Siegen-Wittgenstein. Die Glasfaser-Unternehmen liefern sich in Siegen und Umland sich erbitterte Konkurrenz. Einige Orte schauen dabei in die Röhre.

„So geht das nicht.“ Der Alchener Ulrich Haas ist der Erste, der an diesem Spätnachmittag in der Siegener Lyz-Aula an Bild der schönen neue Welt mit unendlich leistungsfähigen Datenleitungen kratzt.. Das ganze Dorf sei seit Monaten Baustelle, nicht nur wegen des Straßenbaus, schimpft der SPD-Vertreter im Wirtschafts- und Verkehrsausschuss des Kreistags. Immer neue Gräben würden aufgebrochen – aber kaum welche zugeschüttet, und wenn, dann nicht besonders ordentlich.

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Es geht um den Glasfaser-Ausbau in Siegen-Wittgenstein. Mit Greenfiber hat ein Unternehmen den Zuschlag bekommen, mit Bundesmitteln die „weißen Flecken“ im Kreisgebiet mit Glasfaser-Hausanschlüssen zu versorgen. Nachdem diese Entscheidung gefallen war, bewegten sich die Mitbewerber: Fast gleichzeitig mit dem Baubeginn von Greenfiber machten sich der Telekom-Ableger Glasfaser Plus, Westnetz/Eon und Glasfaser Direkt auf den Weg, für die nicht subventionierten Gebiete „eigenwirtschaftliche“ Angebote zu machen. Mancher Ortsteil könnte dabei leer ausgehen.

Damit müssen Bürger in Siegen-Wittgenstein rechnen

Die Schilderung von Ulrich Haas überrascht Martin Schreier, den Breitbandkoordinator des Kreises Siegen-Wittgenstein, nicht. Die Nachrichten über ramponierte Straßen und versehentlich durchtrennte Leitungen kommen auch aus anderen Orten. „Das bereitet den Kommunen großes Kopfzerbrechen“, weiß Martin Schreier.

1. Straßenarbeiten werden nicht fachgerecht ausgeführt: „Wir müssen mit gefährlichem Halbwissen bei Tiefbauern rechnen“, sagt der Breitbandkoordinator. Die Firmen können sich vor Aufträgen nicht retten, das Personal ist knapp. „Man nimmt, was man kriegen kann.“ Manche Unternehmen wissen noch nicht einmal, dass sie sich den Straßenaufbruch im jeweiligen Rathaus genehmigen lassen müssen.

2. Straßen werden immer wieder neu aufgebrochen:Das wird ein Ärgernis sein, das ins die nächsten Jahre begleitet“, sagt Martin Schreier, „und die Kommune hat keine Möglichkeit, das zu verhindern." Jeder Glasfaser-Anbieter entscheidet für sich allein, wann er in welcher Straße tätig wird. Dabei gingen sie mitunter „sehr aggressiv“ vor: „Die bauen auch gegen den Willen der Kommunen.“

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3. Glasfaser-Anbieter stehen in erbitterter Konkurrenz: Wenn eine Firma sich entscheidet, eine Straße oder einen Stadtbezirk zu versorgen, heißt das noch lange nicht, dass eine andere nicht dasselbe tut. Am Ende werden alle Firmen in – fast – allen Kommunen eigene Glasfasernetze betreiben. Martin Schreiber berichtet von der Oberndorfer Straße in Feudingen: Westnetz hatte dort schon ein Leerrohr gelegt, in der Erwartung, den Zuschlag auch für die „weißen Flecken“ zu bekommen. Greenfiber hätte die Straße beinahe trotzdem aufgerissen – jetzt sind die beiden Unternehmen im Gespräch. „Eine rühmliche Ausnahme.“ Eigentlich sollen sich die Mitbewerber bei Greenfiber einmieten. „Wir können sie aber nicht dazu zwingen“, sagt Martin Schreier. Ein eigenes Netz sei für die Unternehmen „ungleich mehr wert“ als ein angemietetes.

4. Glasfaser-Firmen können den Ausbau blockieren: Martin Schreier nennt das Beispiel der Gemeinde Wilnsdorf. Dort habe Glasfaser Plus sein Interesse an vier Ortsteilen bekundet. Dieses Ergebnis der „Markterkundung“ schließt die betreffenden Ortsteile von der nächsten Runde der Bundesförderung („Graue Flecken“) aus, die Glasfaser auch für bisher mit bis zu 100 Mbit versorgte Gebiete finanziert – eben weil es einen „eigenwirtschaftlichen“ Anbieter gibt. „Die haben dann alle Zeit der Welt“, beschreibt Martin Schreier das Szenario, genau drei Jahre. In dieser Zeit werde sich aber auch kein anderes Unternehmen für die übrig gebliebenen Ortsteile interessieren – durch die Blockade ist Wilnsdorf für sie unattraktiv geworden.

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Die Reaktion im Wirtschaftsausschuss auf die Schilderung des Breitbandkoordinators ist einigermaßen konsterniert. Den eigentlich bisher immer gefeierten Glasfaserausbau, sagt Ausschussvorsitzende Annette Scholl (SPD), „hatten wir uns ein wenig anders vorgestellt.“

Die Situation in den Kommunen

Bad Berleburg: Greenfiber und Stadt haben einen kommunalen Eigenbetrieb gegründet, der alle Haushalte mit Glasfaseranschlüssen versorgt. Hier bleiben keine grauen Flecken übrig.
Bad Laasphe:
Glasfaser Plus baut in der Stadtmitte, Eon in Banfe. Für die anderen Stadtteile bleibt die Graue-Flecken-Förderung des Bundes, wenn sich nicht noch ein weiterer Anbieter findet.
Burbach:
wie Bad Berleburg.
Erndtebrück:
Glasfaser Plus erschließt die Ortsmitte und Schameder, der Rest: siehe Bad Laasphe. Freudenberg: In Büschergrund, Niederholzklau und Oberfischbach arbeitet Eon, in Freudenberg und Alchen Glasfaser Plus, der Rest: siehe Bad Laasphe.
Hilchenbach:
Eon übernimmt fast das ganze Stadtgebiet. Ruckersfeld und Oechelhausen, die Breitband per Richtfunk bekommen, sollen nachträglich in den kreisweiten Greenfiber-Auftrag aufgenommen werden. Dafür könnten zum Beispiel Schulen in der Siegener Innenstadt aus der Förderung herausgenommen werden, um die sich andere Anbieter auch ohne Subvention reißen werden.
Kreuztal:
wie Bad Berleburg und Burbach. Trotzdem ist dort Eon in der Innenstadt und in den westlichen Stadtteilen unterwegs.
Netphen:
Glasfaser Plus baut in Netphen, Glasfaser Direkt in allen anderen Ortsteilen.
Neunkirchen:
flächendeckend Glasfaser Direkt.
Siegen:
Eon arbeitetet in den westlichen Stadtteilen. Für das übrige Stadtgebiet interessieren sich fünf Anbieter, berichtet Martin Schreier. „Ein sehr attraktives Gebiet. Wir werden abwarten müssen.“
Wilnsdorf: Glasfaser Plus übernimmt Wilnsdorf und vier weitere Ortsteile. Glasfaser Direkt hat sein Angebot für die anderen Ortsteile zurückgezogen,

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