Hilchenbach. Wacken ist klasse, Kultur Pur ist anders klasse – schon aufgrund der Musikauswahl. Und 2023 war besonders klasse, finden eigentlich alle – oder?
Es war nicht nur das Wetter. Kultur Pur ist auch schon bei Ausgaben mit dicken Wolken und Regenschauern super gewesen. Rekord-Zuschauerzahlen auch nicht. Die Zelttheater bebten auch schon, wenn sie nicht ausverkauft waren. Profit ist ja sowieso nicht ganz so wichtig bei Kultur Pur. Aber was dann? Wann ist Kultur Pur 2023 nicht nur gut gewesen, sondern super? So wie dieses Mal, bei der 31. Ausgabe?
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Pfingstmontagnachmittag sitzen Jens von Heyden, Andreas Schmidt und Andreas Müller im Garten des Gillerbergheims und denken darüber nach. Im kleinen Zelttheater lässt Yamina Blanco gerade die Hüften derer vor der Bühne kreisen und der Festival-Leiter, der -Pressesprecher und der Landrat, der Kultur zur Chefsache gemacht hat, sind sichtlich genauso zufrieden wie alle anderen auf der sommerlichen Heide. Noch ist Kultur Pur erst zu ungefähr 85 Prozent vorbei, die Anspannung ist noch da. Die fällt erst richtig ab, wenn der letzte Ton verklungen ist, sagt Jens von Heyden. „Ein kurzer Moment“. Dann geht es schnell ans Abbauen. Aber ein Ende ist in Sicht und sie sind dieses Mal glücklich darüber, wie es gelaufen ist. Nicht nur zufrieden.
Schlange stehen am Bierrondell: Bei Kultur Pur bleibt auch das entspannt
„Es war überragend in vielen Bereichen“, sagt der Festivalleiter. Das Wetter, klar, das gute Programm, gut angenommen vom Publikum. Die Atmosphäre auf dem Platz, die schon weit unterhalb des Giller anfängt: Ob der Festivalbus pünktlich kommt, zum Beispiel. Oder, ein Stück weiter oben, an der Absperrung, wo Autos nicht mehr weiterdürfen. Die, die da den ganzen Tag aufpassen, während Zehntausende Kultur Pur genießen, haben trotzdem gute Laune. Sie strahlen dem Publikum entgegen, so wie die ganze Crew. Das überträgt sich. „Sonntag war der Platz schwarz vor Menschen“, sagt Jens von Heyden. Er hat jahrzehntelang Erfahrung hier oben „und noch nie so viele gesehen“. Trotzdem schön und entspannt, kein Stress, keine Keilerei, keine eskalierte Sauferei. Friedlich, bunt und vielfältig, „die Gastronomen waren am Abend platt“, sagt er. Auch die Kapazitäten eines Bierrondells sind endlich, erst recht so weit ab vom Schuss, es gab längere Schlangen und trotzdem keine Aufregung.
Auch die Leute haben inzwischen Erfahrung, wie die Festivalmacher: Sie wissen, wie Pfingsten auf dem Giller gut wird. Kultur Pur gehört in Siegen-Wittgenstein dazu, ein fester Termin im Jahreskalender. Wenn alle mit dem Auto kommen, wirds schonmal stressig, also kommen sie mit dem Shuttlebus oder dem Fahrrad. „Das ist doch grandios, wie viele Menschen mit dem Fahrrad hier hochgekommen sind!“, findet Andreas Müller. Was die Parksituation wirklich entschärft hat, bestätigt Jens von Heyden: „Das gab immer Chaos.“ Ihre Bemühungen wurden nicht nur angenommen, sondern auch noch honoriert: Es gab Lob, weil die bewachten Fahrradstellplätze auch noch kein Geld kostet.
„Kultur Pur schafft es grandios, Menschen zusammenzubringen“
Wenn die Menschen zu Kultur Pur kommen im Vertrauen, dass da was Gutes geboten wird, dass sie nicht enttäuscht werden, egal wer kommt: Da wollen sie hin, sinniert Andreas Schmidt. Vielleicht sind sie da auch schon. Hier trifft Comedy auf Musik, Alternative Rock auf Sinfonie-Orchester, hier begegnen sich zwangsläufig die verschiedenen Fan-Gruppen und Generationen. „Das ist auch innerhalb der Crew so“, sagt der Pressesprecher. Alle finden unterschiedliche Sachen gut, müssen gleichzeitig am Ball bleiben, was gerade angesagt ist. Bei der Programmauswahl wird das dann zusammengesetzt. Wenn’s nicht passt, bleibt auch mal ein großer Star außen vor, auch wenn vielleicht gerade verfügbar. Es gab die Momente, wo sie ein noch größeres Zelt hätten bauen können, mit sechs statt vier Masten, um einem großen Star noch mehr Publikum zuzuführen. Aber dann wäre auf der Heide weniger Platz für Kleinkunst gewesen. Wäre das noch Kultur Pur gewesen?
„Es klingt vielleicht abgegriffen, aber der Anspruch ist wirklich Kultur für alle“, sagt Landrat Müller. „So wie hier schafft das keiner, wir haben das vielleicht besonders verinnerlicht. Kultur Pur schafft es grandios, Menschen zusammenzubringen.“ Dafür würden weder Konzerte noch Familienprogramm noch der Giller noch das Wetter reichen. Ganz viele kleine Zahnrädchen seien es, die da ineinandergreifen und die man kleine Stückchen nach links und rechts drehen kann. Auch kleine Dinge, die aber etwas ausmachen können – Heimwegbeleuchtung zum Beispiel, Barrierefreiheit, die Fahrradplätze oder mit Karte zahlen. „Dieses Mal hat es ineinandergegriffen wie lange nicht.“
Das nächste Kultur Pur: Wieder ein riesiges Puzzle, fast ein Jahr Arbeit
Vielleicht, jetzt sinniert auch der Festivalleiter, ist das gerade in diesen Zeiten wichtig. Die Folgen von Corona sind noch da, viele sind im Netz verloren gegangen, müssen das reale Erleben wieder lernen. Jemand habe zu ihm gesagt, dass das Konzert live ja viel besser klinge als im Radio. 2022, nach der Pandemie, war noch Nachholen angesagt, die Menschen wollten wieder raus. „Dieses Jahr mussten wir uns wieder neu beweisen“, so Landrat Müller, „es hätte danebengehen können“, bestätigt der Festivalleiter. Viele vergleichbare Veranstaltungen hätten echt zu kämpfen, Kultur Pur nicht. Viele von außerhalb bestätigten dem Kreiskulturbüro: „Ihr habt da echt ‘ne Perle!“
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Ein Patentrezept gibt es also nicht. Es gibt ungeschriebene Leitlinien, die sie in ihren Köpfen haben: Vielfalt im Programm-Mix inklusive Familienfreundlichkeit erhalten, kein Spartenfestival werden (Schmidt: „Wir wollen nicht Wacken werden!“), Toleranz und Frieden und Vielfalt ausstrahlen. Bis dahin ganz viel den Kopf zerbrechen, ganz viel diskutieren, auch mal heftig, immer ganz viel Lust drauf haben, Interesse an Kultur zu wecken. „Ein riesiges Puzzle“, sagt von Heyden. Bei dem sie jedes Jahr wieder daran arbeiten, dass alle Teile perfekt ineinander passen, damit diese Kultur-Pur-Atmosphäre entsteht. Eine kleine, große Aufgabe: Einfach nur dafür sorgen, dass sich alle wohlfühlen.