Siegen/Kreuztal. In der Pandemie wurde sie nicht benötigt, als Unterkunft für Kriegsflüchtlinge nur wenig. Trotzdem gut, dass die ehemalige Klinik bereit war.
35 ukrainische Staatsangehörige zwischen 2 und 80 Jahren sind noch da und die meisten haben eine eigene Wohnung in Aussicht. Bald schon dürften im ehemaligen Kredenbacher Krankenhaus nur noch 11 Menschen wohnen. Seit Oktober 2022 betreibt die Stadt Siegen – federführend – die interkommunale Einrichtung, als „Pufferunterkunft“ für Geflüchtete aus der Ukraine. 200 Plätze standen bereit und wurden nie gebraucht. „Die Einrichtung hat sich aber wirklich bewährt“, sagt Lars Dörr, zuständiger Arbeitsgruppenleiter bei der Siegener Verwaltung.
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Die ehemalige Klinik, die schon in der Corona-Pandemie als Plan B einer ganzen Region eine gewisse Sicherheit gab, sei ideal dafür: Viele Menschen in unterschiedlichen Konstellationen, vom alleinstehenden Senior bis zur Familie mit vier Kindern, auf vergleichsweise engem Raum unterbringen – und zwar so, dass Privatsphäre, Hygiene, Versorgung gewährleistet sind. „Viel besser, als die nächste alte Schule umzubauen.“
Siegener Verwaltung arbeitet vor Ort in Kreuztal für Betreuung der Ukraine-Flüchtlinge
Niemand konnte bei Kriegsbeginn wissen, wie sich die Geflüchtetenzahlen entwickeln würden. Es kamen ja nicht nur Ukrainer, nach wie vor wissen viele Städte und Gemeinden kaum noch, wie sie die Menschen in den kommunalen Unterkünften unterbringen sollen. Dass mehrere Kommunen die ihnen zugewiesenen Ukrainer in Kredenbach unterbringen, schafft die berühmten Synergieeffekte: Sicherheitsdienst, Catering, Reinigung, Betreuung. Die Mahlzeiten bringt inzwischen übrigens ein ehemaliger Bewohner, der immer schon freiwillig bei den Mahlzeiten geholfen hatte, die Firma bot ihm einen Job an. Jetzt versorgt er seine Landsleute.
Sechs Verwaltungsangestellte aus Siegen arbeiten auf drei Vollzeitstellen im früheren Krankenhaus, betreuen und begleiten die Menschen in ihren ersten Wochen in einem fremden Land, einer fremden Stadt. Die Abläufe haben sich eingespielt. Im Gebäude befindet sich das Medizinische Versorgungszentrum (MVZ) der Diakonie, eine Ärztin spricht Russisch. Soziale Träger wie DRK, AWO oder VAKS halfen vor Ort aus, mit spezifischen Angeboten für Kinder oder Eltern, was gerade nötig war und gebraucht wurde. Spenden- und Hilfsbereitschaft aus der Bevölkerung seien immer groß gewesen, wenn etwas gebraucht wurde, konnten sie es immer im Handumdrehen organisieren.
Kredenbach: Die meisten Geflüchteten ziehen bald wieder aus, manche brauchen länger
Es geht in Kredenbach ums Ankommen, zur Ruhe kommen, sagt Lars Dörr. Formalitäten erledigen, sich Registrieren, Leistungen beantragen, Deutschland und seine Bürokratie kennenlernen. Hier kommen keine schwer traumatisierten Kriegsopfer an – schwer ist die Situation für sie dennoch. Sie mussten ihr Heimatland, ihr Zuhause verlassen, in aller Eile; und neu anfangen, in einem fremden Land. Gerade Familien, sagt Lars Dörr, hätten ein paar Tage Rundumversorgung, Durchschnaufen, sehr genossen. Und gebraucht. Vier bis sechs Wochen dauerte das im Schnitt, nach dieser Zeit zogen die meisten wieder aus und in eine eigene Wohnung. Darauf liegt der Fokus von Lars Dörr und seinem Team: Die Ukrainer begleiten in die eigenen vier Wände, oft auch über den Umzug hinaus.
Manchmal dauert das länger – ein Mann im Rollstuhl braucht intensivere Begleitung. Für ihn müssen etwa Krankentransporte oder Taxischeine organisiert werden, andere Menschen sind krank oder pflegebedürftig. Dann bleiben sie eben länger in Kredenbach, das ist kein Problem, immerhin war das mal ein Krankenhaus, für solche Menschen ist die Einrichtung ausgelegt. Ein älteres Ehepaar lebt schon eine Weile hier, erzählt Lars Dörr – die Frau wartet auf einen Pflegeplatz, wie es viele Menschen in Deutschland tun.
Flüchtlingssituation im Ukraine-Krieg mit Situation 2014/15 kaum vergleichbar
Die Situation der Ukrainer ist mit den Jahren 2014/15 nur sehr bedingt vergleichbar. Damals kamen viele Menschen aus dem arabischen und nordafrikanischen Raum nach wochenlangen Gewaltmärschen an, viele schwer traumatisiert, mitunter seit Jahren auf der Flucht. Die, die vor Putins Angriffskrieg fliehen, wollen in erster Linie raus aus der Gefahrenzone oder haben ihr Heim verloren – ihre Konten, das Auto waren aber noch da. Viele flohen innerhalb der Ukraine oder in die unmittelbaren Nachbarländer – wer nach Deutschland kam, hatte hier in der Regel Verwandte oder Bekannte, zum Beispiel aus dem Studium. Die ukrainische Gemeinde war in Siegen schon vor dem Krieg vergleichsweise groß, also kamen viele her. „Im März hatten wir täglich bis zu 100 Erfassungen im Rathaus Weidenau“, erinnert sich Lars Dörr. „Die waren gut organisiert und ausgebildet, die wussten noch Bescheid.“
In wenigen Tagen waren sie in der Regel hier, auf eigene Faust, mussten keine Schleuser bezahlen, hatten mehr als nur das, was sie am Leib trugen. Natürlich komme auch hier ein Querschnitt der Gesellschaft zusammen, haben Lars Dörr und seine Leute festgestellt – manche registrierten sich nur kurz und kamen dann alleine weiter klar, andere ließen es eher gemütlich angehen. Dann machen Lars Dörr und seine Leute ihnen klar, dass sie nicht die nächsten Jahre im ehemaligen Krankenhaus Kredenbach leben können.
Zuweisung von Geflüchteten nach Siegen: Seit dem Jahreswechsel kaum noch
Nennenswerte Probleme habe es dabei aber nie gegeben, betont Dörr. Wo viele unterschiedliche Menschen auf engem Raum zusammenleben, gibt es immer mal Reibereien – in Kredenbach ließ sich alles klären. Das ehemalige Krankenhaus liegt etwas abgelegen am Hang, die beste Verbindung mit Bus und Zug ist unten im Ort, dazu kam zuletzt die lange dunkle Jahreszeit – „das hat allen zugesetzt“, sagt Dörr. Aber auch das ging vorbei und nun ist fast niemand mehr da, der ankommen und durchatmen muss.
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Seit dem Jahreswechsel gab es kaum noch Zuweisungen ukrainischer Geflüchteter, weder nach Siegen noch in die anderen Kommunen. Die Bewohnerzahl wird bald so überschaubar geworden sein, dass sich der Betrieb der Einrichtung kaum noch lohnt. Bis Ende September laufen die Verträge für die Pufferunterkunft, je nach Belegung wird sie vielleicht schon Ende Juni in den Standby-Betrieb versetzt. Das müssten höhere Stellen entscheiden, sagt Lars Dörr. Die Strukturen und Erfahrungen seien jedenfalls da, um das Kredenbacher Krankenhaus jederzeit wieder aus dem Dornröschenschlaf zu wecken. Und wenn sie beim nächsten Ernstfall wieder nicht in vollem Umfang benötigt werden sollte: Besser haben als brauchen.