für den Marktführer die 43. Adresse. Bereits 1933 ziehen sich die jüdischen Eigentümer zurück, um das Unternehmen zu retten, das fortan als „Westdeutsche Kaufhof AG“ firmiert. Nach der Zerstörung im Krieg wird der Kaufhof wieder aufgebaut, 1952 ist das Kaufhaus wieder voll in Betrieb. 1993 gibt der Kaufhof das Haus in Siegen an die ebenfalls zum Konzern gehörende Kerber-Gruppe ab. Kerber schließt 1999, aus dem Kaufhaus wird 2007 das Krönchen-Center mit Bibliothek, Stadtarchiv, Volkshochschule und einem Dornseifer-Lebensmittelmarkt in Erdgeschoss.

Weidenauer Kaufhaus Wagener hatte auch eine Filiale in Siegen

Die nächste Kaufhaus-Adresse war etwa in der Mitte der Kölner Straße: auf der linken Seite, wenn man bergab geht, befand sich auf zwei Etagen die Siegener Filiale des Weidenauer Kaufhauses Wagener – die Kölner Straße 11 ist heute Standort des Dunkelcafés. Vor dem Haus liegt der Stolperstein für Rosa Marx, die 1943 im KZ Sobibor ermordet wurde, weil sie Jüdin war. Sie war Witwe des 1934 verstorbenen Michel Marx, der am 21. Oktober 1911 in der Kölner Straße 15/17, also zwei Tage vor Plaut &Daniel/Kaufhof, das erste Siegener Warenhaus eröffnet. 1935 meldet sich per Zeitungsanzeige das „Modehaus Neumann & Co“ als neuer Betreiber. „Im Einvernehmen mit der Kreisleitung Siegen-Stadt und der Deutschen Arbeitsfront ist die Führung des Geschäfts auf rein arischer Grundlage gewährleistet.“

Quelle, City, Sieka: Verschwundene Kaufhäuser in der Siegener Unterstadt

Am neuen Neckermann-Kaufhaus vorbei geht es – nun wieder in den 1970er Jahren – herunter zum Kölner Tor, vorbei an den beiden Modehäusern Hettlage (heute: Bruchwerk-Theater) und Schneider (später Werner + Ulrich, heute: H&M) Richtung Bahnhofstraße. Die Sieg hatte damals gerade (1968/69) ihre Überbauung als Parkpalette bekommen, von der sie erst 50 Jahre später mit den „neuen Ufern“ befreit wurde. Hier spielt der andere, am 13. Mai 1970 in Kraft getretene Bebauungsplan. „60a Siegstraße“ (heute heißt sie Morleystraße) schaffte das Baurecht für die Überbauung der Sieg mit dem zweigeschossigen City-Kaufhaus. „City-Exklusiv“ wird zu Beginn der 1970er Jahre Ableger des Sieka-Kaufhauses, weiter Richtung Bahnhof auf der linken Seite der Bahnhofstraße, drei Etagen, Lebensmittel im Keller.

Erinnerungen ?

Wir möchten uns mit Ihren Erinnerungen vom Siegener Karstadt-Kaufhaus verabschieden. Wie sahen ihre Einkaufsbummel in Siegen aus? Welche besonderen Erlebnisse vergessen Sie nicht? Was haben Sie gekauft – gibt es überraschende Schnäppchen oder lang gesuchte Schätzchen, die Sie immer noch haben?

Wir freuen uns auf kurze und lange Antworten, Texte und Fotos, die wir veröffentlichen möchten. Am liebsten bis Dienstag, 30. Mai, an .

Die Sieg war denen, die in Siegen das Sagen hatten, offenbar lange Zeit in Dorn im Auge. „Städtebaulich erwünscht ist es, die vorhandene Baulücke zwischen dem achtgeschossigen Eckhaus (Schuhhaus Schreiber, d. Red.) und dem gegenüberliegenden fünfgeschossigen Haus (Ecke Bahnhof-/ Koblenzer Straße, d. Red.) optisch zu verkleinern.“ Mit der „Baulücke“ ist die Sieg gemeint. Der „Freiraum über der Sieg zwischen Siegbrücke und Weißmündung“, so fährt die Begründung des Bebauungsplans fort, biete sich die „Möglichkeit, die Bahnhofstraße durch weitere Geschäftsflächen attraktiver zu machen“. Einen ersten Schritt dazu hatte die Stadt schon 1963 getan. Mit dem Bebauungsplan Nr.60 Koblenzer Straße/Bahnhofstraße wurde der Bau des Quelle-Kaufhauses ermöglicht, „mit Rücksicht auf die Lage und städtebauliche Bedeutung dieses Gebietes (...) eine fünfgeschossige Bauweise“.

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Quelle, einst Teil des Teil des Otto-Versands, ging mit Karstadt-Arcandor unter. Sieka und City als mittelständische Unternehmen verschwanden still von der Bildfläche, in dem 1970er-Jahre-Bau über der Sieg neben dem Apollo sind heute ein dm-Drogeriemarkt und ein asiatisches Restaurant im Obergeschoss, nun mit Balkon zu den neuen Ufern und Brücken.

Bis zu acht Kaufhäuser zwischen Krönchen und Bahnhof – Kaufhalle, Kaufhof-Eck

Bleibt die Adresse oben rechts an der Bahnhofstraße, wo gerade das Johann-Moritz-Quartier entsteht: Abgerissen wurde die ehemalige Kaufhalle, ebenfalls nach 1970 als Discount-Ableger des Kaufhofs eröffnet – vorher stand dort bis 1969 das Hotel Monopol, letzte Mieter waren eine Lindex-Filiale mit Textilien und schließlich die Mayersche Buchhandlung. Und ganz am Ende der Bahnhofstraße, im ehemaligen Hotel Huthsteiner, wurde 1975 das Kaufhof-Eck eröffnet – heute würde man das wohl „Outlet“ nennen. Auch dieses Gebäude, zuletzt Restaurant und Kneipe, wich dem Johann-Moritz-Quartier. Um die Ecke: Sieg-Carré und City-Galerie – auch alles unter einem Dach, aber ganz anders als in der Kaufhof-Werbung des letzten Jahrhunderts, als es zwischen Krönchen und Bahnhof bis zu acht Kaufhäuser gab.

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